Queen Bona und das zerhackte Patriarchat
Kasia Fudakowski bei ChertLüdde

28. Februar 2023 • Text von

Stromverbrauch, Brüste und Schwertmuscheln? Mit “Gallery Power LTD” bei ChertLüdde zieht Kasia Fudakowski Verbindungslinien zwischen Umweltschutz und Feminismus. Je nachdem, welche Schalter Besucher*innen aktivieren, setzen sich Werke in Bewegung, werden erleuchtet und treten augenzwinkernd in Beziehung. Auch der Vater der Künstlerin mischt sich ein. Omnipräsent kreist die Frage: Zeit, das Patriarchat abzuschalten, oder? Wie viel Energie wollen wir noch aufbringen, verschwenden und an falscher Stelle sparen? Wann geht das Licht aus? Zunächst aber: Spotlight on!

KasiaFudakowski ChertLuedde GalleryPowerLTD 2023 Installationview
Kasia Fudakowski, “Gallery Power LTD”, ChertLüdde, Berlin, 2023. Photo by Andrea Rossetti. Courtesy of ChertLüdde, Berlin and Kasia Fudakowski, Berlin.

In Verbindung sein ist das A und O, heute wohl mehr und digitaler denn je. Der Drang nach Verbindung hat nicht nur einen hohen Stromverbrauch, sondern auch das unter Strom stehen, das Gefühl, dass einem ständig der Saft ausgeht und zu heiße Drähte zur Folge. Wann und an welcher Stelle sollte abgeschaltet werden? Eine Frage, die auf den Menschen genauso wie auf Geräte zutreffen kann. Von genau diesen beiden Seiten beleuchtet Kasia Fudakowski mit “Gallery Power LTD” bei ChertLüdde ihre Arbeiten. Sie animiert Besucher*innen in ihrer Show selbst hier und da den Schalter zu betätigen, den Arbeiten den Stecker zu ziehen. Die Einflussnahme auf den Stromfluss beginnt in einem zu rüttelt, denn möchte ich schuld an der hohen Rechnung sein? An den Folgen für die Umwelt?

An der Wand lehnen leicht beleuchtete, durchsichtige Plexiglas-Schwertmuscheln. Sie werfen drahtige, hauchdünne Schatten an die weiße Wand. Die allgemeine Leichtigkeit stabilisierend, die beiden Muschelhälften zusammenhaltend, glänzt ein goldenes Scharnier im Licht der kleinen Glühbirne. Mit “The Alchemy of the Hinge” feiert Fudakowski die unterschätzte Schwertmuschel, die sich in einer so hohen Geschwindigkeit in den Sand graben kann, dass der Sand kurzzeitig seinen Aggregatzustand zu verändern und Wasser zu werden scheint. Ein Lebewesen voller Energie. Nebst dieser erstaunlichen Eigenschaft, der Fähigkeit effektiv zu Graben könnte sich die Muschel auch aufgrund ihres zweiteiligen Aufbaus als Symbolbild für die Dating-App “Hinge” bewerben. Hand in Hand gleich doppelte Power. Zusammenhalt, Leute!

KasiaFudakowski GalleryPowerLTD ChertLuedde AlchemyoftheHinge MusselsMotorMouth 2023
Kasia Fudakowski: “The Alchemy of the Hinge”, 2023; “Gallery Power LTD”, ChertLüdde, Berlin, 2023; Steel, Plexiglas, acrylic paint, bulb, cabling, 175 × 60 × 87 cm. // Kasia Fudakowski: “Mussels, Motor, Mouth” , 2023; Installation view of “Gallery Power LTD”, ChertLüdde, Berlin, 2023; Steel, Plexiglas, acrylic paint, hand blown glass, steel, motor, smart plug, 184 × 72 cm. Photo by Andrea Rossetti. Courtesy of ChertLüdde, Berlin and Kasia Fudakowski, Berlin.

