Bis die Blase platzt kennedy+swan in der Schering Stiftung
4. November 2025 • Text von Carolin Kralapp
Sie ist in aller Munde und durchdringt nahezu alle Lebensbereiche: die Künstliche Intelligenz. In der Medizin verspricht sie schnellere Diagnosen und präzisere Behandlungen. Doch setzen wir damit auf die richtige Karte? Dieser Frage gehen kennedy+swan mit “The Red Queen Effect” in der Schering Stiftung auf den Grund und haben dafür ein fiktives Start-up gegründet.

Nur unweit des Brandenburger Tors verbirgt sich Unter den Linden ein unscheinbarer Hauseingang. Er eröffnet einen schmalen Gang, in dem sich der Projektraum der Schering Stiftung befindet. Die Stiftung fördert die Lebenswissenschaften, zeitgenössische Kunst sowie wissenschaftliche und kulturelle Bildung. Das Ausstellungsprogramm der Stiftung bewegt sich konstant an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst und eröffnet einen künstlerischen Raum für aktuelle wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen.
So auch in der aktuellen Ausstellung “The Red Queen Effect” des Duos kennedy+swan, das aus den Künstler*innen Bianca Kennedy und Swan Collective besteht und seit 2013 gemeinsam künstlerische Wege geht. Ausgangspunkt ist eine technische Innovation, an der wohl niemand mit Internetzugang mehr vorbeikommt. Sie ist in aller Munde und durchdringt bereits seit einiger Zeit sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche unserer Gegenwart. Die Rede ist von – na klar – der Künstlichen Intelligenz. Auch im Medizinsektor, mit dem sich die Installation von kennedy+swan befasst, wird der Einsatz von KI vorangetrieben. Das ist keine Zukunftsmusik, sondern bereits Realität. Die KI verspricht schnellere Diagnosen und präzisere Behandlungen und damit die Hoffnung auf ein längeres und gesünderes Leben. Welche Auswirkungen hat das auf unsere Gesellschaft? Wo verorten wir uns als “Normalos”? Machen wir mit, obwohl wir eigentlich kein Mitspracherecht haben? Genau hier setzt “The Red Queen Effect” an.

Der Ausstellungstitel geht auf eine Szene aus Lewis Carrolls Klassiker “Alice hinter den Spiegeln” aus dem Jahre 1871 zurück. Darin weist die Rote Königin Alice darauf hin, dass sie so schnell rennen müsse, wie sie könne, um mit dem Tempo der anderen mithalten zu können. In der Evolutionsbiologie wird diese Metapher verwendet, um einen ewigen Wettlauf zwischen Arten und ihrer Umwelt zu beschreiben. Denn um auch zukünftig weiter bestehen zu können, müssen sich biologische Systeme fortwährend verändern. Dieses Bild lässt sich auch auf das Zeitalter technischer Innovationen übertragen: Unsere Welt dreht sich schnell, wir werden von Informationen und Bildern überschüttet und stehen unter dem wiederkehrenden Druck, mit dem Tempo der Entwicklungen und Veränderungen Schritt zu halten. Wer nicht mitmacht, läuft Gefahr, irgendwann abgehängt zu werden.

