Gemeinsames Hinabtauchen Lulu MacDonald und Maik Gräf im Studio 45
13. März 2023 • Text von Katrin Krumm
Von der Oberfläche über die Tiefsee bis auf den Ozeanboden: In ihrer kollaborativen Ausstellung “Coral Teeth” im Studio 45 des Künstlerhaus Wendenstraße nehmen die Bildhauerin Lulu MacDonald und der Fotograf Maik Gräf Besucher*innen mit auf einen Exkurs in die Dunkelheit. Fotografische Materialstudien und Skulpturen geben Auskunft über Naturerlebnisse sowie die politische Dimension des Ressourcenabbaus am Meeresgrund.
In ihrem Naturkunde-Roman “Der lebende Berg” begibt sich die schottische Autorin Nan Shepherd auf die Suche nach dem Wesenskern der sie umgebenden Landschaft der Cairngorm Mountains. Ab den 1940er Jahren begann sie, diese bergige Landschaft im Nordosten Schottlands in unzähligen Reisen zu erkunden und ihre Erlebnisse schriftlich zu dokumentieren. Fasziniert vom menschlichen Erkundungsdrang und insbesondere Shepherds Bestrebung, den Berg in all seinen Facetten zu ergreifen, begab sich die britische Bildhauerin Lulu MacDonald erst allein, dann gemeinsam mit dem Fotografen Maik Gräf auf eine ähnliche Erkundungsreise.
Im Zentrum der Ausstellung im Studio 45 des Künstlerhaus Wendenstraße steht das Wasser. Genauer gesagt, das Wasser über dem Meeresgrund, sowie der Boden selbst und die Dunkelheit, die dort alles zu umschließen scheint. Der Ozean war lange Zeit Projektionsfläche menschlicher Sehnsüchte – durchzogen von Romantik und Ehrfurcht, aber auch großer Angst vor dem Unbekannten. Umgeben von Sagen und unheimlichen Geschichten, fand er Einzug in die griechische Mythologie und Literatur.
Die erste Exkursion führt Betrachter*innen auf eine begleitete Reise durch den Fluss Styx: Zug um Zug nehmen Maik Gräfs dialogische Silbergelatineabzüge Betrachtende mit auf den Tauchgang durch den Fluss in der Unterwelt, der laut griechischer Mythologie die Welt der Lebenden von der Welt der Toten trennt. Obwohl sich die Wasseroberfläche des Motivs leicht im Licht zu brechen scheint, wirkt sie beklemmend. Es wird Bewegung suggeriert, und dennoch erscheint sie hier fast skulptural in Form einer sich vor langer Zeit erhärteten Masse.
Zu seinem organischen Charakter findet das Wasser erst beim zweiten Motiv zurück, wo sich dann tänzelnde, grelle Formen über dasselbe Grundmotiv legen. Die leuchtenden, fluide wirkenden Elemente entstanden durch Experimente mit unterschiedlichen Flüssigkeiten, wie beispielsweise Lack, beim erneuten Belichten des Motivs. Sie unterstreichen außerdem die Tatsache, dass Wasser bei der Entstehung der Abzüge selbst eine große Rolle spielt, da sie erst durch eine Reihe an iterativen Tauchgängen und fluiden Prozessen sichtbar werden.
Fluid wirken auch die großformatigen Abbildungen von zunächst unbekannter Art an den hohen Wänden des Ausstellungsraums. Auf der Suche nach einer gemeinsamen künstlerischen Sprache fanden MacDonald und Gräf in der Dunkelkammer ihre Antworten. Die Formen der Werkserie basieren auf chemischen Experimenten mit unterschiedlichen Flüssigkeiten im Fotolabor. “Katabasis” ist eine Reihe sogenannter Chemigramme, die in einem Prozess der nahezu kompletten Finsternis entstanden. In einem dialogischen Hinabtauchen analog zum antiken Motiv der “Katabasis” machten sie die Dunkelheit des Meeresgrundes nicht nur erfahrbar, sondern erhoben sie direkt zur Protagonist*in ihrer gemeinsamen Werkreihe.
Kurz bevor sich die Betrachter*innen im dunklen Nass zu verlieren drohen, finden sie Halt in MacDonalds glänzender Keramikskulptur “Small Bodies of Water”. Schelmisch der Dunkelheit trotzend positioniert sie sich leichtfüßig, fast tänzelnd vor den Wandabbildungen. Die Skulptur ist in Naturtönen gehalten und besteht aus einzelnen, eng aneinandergereihten Keramiken, wobei einige davon den Körpern von Fischen nachempfunden sind, wie beispielsweise ein einfarbig-helles, rundliches Gefäß am Ende der Skulptur. Sie steht nicht nur in ihrer Bewegung und Form in direktem Bezug zum Wasser, sondern auch in ihren Produktionsbedingungen, da es für die Herstellung von Keramik große Mengen an Wasser als Ressource bedarf.
Als hätte jemand leuchtende Förmchen sorgfältig auf eine glatt-gestrichene Oberfläche eines Sandkastens gesetzt, sind im harten, gräulich-glatten Material bunt strahlende Fischfiguren aus transparentem Acryl eingebettet. “Migrants” basiert auf einer wissenschaftlichen Entdeckung der Meeresbiologie, in der sich bestimmte Fischarten aus evolutionsbedingten Gründen immer mehr von der Wasseroberfläche entfernen, um ein Leben Nahe des Grundes führen zu können. Um dies zu bewerkstelligen, haben sie im Laufe der Jahrtausende Organe entwickelt, die ein biolumineszentes Licht ausstrahlen.
Die drei Leuchtboxen der “Migrants” beschreiben die Faszination MacDonalds über die ambivalente Beziehung der Menschen zur Natur, die sie sich durch Erkundung und Erschließung zu eigen machen wollen. Die Ambivalenz, die in ihrer Recherche über den Meeresboden sichtbar wird, zeigt sich auch im von ihr eingesetzten Material: Tadelakt ist ein Material, das aus Sedimenten des Meeresbodens gewonnen und als Muschelkalk weiterverarbeitet wird. Es ist nur einer der unzähligen Rohstoffe, die aus dem Meer entnommen werden. In der Tiefsee lagern unter anderem Gold, Silber, Platin, Kobalt und Lithium, weshalb sich Firmen wie der US-Waffenhersteller Lockheed Martin für eine möglichst schnelle Förderung aussprechen.
In ihrer Ausstellung begaben sich MacDonald und Gräf auf eine experimentell-poetische Materialstudie, die sowohl ein Naturerleben zu beschreiben versucht, als auch Einblicke in politische Dimensionen des Rohstoffhandels eröffnet. Dies ist aktueller denn je, so gibt es Bestrebungen der Internationalen Meeresbodenbehörde, globale Leitlinien für den Abbau des internationalen Meeresbodens auf dem freien Markt zu entwickeln, um auch weiterhin eine Koexistenz von Mensch und Meer zu ermöglichen.
WANN: Die Ausstellung “Coral Teeth” von Lulu MacDonald und Maik Gräf läuft bis Sonntag, den 19. März.
WO: Studio 45 im Künstlerhaus Wendenstraße, Wendenstraße 45, 20097 Hamburg.