Klopapier ist politisch
„Under / Over w/ Plant Paper“ in der Galerie Marta

26. Oktober 2020 • Text von

In der zeitgenössischen Kunst ist bekanntlich alles möglich. Die Grenzen des Verrückten und Sonderbaren dürfen und sollen gerne überschritten werden. Die Marta Galerie in Los Angeles treibt es auf die Spitze und erhebt einen Gebrauchsgegenstand aus unseren Badezimmern zu einem Kunstobjekt – den Toilettenpapierhalter! Ausgestellt werden 62 der alltäglichen Unterstützer und dass sie nicht nur praktisch, sondern auch visuell und künstlerisch ansprechend sein können, wird neben der politischen Bedeutung des Klopapiers fett unterstrichen.

Eine weiße Ausstellungswand mit vielen verschiedenen Toilettenpapierhalterungen.
Exhibition View, Marta Gallery, West Wall – OFF.

Die meisten von uns haben sie wohl zuhause – Toilettenpapierhalter. Klar, ginge es theoretisch auch ohne, aber so eine Abrollvorrichtung für die Papierrolle im Badezimmer ist schon praktischer in der Handhabung. Wie sieht euer Klorollenhalter daheim aus? Und wie ist eigentlich die sprachlich korrekteste Bezeichnung für diesen Gegenstand: Klorollenhalter, Klopapierhalterung, Toilettenpapierhalter, Toilettenpapierabroller? Ach, wie schön und vielfältig die deutsche Sprache doch sein kann. Spaß beiseite – habt ihr schon einmal intensiver über diesen Gegenstand nachgedacht? Ihm eine besondere Bedeutung beigemessen? Also bei mir im Bad befindet sich ein ganz unspektakuläres Modell in blassbraunem Plastik, nicht gerade ein optischer Knaller. Aber es erfüllt seinen Zweck.

Die Galerie Marta in Los Angeles hat ihre Räumlichkeiten seit einiger Zeit einzig und allein dem Klorollenhalter gewidmet und stellt die Prachtstücke in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Öko-Toilettenpapierhersteller Plant Paper, die die Exponate optisch vervollständigen, aus  – für die “Real Life Experience” sozusagen. Ein witziges Schmankerl: Besucher*innen dürfen sich als Erinnerung an den Ausstellungsbesuch eine Rolle mit nach Hause nehmen. In Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie wohl mehr als wertvoll, wo die Menschen doch in Scharen in die Supermärkte strömen und die Regale mit dem Klopapier regelrecht leer fegen. Es ist anscheinend zu einem kostbaren Gut geworden. Warum dem wohlig weichen Papier also nicht auch die Präsentation bieten, die es verdient. Den Thron, dem ihm gebührt.

Ein geschwungener Toilettenpapierhalter aus Keramik an einer weißen Wand, ausgestattet mit Klopapier.
BNAG, Toilet Tongue No. 1, 2020, Unique, Ceramic, 4.5 W x 9.0 D, 5.5 H in.

Doch was hier so lustig  daherkommt, hat eine durchaus politische Dimension. Ja, Klopapier ist politisch. Und das bildet auch den Anhaltspunkt für die Ausstellung. Der Ursprung für das Toilettenpapier liegt in China und schon einige Jahrhunderte zurück. In den frühen 1900er Jahren begannen die Menschen in Amerika, Toilettenpapier mit Chlor und vielen verschiedenen giftigen Chemikalien herzustellen. In Deutschland hat Hans Klenk 1928 das erste industriell hergestellte Hakle-Papier auf den Markt gebracht. Gemeinsam mit rund 27.000 Bäumen werden die enthaltenen Chemikalien täglich größtenteils geistesabwesend und mit Gallonen von Wasser die Toilette heruntergespült. In Nordamerika kontrolliert beispielsweise ein einziges Unternehmen, das sich im Besitz von Koch Industries befindet, 29 Prozent des Marktes für Toilettenpapier. Viele Amerikaner*innen unterstützen mit dem Kauf meist unwissentlich die politisch konservativen Bemühungen und klimaskeptischen Positionen von Koch Industries. Das Netzwerk “Americans for Prosperity” wird durch das Unternehmen mitfinanziert, untergräbt bewusst die Glaubwürdigkeit ausgewählter Wissenschaftler*innen, verhindert Klimagesetze und leugnet den Klimawandel. Die ganzen Machenschaften des Unternehmens passen jedenfalls nicht auf eine Rolle Toilettenpapier.

