Bücher für den Sommer
24 Publikationen von Künstler:innen, über Kunst oder künstlerisch gestaltet

24. Juli 2025 • Text von

Es ist Urlaubssaison und damit – egal ob am Strand oder daheim bei geöffnetem Fenster – Zeit, den Bücherstapel abzubauen. Weil das ohnehin ein hoffnungsloses Unterfangen darstellt, könntet ihr allerdings zunächst noch ein bisschen frische Lektüre obendrauf packen. Wir präsentieren: 24 Druckerzeugnisse für Kunstfans.

24 Publikationen von Künstler:innen, über Kunst oder künstlerisch gestaltet. Die Buch-Cover sind auf einem pinkfarbenen Gitter auf grünem Grund arrangiert.
Collage: gallerytalk.net. Buch-Cover via Particular Books, Vintage, Starfruit Publications, Colorama, Diogenes, University of Chicago Press, Hatje Cantz, Granta Publications, Heyne, Harry N. Abrams, Riverhead Books, Edition Tiamat, Siglio, Sceptre, Faber & Faber, Präposition, Spector Books, Harvard University Press, Fitzcarraldo Editions, Gutkind, Edition Taube, Merve, Windpark Books, Google Drive.

The White Pube „Poor Artists“

Das Künstler:innendasein ist nicht der bequemste Lebensentwurf, sofern man darauf angewiesen ist, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Konkurrenz ist groß, der Wettbewerb garstig, das Geld oft knapp. Trotzdem entscheiden sich Menschen dazu, Künstler:innen zu sein. Warum? Der Frage gehen Gabrielle de la Puente und Zarina Muhammad mit ihrem Roman “Poor Artists” nach. Die Geschichte der Hauptfigur Quest Talukdar beginnt mit einer Panikattacke und ist durchsetzt von skurrilen Auftritten, etwa dem eines monologisierenden Babys oder des Geists von Gustave Courbet. Auch die Autorinnen wollten übrigens früher einmal Künstlerinnen sein. Sie haben sich während des Kunststudiums kennengelernt, wurden dann aber doch lieber Kritikerinnen und als Duo unter dem Namen “The White Pube” bekannt.

10,99 Pfund (12,70 Euro) Particular Books.

Kaveh Akbar „Martyr“

Cyrus ist Schriftsteller, kein erfolgreicher oder sonderlich produktiver. Er ist ängstlich, traurig, suchtkrank. Sein Vater ist verstorben, die Mutter schon viel früher, als die Familie noch im Iran lebte. Im Roman “Martyr” von Kaveh Akbar hat Cyrus sich festgebissen am Thema Märtyrertum – daher der Titel. “It’s not an Islam thing”, erklärt er. Es sei die Faszination dafür, dass Menschen ihr Leben für etwas geben, das größer ist als sie selbst. Unterm Strich: Es geht ihm nicht so gut. Cyrus ist ein Suchender. Ein Museumsbesuch, aus dem viele Museumsbesuche werden, wird ihm vor allem Fragen beantworten, die er sich gar nicht gestellt hatte.

18 US-Dollar (15,53 Euro), Vintage.

Joshua Groß / Sebastian Tröger „Kiwano Tiger“

Irgendwo im Universum fliegen Tiger mit einem Space Shuttle und haben dort ganz menschliche Probleme: Wie umgehen mit der eigenen Ideenlosigkeit zum Beispiel? Auf knackigen 100 Seiten erzählt Joshua Groß sein Sciene-Fiction-Märchen von der Tigerdame Raja, illustriert mit Tuschezeichnungen von Sebastian Tröger.

20 Euro, Starfruit Publications.

Anna Haifisch & Stefanie Leinhos „Gnocchi Gnocchi who’s there“

Spaghetti mit Butter von Oma, die letzte Packung Penne zum Monatsende, Dosenravioli auf dem Campingplatz. Die Nudel erweist sich als treue Begleiterin. Anna Haifisch und Stefanie Leinhos würden sagen: „Pasta was there for you.“ Große Gefühle und wenig Text, dafür herrliche Bilder liefern die beiden mit ihrem Ringbuch „Gnocchi Gnocchi who’s there“: 173 Gramm gute Laune.

