Geschichten vom Erwachsenwerden Theresa Rothe und Josefine Schulz im Künstlerhaus Sootbörn
16. Februar 2023 • Text von Katrin Krumm
In bunten Malereien, Installationen und Skulpturen zelebrieren Theresa Rothe und Josefine Schulz Übergangsphasen, die gemeinsam durchlebt werden. Momente der Intimität und des liebevollen Miteinanders, aber auch der Unsicherheiten und geteilter Melancholie. Eine Konstante, die die beiden Künstlerinnen im fortwährenden Wandel ihrer künstlerischen Praxis verbindet, ist ihre jahrelange Freund*innenschaft. Diese stellen sie in ihrer Ausstellung “Real Friends” im Künstlerhaus Sootbörn aus.
Neonfarbenes Kunstfell, bunte Schirmmützen und auf dem Boden verteilte Patchwork-Kissen erinnern an die Kinderzimmer US-amerikanischer Coming-of-Age-Serien der 90er-Jahre. Sofort beim Betreten des Raumes wird das Setting klar: Es geht ums Heranwachsen, um Freundschaft, geteilte Erfahrungen und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper.
Theresa Rothes und Josefine Schulz‘ Ausstellung im Künstlerhaus Sootbörn in Hamburg ist sowohl eine bunte Assoziationskette von Momentaufnahmen jugendlicher Leichtigkeit, als auch ein Einblick in die jahrelange Freund*innenschaft der beiden Künstlerinnen, deren Arbeiten im Kontext ihres räumlichen und emotionalen Beisammenseins entstehen. Die Künstlerinnen teilen sich dieselbe Räumlichkeit, erzählt Schulz gegenüber gallerytalk.net, weshalb sich ihre jeweiligen Arbeiten in einem konstanten Dialog miteinander wiederfinden.
In der Mitte des Ausstellungsraums haben Rothe und Schulz eine weiche Sitzinsel aus buntem Kunstfell und Sitzmöglichkeiten für Besucher*innen platziert. Die im Ausstellungsraum integrierte Inneneinrichtung erschafft somit eine lebhafte Wohnzimmer-Atmosphäre, die zum Entdecken, Verweilen und entspannten Zusammenkommen einlädt.
Ein leises Zirzen und Zurren in der hinteren Ecke des Raums verrät die Bewegungen von Theresa Rothes Skulptur. Dort sitzt ein menschengroßes, puppenartiges Wesen aus lilafarbenem Fell mit hängenden Schultern. Der Kopf besteht aus leuchtend gelbem Stoff, sein Shirt ziert ein mittig gesetztes, plakatives “HELP” in bunten Großbuchstaben. Angezogen mit einer Shorts und einem Shirt wirkt “confusing bunch” unbeholfen. Die Figur wirkt aus der Kleidung herausgewachsen, seine Gliedmaßen sind viel zu lang für seinen Körper. Die Arbeit erinnert an den Moment, an dem man beschließt, nicht länger die von den Eltern gekaufte Kleidung anzuziehen. In Kombination mit seiner Körperhaltung suggeriert sein zaghaftes Zittern körperliches Unbehagen und den Drang nach Unsichtbarkeit.
In Rothes Schaffensprozess ist ganz oft die Vision einer speziellen Bewegung die Grundlage ihrer phantastischen Skulpturen. Aus mechanischen Apparaten erschafft die Künstlerin die Basis für die rhythmisch-monotonen Schwingungen oder Rotationen ihrer Wesen und passt im Anschluss die Körper ihrer Skulpturen daran an.
Nicht allen Skulpturen liegt jedoch eine äußere Bewegung zu Grunde. In einigen spiegelt sich eine innere Wandlung. So auch bei “Me as a worm”, einer übergroßen, wurmähnlichen Skulptur, die mit weichem Kunstfell überzogen ist. Aus dem langen Körper ragen sechs Beine, an deren Enden sich menschliche Hände befinden. Im anthropomorphen Gesicht sind real wirkende Glasaugen eingefasst, die bei den Betrachtenden Mitgefühl wecken.
“Me as a worm” ist in einer Auseinandersetzung Rothes mit dem Thema der Metamorphose entstanden und beschreibt die ambivalente Phase des Wandels, wie die Künstlerin erzählt. So scheint sich das Wesen in einer Phase der Transformation zwischen Mensch und Tier zu befinden, unwissend welche Richtung es anstrebt. Die Skulptur wirkt fast, als würde sie im Stadium der ewigen Verpuppung verweilen wollen, da ihr dies die größtmögliche Sicherheit bietet.