Plant Paper versucht es, besser zu machen und stellt komplett Baum-freies und ungiftiges Toilettenpapier her – aus FSC-zertifiziertem Bambus. Das hat allerdings auch einen stolzen Preis: Mit umgerechnet etwa 20 Euro für 16 Rollen wird das Alltagsprodukt zu einem Luxusgut. Eher etwas für die ganz Privilegierten. Recyceltes Papier ist da vorerst wohl mit umgerechnet etwa 7 Euro für 10 Rollen der erschwinglichere Kompromiss.

Eckansicht einer Ausstellung mit vielen verschiedenen Toilettenpapierhaltern, die mit Klopapier ausgestattet sind.
Exhibition View, Marta Gallery, East Wall and South Window.

Da die Bedeutung von Toilettenpapier und unseren Kaufentscheidungen nun vielleicht etwas klarer sind, kommen wir endlich zur Kunst. Die Marta Galerie, die sich für die Schnittstelle von Kunst und Design interessiert, zeigt 62 Toilettenpapierhalter von internationalen Designer*innen und Künstler*innen – sie alle erfüllen ihre praktische Funktion und sorgen obendrein noch für etwas Raffinesse im Alltäglichen. Von heißem Kleber, Keramik, Acryl, MDF und Kupfer bis hin zu einer Bohrmaschine oder einer Stahlkette als Halterung ist die Materialpalette breit aufgestellt. Mal minimalistisch und farblich reduziert, mal üppig überladen und farbintensiv. Die vielen Gedanken und Ideen, die man in die Anfertigung eines Toilettenpapierhalters stecken kann, finden hier ihren künstlerischen Ausdruck.

OOIEE, Mandrake (He came from…), 2020, Unique, Black + Decker drill, Poplar dowel, Galvanized hardware, Fender washers, Walnut wall mount, Fasteners, 12.5 W × 6.5 D × 12.0 H in.

Um nur einige Namen zu nennen: Mit dabei sind zum Beispiel das in Karlsruhe und Marrakesch ansässige Design Studio BNAG, das von Oliver-Selim Boualam und Lukas Marstaller geführt wird. Sie haben den Ausstellungsraum unter anderem mit zwei “Keramik-Zungen” sowie geschwungenen Haltern, ebenfalls aus Keramik, und Gute-Laune-Titeln wie “Crazy Carrot” oder “Flamingo” bestückt. Mit von der Partie ist außerdem die niederländische Designerin Sabine Marcelis, die ein rundes Exemplar aus Harz beigesteuert hat. Ihr Studio für Material-, Installations- und Objektdesign befindet sich in Rotterdam. Auch von Matt Olson und seinem Studio OOIEE ist etwas vertreten – besagte Bohrmaschine, die das Toilettenpapier hält. Vielleicht etwas für die besonders passionierten Heimwerker*innen. Das Studio von Frederik Paulsen in Stockholm hat eine moderne Lösung für den Papierrollenhalter gefunden – ein relativ schlichtes Design, das durch den violetten und neongelben Farbanstrich zu einem Blickfang wird. Noch mehr Beispiele und Teilnehmer*innen findet ihr hier.

Fredrik Paulsen, Lilac & Yellow T.P. Holder, 2020, Unique, MDF, Wood, Acrylic, 11.8 W × 12.5 D × 5.9 H in.

Wer nun so richtig Freude gefunden hat an den Exponaten, mag vielleicht noch einen Blick auf das Instagram Profil der Galerie werfen – der Feed präsentiert, optisch ansprechend kuratiert, die einzelnen Modelle, die übrigens auch teilweise noch gekauft werden können. Für umgerechnet knapp 34 Euro bis hin zu stabilen 3000 Euro sind die praktischen Aufhübscher für das eigene Badezimmer zu haben. Wer aber in der erneuten “Stay-Home-” und “Social-Distancing”-Phase doch lieber selbst kreativ und aktiv werden möchte, um etwas Pfiff in die eigenen Wohnräume zu bringen, findet bei diesen Ausstellungsstücken vielleicht die nötige Inspiration für das nächste DIY-Projekt. Und unabhängig von der Halterung unseres Toilettenpapiers, können und sollten wir uns zukünftig häufiger der Frage widmen, wo genau das Papier, dem wir kaum eine Bedeutung beimessen, und auch andere Produkte des Alltags eigentlich herkommen und welche Unternehmen wir mit unseren Kaufentscheidungen im Hintergrund unterstützen.

WANN: Die Ausstellung läuft nur noch bis Sonntag, den 1. November, und ist natürlich aktuell für Menschen außerhalb von Los Angeles schwer zu besichtigen. Terminvereinbarungen für einen Besuch vor Ort sind per E-Mail möglich, hier kann man sich die Exponate von überall aus aber auch online anschauen.
WO: Marta Gallery, 1545 W Sunset Boulevard, Los Angeles, California, 90026 – 3333.