30 Euro, Colorama.

Françoise Gilot: „Leben mit Picasso“

Françoise Gilot war Malerin. Und sie hat einen Mann verlassen, der eben das so gar nicht gewohnt war: Pablo Picasso. „Du bildest dir wohl ein, dass sich die Leute für dich interessieren? Niemals, und schon gar nicht um deiner selbst willen“, zitiert sie den Ex in ihren Memoiren. „Für dich ist die Realität zu Ende – hier, an diesem Punkt, endet sie.“

So ist es dann aber nicht gekommen. Gilot hat weiter gemalt, ausgestellt, geheiratet, geschrieben. Ihre Biografie „Mein Leben mit Picasso“ machte sie international zur Bestsellerautorin. Dass Gilot darin für Picasso oft wohlwollende Worte findet, ehrt sie und lässt ihn dennoch als alles andere als einen Vorzeigetypen erscheinen. Picasso soll all das so geärgert haben, dass er den Kontakt zu Gilot und den gemeinsamen Kindern abbrach. Grund genug, mal ins Buch reinzulesen.

16 Euro, Diogenes.

Alice Kaplan „Seeing Baya: Portrait of an Algerian Artist in Paris“

Eine Pariser Galerie 1947: Die junge Baya stellt Malerei und Skulptur aus. Sie ist noch nicht einmal 16 Jahre alt. Im kolonialen Algerien geboren, früh verwaist, hatte sie für eine wohlhabende Französin im Haushalt gearbeitet. Diese entdeckte ihr Talent und brachte sie nach Frankreich, wo nun Albert Camus und André Breton ihre Arbeiten bewunderten. Mit „Seeing Baya: Portrait of an Algerian Artist in Paris“ nähert sich die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Alice Kaplan der Biografie einer Künstlerin, die als Wunderkind gefeiert und als Projektionsfläche im Kontext französischer Kolonialherrschaft vereinnahmt wurde – und in deren Leben die Ausstellung in Paris nur ein Kapitel ist.

26 US-Dollar (22,42 Euro), University of Chicago Press.

Miriam Cahn „Das zornige Schreiben“

Zornige Worte für den Kunstbetrieb, zornige Worte für die Welt. Miriam Cahn hat sie in einem Buch gebündelt. „Das zornige Schreiben“ umfasst Tagebuchnotizen sowie private Korrespondez der Künstlerin. Neugierige können erfahren, wie Cahn mehr oder vor allem minder sanft Einladungen zu Ausstellungen und Talks abmoderiert – stets ordentlich verargumentiert und höflich in der Form, und wie sie ihre Gedanken zum Künstlerinnendasein in Lyrik gießt.

21,99 Euro, Hatje Cantz.

Sheena Patel „I’m a Fan“

Als nicht nur stellenweise entlarvend erweist sich die Lektüre von „I’m a Fan“, dem Debütroman von Sheena Patel. Der Fan verzehrt sich nach einem Mann, der sie im besten Fall auf Abstand hält, im schlechteren erniedrigt, gleichzeitig nicht loslassen mag, ist besessen von einer Frau mit fettem Following, die ebenfalls mit besagtem Mann verbandelt ist und deren Instagram-Ästhetik vor Augen führt, was für weite Teile der Gesellschaft unerreichbar bleiben wird.

Patel verhandelt in knackigen Kapiteln mit hervorragenden Titeln wie „i might look innocent but i screenshot a lot“ (dt. „Ich mag harmlos aussehen, aber ich mache viele Screenshots“) Machtstrukturen, soziale Abhängigkeiten, Klasse, Race und Social Media. Und weil sich sozioökonomisches Signaling so schön in der Kunstwelt beobachten lässt, ist auch ein bisschen Kunstwelt dabei. So tauchen etwa Abbas Zahedi, Martine Syms, Gee’s Bend Quilters, Arthur Jafa, Carmen D’Apollonio, Marina Abramović und Olafur Eliasson auf. Der unsägliche Mann aus Absatz eins ist übrigens älter, weiß – und auch Künstler.

9,99 Pfund (11,55 Euro), Granta Publications; deutsche Übersetzung: 20 Euro, Hanserblau.

Matias Faldbakken „The Hills“

Im Osloer Restaurant „The Hills“, das dem Roman von Matias Faldbakken seinen Namen gibt, hängen die Wände voll mit Kunst. Ein Kunstexperte findet sich unter den Stammgästen, ebenso wie ein alternder Schauspieler und ein Geschäftsmann, das Schwein. Ihnen stets zu Diensten, routiniert, respektvoll und nicht ohne Stolz, ist der kellnernde Ich-Erzähler. Bestens informiert lässt Faldbakken ihn von seinem Arbeitsalltag berichten, vom Bedienen und Servieren, vom Spagat zwischen der richtigen Gästeansprache und Diskretion. Die Welt da draußen mag toben, im „The Hills“ steht die Zeit still. Alles hat seine Ordnung, bis eines Tages – wie sollte es anders sein – eine Frau, vom Kellner als „Kindfrau“ betitelt, den Lauf der Dinge stört.