In der 4-Kanal-Videoinstallation “The Red Queen Effect” tauchen Besucher*innen in die Geschichte des fiktiven Start-ups ALICE ein. Mithilfe von KI bietet ALICE medizinische Dienstleistungen an – welche genau, bleibt unklar. In einer 25-minütigen Laufzeit werden wir durch ein Labormodell geführt und lernen 22 Freiwillige kennen, die in Aquarell-Porträts zum Leben erweckt werden und direkt zum Publikum sprechen. Brittany, Nora Khorasani, Avid, Dr. Monte Lichtfeld und die anderen, deren Namen das Publikum teilweise nicht erfährt:…schön, euch kennenzulernen! Sie alle erzählen fragmentarisch von ihrem Leben und ihrer Motivation, sich einer Studie von ALICE anzuschließen und ihre Gesundheitsdaten bereitzustellen: um die Daten Schwarzer Menschen einzubeziehen, um die eigene Mutter zu ärgern oder aus einer Hoffnung heraus, nicht mehr mit echten Ärzt*innen in Kontakt treten zu müssen. Die Porträtierten entstammen unterschiedlichen Altersgruppen, Nationalitäten und präsentieren ein breites Spektrum menschlicher Emotionen – von Angst und Skepsis bis hin zu Hoffnung und Begeisterung.
Der zweite Teil der Ausstellung besteht aus den “Lung Portraits”. Es handelt sich dabei um Aquarellbilder, die Lungenschnitten nachempfunden sind und auf Glas gemalt wurden. Das Berliner Institut Bifold testet bereits eine KI, um Lungenschnitte auszuwerten. Bisher wird diese Technologie jedoch noch nicht zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzt. Im Rahmen eines Stipendiums hatte das Kollektiv kennedy+swan Zugang zu den Bildern und der Technologie. Anders als zunächst vermutet, konnte die KI des Instituts in den frei gemalten Bildern von kennedy+swan Krankheitsbilder erkennen und benennen. Die Ergebnisse sind letztlich auf den Leuchtkästen im Ausstellungsraum gelandet. Hier werden Fragen aufgeworfen: Wie sehr kann man einer solchen Technologie wirklich vertrauen, wenn es offensichtlich Wege gibt, sie mit fiktiven Bildern auszutricksen?

Wer diese Ausstellung besucht und auf eindeutige Antworten hofft, kann lange warten. Wie so oft geben die Künstler*innen ganz bewusst keine genaue Lesart mit. Die Betrachter*innen sind selbst gefordert. Es bleibt uns als Zuschauenden überlassen, wo wir uns in diesem Spektrum verorten und welche Konsequenzen wir für unser eigenes Handeln daraus ziehen. Dennoch wird schnell klar, dass kennedy+swan den Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz skeptisch gegenüberstehen. In ihrem Schaffen setzen sie sich mit philosophischen Fragen auseinander: Was passiert mit uns als Menschen, als Gesellschaft, wenn eine KI uns irgendwann überholt und schlauer wird als wir? Wird es dazu überhaupt je kommen oder wird die große KI-Blase vorher platzen?
In der KI-Branche werden unzählige Versprechungen gemacht: Prozesse sollen angeblich optimiert und beschleunigt, der Workload für Menschen reduziert werden, um an anderer Stelle wieder Raum zu schaffen. Doch wofür eigentlich? Für mehr Produktivität? Für noch mehr Tasks? Am Ende geht es doch meist um das große Geld für einige wenige. Wenn sich aus der Ausstellung eine Antwort ergibt, dann wohl, dass technische Entwicklungen wie KI nie völlig neutral sein können. Sie sind immer eingebettet in soziale, wirtschaftliche und politische Strukturen, ebenso wie die Versprechungen, die uns als Gesellschaft verkauft werden. Am Ende sollten wir das Ganze mit Vorsicht betrachten und unsere Denkprozesse und Daten nicht bedenkenlos irgendwelchen Technologien überlassen. Vielleicht befinden wir uns bereits auf einem Plateau, auf dem sich die KI nicht mehr wesentlich verbessert – und gerade darin könnte auch eine gewisse Zuversicht liegen. Wie bei allen technischen Neuerungen, die Einzug in unser Leben halten, stecken wir mitten in der Ambivalenz eines komplexen Konstrukts, das es auszuhalten gilt. Würdest du dich ALICE anschließen wollen?
WANN: Die Ausstellung “The Red Queen Effect” wurde bis zum 12. Dezember verlängert.
WO: Schering Stiftung, Unter den Linden 32-34, 10117 Berlin.
Am 8. November findet im Rahmen der Berlin Science Week der Panel Talk “Körper im System: Algorithmische Heilsversprechen” mit kenndy+swan statt. Mehr Informationen hier.