Das Leben nach dem Tod Christian Boltanski über die Endlichkeit menschlichen Daseins
2. Juli 2021 • Text von Teresa Hantke
Sein Werk handelt vom Tod. Von Erinnerung und Vergessen, von Zufall und Schicksal, Geschichte und dem Vergehen der Zeit – dabei geht es dem französischen Künstler Christian Boltanski vor allem darum, Fragen nach der Endlichkeit unseres Seins zu stellen. Nach seiner großen Einzelausstellung im vergangenen Jahr im Pariser Centre Pompidou ist sein Werk nun in der Ausstellung “Danach” im Rahmen des Berliner Gallery Weekend in der Galerie Kewenig zu sehen.
Es pocht. Und pocht. Ein eigentlich rhythmischer Schlag, manchmal dezent abweichend, mal schneller und nervöser werdend, dann sich wieder verlangsamend, ertönt durch die Ausstellungsräume der Kewenig-Galerie in Berlin-Mitte. Schon am Eingang vor der massiven Holztür, die in die Galerieräume des beeindruckenden Hauses aus dem 17. Jahrhundert führt, hört man das intensive Pochen. Es ist der Herzschlag des französischen Künstlers Christian Boltanski, der den Besucher und die Besucherin durch die Ausstellung “Danach” begleitet.
Boltanski hat den Rhythmus seines Herzens für seine monumentale Arbeit “Les Archives du Coeur” 2008 aufgezeichnet, die sich auf der japanischen Insel Teshima befindet. Ein Archiv aufgenommener Herzschläge von mittlerweile zirka 70.000 Teilhabenden, die für jeweils wenige Minuten abgespielt werden. Wird einem der Klang der Lebensader derart bewusst gemacht, leuchtet schnell ein, um was es Boltanski geht – die Fragilität des Daseins, die eigene Endlichkeit, aber auch das Vergehen der Zeit. Jeder Schlag steht für das unermüdliche Weiterziehen von Sekunden, Minuten, Stunden. Das Pochen der Zeit. Dass das Schlagen mal unregelmäßiger wird, macht die eigene Fragilität sehr deutlich. Fast scherzhaft äußert Boltanski, er habe sich am Tag nach der Aufnahme seines Herzschlages einen Termin beim Kardiologen gemacht. Denn höre man das Pochen seines eigenen Herzens, denke man doch, es sei etwas gewaltig nicht in Ordnung.
Der Klang des pochenden Herzens ist omnipräsent in der Ausstellung, begleitet die Besucher und Besucherinnen durch die Räume, vorbei an einem in blauem Licht, erstrahlenden Schriftzug “Danach” hinauf in den ersten Stock. “Danach”. Das Leben nach dem Tod? Und wenn ja, existiert dies überhaupt? Der Tod ist ein, wenn nicht das wiederkehrende Sujet im Werk des Franzosen. Dabei möchte er Fragen stellen, den Menschen mit den essentiellen Themen der Endlichkeit unseres Daseins konfrontieren. “Es ist offensichtlich, dass wir sterben. Warum wir sterben, weiß keiner von uns. Wir sollten lernen, das zu akzeptieren. Eine Antwort kann auch ich nicht geben”, äußert er auf die Frage, was der Tod für ihn bedeute.
Wie ein roter Faden zieht sich dieses Sujet durch die Ausstellung. Es wird beinahe in jedem Werk präsent, ohne jemals bildlich dargestellt zu sein. Subtil erscheint es im oberen Stockwerk der Ausstellung in Installationen wie “Crépuscule” (1996). Hundert leuchtende Glühbirnen, die mit der Zeit erlöschen, bis der Ausstellungsraum komplett im Dunkeln liegt. Genauso äußert es sich in der zum Sound seines pochenden Herzens gehörenden Installation “Coeur”. Glühbirnen werden bei jedem Schlag erleuchtet und erlöschen. An den Wänden befindet sich in rechteckigen Rahmen schwarzes Spiegelglas – man sieht sein Spiegelbild phantomhaft aufflackern und genauso vergehen. Auch hier wieder ein Spiel, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit.
Laut Boltanski handele es sich bei seiner Ausstellung bei Kewenig um die Präsenz von Phantomen. Um die Bewusstmachung der Existenzen, die mal waren und nicht mehr sind. Phantome seien mit Erinnerungen verbunden. Ob er dabei auch eine Verbindung zu den Personen ziehe, die an der Pandemie gestorben sind? “Ja, wir haben ein Jahr lang mit Phantomen gelebt. Ein großer Unterschied war, dass wir jeden Tag in den Medien über den Tod gesprochen haben. Alle sterben, aber der Tod wurde eben angekündigt: Es gibt dreihundert Todesfälle mehr als gestern. Es war ein Thema, das uns verfolgte. Früher wurde nie über den Tod gesprochen. Nun wurden wir damit konfrontiert.”
Und auch Boltanski konfrontiert uns mit diesem Thema. Dabei erhalten die bei Kewenig ausgestellten Werke bei aller Dauerhaftigkeit des Sujets, gleichzeitig etwas sehr Aktuelles. Ob er es gutheiße, dass sich die Gesellschaft wieder vermehrt mit diesem Thema auseinandersetzen musste, möchte ich am Ende wissen. Es würde nicht mehr geleugnet werden, antwortet Boltanski, man habe zu akzeptieren, was man ist. Und das sei ein Teil des Lebens – “Sicherlich sind Sie einzigartig, ich bin einzigartig, wir sind nicht ersetzbar, aber wir werden ersetzt werden. Zum Glück gibt es andere Menschen, die unseren Platz einnehmen. Es geht weiter.” Im Hintergrund ertönt der Herzschlag Boltanskis durch die Räume. Zeit vergeht. Es pocht. Und pocht. Aber es geht weiter – auch “Danach”.
WANN: Die Ausstellung “Danach” ist noch bis Samstag, den 10. Juli, zu sehen.
WO: Kewenig Galerie, Brüderstraße 10, 10178 Berlin.