10,99 Euro, Heyne.

Calla Henkel „Scrap“

In ihrem ersten Roman zogen zwei US-amerikanische Kunststudentinnen nach Berlin und machten aus ihrer Wohnung einen place to be der Kunstszene. Wirkte erst mal hip, wurde ein knackiger Thriller, der sich gut weglesen ließ. Dem Genre ist Calla Henkel mit „Scrap“ treu geblieben, dem Kunstweltanker ebenso: Die Künstlerin Esther, frisch verlassen von ihrer Verlobten, nimmt eine Auftragsarbeit an. Eine reiche Frau engagiert sie anlässlich des Geburtstags ihres Gattens Erinnerungsalben voller persönlicher Artefakte zu gestalten. Als die Auftraggeberin plötzlich stirbt, verliert sich Esther mit True-Crime-Podcasts auf den Ohren in deren Familienleben, wittert eine Mordverschwörung und begegnet ihren eigenen Dämonen.

28 US-Dollar (23,92 Euro) Harry N. Abrams; deutsche Übersetzung „Ein letztes Geschenk“:  25 Euro, Kein & Aber.

Miranda July „All Fours“

Eine verheiratete Mutter, ja, sie ist auch Künstlerin, hat in New York Großes vor. Sie startet mit dem Auto in Los Angeles, schafft es bis in die Vorstadt. Dort bezieht sie ein heruntergekommenes Motelzimmer und stürzt sich zunächst in Renovierungsarbeiten, dann in eine Affäre mit einem jungen Typen. Der Roman „All Fours“ von Miranda July stand im vergangenen Jahr auf diversen „Best of“-Listen. Wer nicht das Buch, aber über das Buch gelesen hat, dürfte inzwischen wissen, was die Perimenopause ist. Eckpfeiler der kulturellen Debatte um „All Fours“: mittleres Alter, Begehren und schamlose emotionale wie sexuelle Freiheit.

19 US-Dollar (16,40 Euro), Riverhead Books; deutsche Übersetzung: 15 Euro (Taschenbuch), Kiepenheuer & Witsch.

Jonathan Guggenberger “Opferkunst”

Mitten in den Giardini hing Aaron an einem Kreuz, Kufiya umgeschlungen, letzte Worte: „Palestine will set us free!“. Dann ging der Künstler in Flammen auf. Und nun soll sein bester Freund, der Journalist Enzo, das für eine Zeitung einordnen. So beginnt der Roman „Opferkunst“ von Jonathan Guggenberger. Er skizziert darin böse und komisch, sicher auch streitbar eine Kunstwelt, die politische Relevanz behauptet und deren Akteur:innen vor allem um sich selbst kreisen. Das Cover des Buchs ziert übrigens ein Bild des Malers Ferdinand Dölberg.

20 Euro, Edition Tiamat.

Sophie Calle „The Sleepers“

Was haben eine Malerin, eine Friseurin und ein Trompetenspieler gemeinsam? Sie alle haben 1979 im Bett von Sophie Calle geschlafen. 27 Freund:innen, Bekannte und Fremde hatte die Künstlerin eingeladen, innerhalb eines Zeitfensters von acht Tagen eine Schicht in ihrem Schlafgemach zu absolvieren. Calle fotografierte die Teilnehmenden– wach wie schlafend, servierte ihnen Essen, befragte sie zu ihren Ängsten und Träumen und dokumentierte den gesamten Prozess. Ihr „The Sleepers“ bündelt Fotos und Texte. Es ist eine Einladung, für alle Neugierigen, kleine Personenporträts zu durchstöbern und einzutauchen in intime Momente, die Calle vor fast einem halben Jahrhundert orchestriert hat.

24 US-Dollar (41,42 Euro), Siglio.

Claire Dederer „Monsters: What Do We Do with Great Art by Bad People?“

Kann man Künstler:in und Werk trennen? Wenn ja, sollte man es tun? Was, wenn das Werk – der Film, der Song, das Bild – so außergewöhnlich gut sind, dass man nicht darauf verzichten mag? 2017, wenige Wochen, nachdem die Vorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein öffentlich geworden waren und unzählige Frauen weltweit bereits unter dem Hashtag #MeToo ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt und Machtmissbrauch teilten, fragte Claire Dederer in der Literaturzeitschrift Paris Review: „What Do We Do with the Art of Monstrous Men?“ – wie sollen wir mit der Kunst ungeheuerlicher Männer umgehen? Ein Essay konnte der Frage kaum gerecht werden, also hat Dederer ein Buch geschrieben. In „Monsters“ reflektiert sie nicht zuletzt ihre eigene Begeisterung für bestimmte Kunst im Wissen, dass wohl kein guter Mensch sie geschaffen hat.