Die Kombination aus tierhaften Körpern und vermenschlichten Gesichtszügen ruft bei Betrachter*innen einen uneindeutig-ambivalenten Gefühlsmix hervor: Wirken die Arbeiten niedlich oder abstoßend? Ganz anders verhält es sich jedoch bei der Materialität. Knete, Kunsthaar, Pappmaché und Latex: Rothes figurative Wesen zeichnen sich aus einem wilden Materialmix aus, den man anfassen will – wie auch bei “If I keep up this pace, I will arrive early”, einem Mischwesen, welches hauptsächlich aus einem rundlichen Körper aus rosafarbenem Kunsthaar besteht. Sein Gesicht ist aus kleinen, bunten Formen zusammengesetzt. Diese erinnern an Holzklötze, mit denen Kinder spielen, und laden Betrachter*innen auf eine visuelle Erkundungstour ein.
Ein zunächst zaghaftes Gegengewicht zu Rothes phantastisch-bunten Skulpturen bieten Josefine Schulz’ Malereien. Ihre großformatigen Ölmalereien zeigen soziale und intime Momentaufnahmen von Freund*innen und Freund*innengruppen. In “Girls with dogs” versammelt sich eine Gruppe weiblich gelesener Personen, die in entspannten Posen, sitzend oder stehend, in herausforderndem Augenkontakt mit den Betrachter*innen sind. Sie berühren sich in freundschaftlicher, unangestrengter Weise, sitzen beieinander oder hintereinander. Trotz der selbstbewussten Posen und Outfits wirken einige Protagonist*innen unbeholfen – Momente, die jedoch in affirmativen Berührungen aufgefangen werden können.
Schulz’ Malereien zelebrieren die unaufgeregten, alltäglichen Momente freundschaftlicher Zweisamkeit in vertrauten Situationen. Die titelgebende Arbeit “Real Friends” zeigt zwei Personen, sitzend und schweigend aneinandergeschmiegt, mit entspannten Gesichtsausdrücken und Handys vor den Gesichtern. Die Szene des jugendlichen Miteinanders vermittelt ein nonverbales Verständnis über den seelischen Zustand der jeweils anderen Person. Auf dem Schoß einer der Protagonist*innen befindet sich außerdem ein kleiner Hund, ein Motiv, das sich in vielen Arbeiten von Schulz wiederholt.
Sorglos, unbekümmert und fast schon freudestrahlend ziehen sich Hunde verschiedener Rassen durch Schulz‘ kleinformatige Pastellzeichnungen. Entweder alleine oder in liebevoll gruppierten Konstellationen suchen sie den Blickkontakt zu den Betrachter*innen. Ihre niedlichen Gesichter wirken anziehend. In Phasen umwälzender Veränderungen können neben Freundschaften auch Haustiere eine sichere Konstante im Leben bieten. Aus diesem Grund kann man immer wieder den Hund als Symbol eines treuen Begleiters in Schulz’ Werken sehen.
Einen Grund für einen treuen Begleiter*in haben auch Schulz’ Keramikskulpturen. Eine ihrer Skulpturen aus der Reihe “Babes and Vases” sitzt in verschlossener Pose am Boden des Ausstellungsraums und wirkt alleingelassen. Im Gegensatz zu Schulz‘ Malereien eröffnen sich in dieser Werkgruppe Momente der Unsicherheit, der Sehnsucht nach Kontakt und des Orientierungslosen.
Die Ausstellung “Real Friends” zelebriert das gemeinsame Durchleben von Phasen der inneren und äußerlichen Veränderungen. Die Werke vereint, dass sie Stadien des Wandels imaginieren. Während Rothes Skulpturen das innere Unbehagen im Heranwachsen fokussieren, betonen Josefine Schulz’ Werke, dass Freund*innenschaft eine Konstante in diesem Entwicklungsabschnitt bilden und für etwas Leichtigkeit im geteilten Leid sorgen.
Auf materieller und inhaltlicher Ebene vermitteln Rothes und Schulz’ Werke eine Ästhetik des Vertrauten. Ihre Arbeiten sind Produkt und Symbol der gemeinsamen Entwicklung der Künstlerinnen und zeugen von einem tiefen Verständnis voneinander. Für einen kurzen Moment lassen die beiden das sozial antrainierte Schutzschild fallen und lassen Betrachter*innen an ihrer Freundinnenschaft teilhaben.
WANN: “Real Friends” läuft noch bis Samstag, den 25. Februar.
WO: Künstlerhaus Sootbörn, Sootbörn 22, 22453 Hamburg.