Fällt größer aus Kristina Nagel im Fragile
27. März 2023 • Text von Katrin Krumm
Mensch, Pose, selten ein Objekt, Wand. Dazwischen viel schwarzes Leder. Kristina Nagels fotografische Serie “User” im Berliner Ausstellungsraum Fragile ist eine inszenierte Studie über Selbstdarstellung im Digitalen. Zwischen Subkultur und Luxusmarken führt die Ausstellung in visuelle Rückkopplungsschleifen der Konsumkultur.
Gekonnt oversized, wie ein voluminöser Vintage-Ledermantel, präsentieren sich Kristina Nagels Fotografien im Berliner Ausstellungsraum Fragile: Ungerahmt, ausschließlich mit wenigen Ösen sind sie an der Wand befestigt und drehen sich an den unteren Säumen leicht ein, als wäre eine zu glatte Präsentation unbedeutend oder gar trivial. Die wenigen Fotografien in “User” folgen kompositorisch einem sich wiederholenden Schema: Mensch, Pose, selten ein Objekt, Wand. Dazwischen befindet sich viel schwarzes Leder: gerade-geschnittene Glattleder-Sofas, überbreite Schultern in kantiger Lederkleidung, eckige Kragen.
Nagels Arbeit ist definiert durch ein stetiges analytisches Suchen nach Objekten, Posen, Stimmungen. Auf der Suche nach monothematischen Motiven begab sie sich schon für ihr früheres Projekt “printed visual studies” auf visuelle Recherche durch die Onlineplattform eBay. Dort sammelte sie Fotografien von Overknee-Stiefel, die sie anschließend in einem Bildband veröffentlichte. Für ihre neue Serie im Fragile Berlin sammelte Nagel Posen aus dem sich präsentierenden Alltäglichen der digitalen Welt. Dies können inszenierte Amateurfotos wie Selbstportraits aus Dating-Plattformen oder eBay sein, oder auch aus der gewöhnlichen Websuche.
Eines der Motive aus “User” könnte aus einer ihrer Recherchen über gefundene Posen entstanden sein. Es zeigt eine Person, die mit schwerer, dunkel glänzender Motorradkleidung durchzogen von geometrischen Formen in Hellgrün und Lila bekleidet ist. Steif neigt sie ihren Körper in einer Dreiviertelansicht zur Kamera, die rechte Schulter nach vorne, das Gesicht frontal zu den Betrachtenden. Der Kopf ist leicht gesenkt. Eine distinktive Körperstellung, die Nagels Beobachtung fast schmerzlich sichtbar macht. Es ist eine unbeholfene Pose einer Person, die sich der Kamera dennoch bewusst ist und sich präsentieren will.
Ein weiteres Motiv zeigt eine Person, deren Haarsträhnen rechts und links das Gesicht umfließen. Mit ausdrucksloser Mimik blickt sie in die Kamera, die Körperhaltung verrät Selbstbewusstsein, vielleicht sogar gefühlte Autorität. Hier liegt ein Angebot vor, das angenommen werden will: offene Beinstellung, entspannte Schultern, ein Motiv, das auf der Höhe des Schrittes endet. Die Reduktion auf die Pose wird durch den monotonen Hintergrund verstärkt und erfährt dadurch etwas Sexuelles – aber auch Wartendes.
Nagels “User” präsentieren sich zwar, bleiben aber schlussendlich passiv. Der Moment der Handlung wirkt eingefroren, sie sind anonyme Stellvertreter*innen ihrer Art. Dies wird auch durch Nagels Nachbearbeitung der Gesichter verstärkt, die verschwommen und unscharf sind. Ähnlich wie anonymisierte User*innen inszenieren sie sich selbst im digitalen Raum, egal ob es sich um den eigenen Körper als Konsumgut handelt oder um produzierte Ware wie Kleidung.
Neben ihrer freien Fotografie kooperiert Nagel seit vielen Jahren mit Brands wie Balenciaga. Dies spiegelt sich auch in ihren Werken wider. Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Marke ist ihr visueller Einfluss unverkennbar verwoben mit Nagels künstlerischer Praxis. Das französische Haute-Couture-Modehaus setzt seit Jahrzehnten immer wieder neue Standards, sowohl im Bereich der experimentellen Bildsprache, als auch im Modemarketing. Als eine der relevantesten Marken bewegt es sich führend am Schnittpunkt des Digitalen und Analogen. So gab das Modehaus zuletzt eine Kollaboration mit dem Onlinespiel Fortnite bekannt, für die es insgesamt vier Outfits präsentierte, die zunächst von den User*innen käuflich erworben werden konnten, bevor sie in physischen Stores erhältlich waren.
Mit „User“ nutzt Nagel ihre visuellen Studien zu Körperhaltungen sowie Mode als visuelle Plattformen, um die Zirkulation von unterschiedlichen Bildkulturen zu beschleunigen. Durch das Nachstellen von Posen aus Amateurfotos in inszenierten Fotografien, die gleichermaßen Fashion Editorials sein könnten, überführt sie die Bildsprache des Alltäglichen in den Verwertungszyklus der Modeindustrie. Diese bedient sich ähnlich wie Nagels Modelle den Stilen verschiedener Subkulturen wie Metalbands, Biker-Mode und Fetisch.
Ihre Arbeit dient als Raum zur Reflexion über Selbstinszenierung und passives Konsumverhalten im Digitalen. Schlussendlich kann “User” als Kommentar auf den Konsum gesehen werden, der mit seiner eigenen Ästhetik wirbt.
WANN: Die Ausstellung “USER” läuft noch bis einschließlich Sonntag, den 2. April.
WO: FRAGILE, Leipzigerstraße 63, 10117 Berlin.