10,99 Pfund (12,68 Euro), Sceptre. Deutsche Übersetzung “Genie oder Monster: Von der Schwierigkeit, Künstler und Werk zu trennen”: 24 Euro, Piper.

Rachel Cusk „Parade“

Rachel Cusk ist offenbar nicht daran interessiert, es Leser:innen zu leicht zu machen. In ihrem Roman “Parade” heißen alle Künstler:innen G. Man muss jedenfalls minimal mit der Materie vertraut sein oder gewillt, einen Umweg über Google zu gehen, um zu erschließen, dass der Maler, dessen Motive auf dem Kopf stehen, wohl Georg Baselitz ist und die Frau hinter den großen Spinnenskulpturen Louise Bourgeois. Die anderen Gs sind schwieriger zu dekodieren. Wer Freude daran hat, sich einen Text zu erschließen, wird an “Parade” eben jene Freude finden. Cusk nutzt die Biografien der Gs und die Bilder, die sie geschaffen haben, als Projektionsflächen für ein Nachdenken über Erfahrungen von Weiblichkeit, Gewalt, Macht und Selbstverwirklichung.

8,99 Pfund (10,40 Euro), Faber & Faber; deutsche Übersetzung: 13 Euro (Taschenbuch), Suhrkamp.

„Neue Erschöpfungsgeschichten“

Man möge sich die Welt als gläserne Vase vorstellen, in Scherben zersprengt. Die Schreibenden lesen die Scherben auf, die Lesenden setzen sie neu zusammen. So in etwa geht die Gebrauchsanleitung der „Neuen Erschöpfungsgeschichten“. Der Band bündelt Texte von sieben Autor:innen, darunter Tanasgol Sabbagh und Moshtari Hilal, die im Rahmen des Offenbacher Literaturfestivals „Text Matters. Matters of Text“ entstanden sind. Die Stiftung Buchkunst findet, es handele sich um eines der schönsten deutschen Bücher 2025. Wer nicht schnöde Schwarz auf Weiß lesen mag, ist hier bestens bedient.

18 Euro, Präposition.

Isabelle Graw „Angst und Geld“

Man kann Angst und Geld haben oder nichts davon (unwahrscheinlich). Besonders unangenehm ist Angst, aber kein Geld, vielleicht auch die Angst vor dem Kein-Geld-Haben. Die Ich-Erzählerin in Isabelle Graws Romanessay „Angst und Geld“ liegt jedenfalls nachts wach, spricht mit ihrer Therapeutin. Ich ist nicht Isabelle Graw, es ist Isabelle Graw. Es ist das Ich als Angststätte, hi, Herr Freud. Der innere Monolog ist angesiedelt im Kulturbetrieb, das literarische Ich vielleicht nicht gerade von Existenz-, eher von Abstiegsangst geplagt. Ob sich aus Graws milieuspezifisch erzählter Angsteskalation allgemeingültige Rückschlüsse auf Designfehler im System ziehen lassen? Entscheidet selbst.

22 Euro, Spector Books.

Sarah Lewis „The Unseen Truth: When Race Changed Sight in America“

Die politische Macht der Bilder steht im Zentrum der Forschung von Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Sarah Lewis. Anhand historischer Beispiele illustriert sie, wie visuelle Kultur die USA der Gegenwart geformt hat, Fehlvorstellungen bis heute stabilisiert und wie mit ihrer Hilfe Chancengleichheit und Gerechtigkeit herbeizuführen wären. In ihrer Monografie „The Unseen Truth: When Race Changed Sight in America“ spannt Lewis den Bogen zum Kaukasuskrieg im 19. Jahrhundert. Sie erzählt, wie US-Amerikaner:innen auf Fotos Menschen sahen, die so gar nicht in das Bild passten, was sie sich vom „caucasian“-Sein, also Weißsein gemacht hatten – und wie sie dennoch daran festhielten. Ihre Referenzen reichen dabei von Frank Duvenecks Gemälde „A Circassian“ von 1870 bis zum Ku-Klux-Klan verherrlichenden Spielfilms „Birth of Nation“.

31,95 Euro, Harvard University Press.

Annie Ernaux and Marc Marie „The Use of Photography“

Der Morgen danach: die Klamotten über den Boden verstreut, die Mahlzeit nicht aufgegessen, die Möbel verrückt – was man so hinterlässt, wenn man sich liebt. Lust und Zufall formten die Stillleben, die zunächst Annie Ernaux mit ihrer Kamera eingefangen hatte, weil sie sie nicht einfach zerstören wollte. Ihr Liebhaber Marc Marie teilte den Impuls. So dokumentierten die Literaturnobelpreisträgerin und der Journalist zu Beginn der 2000er-Jahre fotografisch ihre Liaison, ergänzten sie um kleine Texte, machten ein Buch daraus: „L’Usage de la photo“. Seit vergangenem Jahr gibt es das auch in englischer Übersetzung.

12,99 Pfund (15,02 Euro), Fitzcarraldo Editions.

Svea Mausolf “Image”

Schon wieder ein @sveamaus-Meme geteilt, aber noch immer nicht den Roman von Svea Mausolf gelesen? Dann ist es aber an der Zeit. In ihrem Debüt „Image“ trifft Hauptfigur Peggy gleich zu Beginn ein fürchterliches Schicksal: Ende Dreißig und ohne abgeschlossene Ausbildung erscheint sie den Eltern auf einmal nicht länger förderungswürdig und so war’s das mit dem monatlichen Lebenszuschuss von 5000 Euro. „Image“ ist ein Ritt durch gesellschaftliche Abgründe im Spätkapitalismus. Die Geschichte ist ein bisschen au, ein bisschen bäh – schmerzhaft schön. Figuren wie eine Christfluencerin oder ein misogyner Boy mit lackierten Fingernägeln demonstrieren, wie Mausolf auch in der literarischen Form Wahrheiten in der Überzeichnung herauskitzelt.

22 Euro, Gutkind.

Anja Dietmann „Umsatzübersicht“

10 Minuten abwaschen, 10 Minuten aufräumen, 20 Minuten Altglas und Altpapier entsorgen: 7,20 Euro. 20 Minuten abwaschen, 20 Minuten aufräumen, 60 Minuten Flur sortieren, umräumen, 60 Minuten Wäsche abhängen, aufhängen, einsortieren, waschen: 28,80 Euro. Und so weiter und so fort. Künstlerin Anja Dietmann hatte die Idee, sich selbst als Haushaltshilfe anzustellen. Ein Stipendium machte es möglich. Das Künstlerinnenbuch „Umsatzübersicht“ dokumentiert in 365 Überweisungen eine Kreislaufwirtschaft, in der sie als Chefin und Angestellte zugleich auftritt.

20 Euro, Edition Taube.

Sophia Eisenhut „Spam in Alium“

Sophia Eisenhut formt Sprache auf unvergleichliche Weise. In ihrem Schreiben verschmelzen Theorie und Fiktion und alle erdenklichen Textformen. „Spam in Alium“ verspricht vielleicht der Einfachheit halber Essays, Gedichte und ein Drehbuch. Den titelgebenden Text hat das digitale Magazin &SHY bereits ganz wunderbar und einfach klickbar dargestellt. Eisenhut zitiert darin Maggie Nelson, schreibt über das Maggie-Nelson-Lesen. Über Liebesbriefe, Voyeurismus und die Selbstbezüglichkeit des Schreibens. Mehr Texte von ihr gibt’s im Buch.

17 Euro, Merve.

Olga Hohmann & Chiara Marcassa „Stressed Desserts“

„Was ist überhaupt Arbeit und was ist sie nicht?“, fragten sich die Autorinnen Olga Hohmann und Chiara Marcassa und spürten dem in Textform nach. Ihre Überlegungen vereint das Wendebuch „Stressed Desserts“. Man erfährt von mannigfaltigen Abhängigkeiten im Angestelltenverhältnis. Man erfährt: Kopfsteinpflaster und kostenlose Suchmaschinen sind womöglich aussterbende Konzepte der Gegenwart. Je nachdem, wie herum man das Buch aufschlägt beginnt die Lektüre mit Hohmann oder Marcassa. In der Mitte angekommen: Wenn möglich, bitte wenden.

20 Euro, Windpark Books.

„Postponed“

Eigentlich sollte Sanna Helena Berger eine Einzelausstellung in Kopenhagen eröffnen. Stattdessen hat sie mehr als zwei Dutzend Künstler:innen, Schriftsteller:innen und Lyriker:innen gebeten, Texte für einen Sammelband beizusteuern. Aus Bergers Bedürfnis nach Dialog, Zusammenarbeit und Austausch, nach „mehr als nach einer einzelnen Stimme“, wie sie auf Instagram schreibt, sind 85 Seiten Vielstimmigkeit entstanden. „Postponed“ umfasst unter anderem Beiträge von Miriam Stoney, Elif Saydam, Olga Hohmann, Anne Boyer, Lauryn Youden und natürlich von Berger selbst.

Kostenlos, Zugang via Google Drive.