Gegenüber noch mehr Muscheln. Ein länglicher, beinahe ovaler Leuchtkörper taucht in Slowmotion inmitten eines aus Miesmuscheln gebildeten Kranz ein und wieder auf. Die im Licht blau leuchtenden Muscheln krallen sich an einem stählernen diamantförmigen Gestell fest. Ein befruchtendes Moment scheint dargestellt. Fleischlich, aber wohl leider nicht fruchtbar ist das Gedankenspiel, der Vorschlag, den Fudakowski mit “Mussels, Motor, Mouth” macht. Würde sich statt Rindfleisch das ebenso proteinreiche Fleisch der Muscheln auf dem Markt etablieren, könnten sich geschmackliche Gewohnheiten derartig wenden, dann hätte die Fleischindustrie nicht mehr CO2 schleudernde Tiere zuoberst, sondern im Gegenteil: Filtrierer. Das wäre ein Wandel. Das Gebilde quietscht leicht, es ist wohl etwas Sand im Getriebe. 

An einer massiv verkabelten Stellwand leuchtet eine rote LED in regelmäßigen Abständen auf. Sie gehört zu einer Kamera, die den Raum im Blick hat. Hinter der Kamera sitzt Fudakowskis Vater. Er kann auf seinem Handydisplay verfolgen, wie sich Besucher*innen vor der Linse verbiegen. Wenn ihm danach ist, betätigt er aus der Ferne einen Schalter, der einen großen, an der Decke montierten Scheinwerfer aktiviert. Das Gerät mit dem höchsten Energieverbrauch im Raum. Ein Global Player, sozusagen.

KasiaFudakowski ChertLuedde GalleryPowerLTD 2023 Install
Kasia Fudakowski, “Gallery Power LTD”, ChertLüdde, Berlin, 2023. Photo by Andrea Rossetti. Courtesy of ChertLüdde, Berlin and Kasia Fudakowski, Berlin.

Er wirft sein Licht auf zwei spiegelnde Flächen, auf denen Schrift eingraviert ist, die ohne Licht nicht zu lesen ist. Gelistet sind dort zum einen 20 Gründe, Kinder zu bekommen und 22 Gründe keine zu bekommen. In diesem Dreieck von väterlichem Kameraauge, dem enormen Stromverbrauch des im Geburtsjahr der Künstlerin gebauten Strahlers und den Pros und Cons zur Kinderfrage ergibt sich ein spannungsreiches Feld zwischen Fudakowskis Familiengeschichte, ihrer eigenen Familienplanung, Vergangenheit und Zukunft, Einfluss von außen und oben, Fremdsteuerung versus Kontrolle über das Eigene, Selbstbestimmung und Feminismus.

Neben leuchtenden kinetischen Stahlkonstruktionen fallen zwei Werke der Show heraus. Ein animiertes Neon, in dem eine giftig grün leuchtende Gurke von einem Messer in Scheiben geschnitten wird und der überdimensionale Lampenschirm in Form einer Frau in pompösem Kleid. Vor der Frauen-Lampe stehen bedeutet ihr unter den Rock zu gucken, ob gewollt oder nicht. Gleichzeitig schweben riesiger Lampenschirm und Rock erhaben über einem. Mit ausgestrecktem Arm kann an einer Quaste gezogen und ihr Leuchten über einem aktiviert werden. Regieren ist das Motto dieser Arbeit. Abgebildet ist nicht irgendeine Frau, sondern Queen Bona.

KasiaFudakowski GalleryPowerLTD ChertLuedde PoisoningofQueenBona MyserySalad
Kasia Fudakowski: “Poisoning of Queen Bona”, 2023; “Gallery Power LTD”, ChertLüdde, Berlin, 2023; Steel, fabric, trim, bulbs, glass, pull switch, electrical cabling, smart plug, 180 × 190 cm. // Kasia Fudakowski: “Misery Salad”, 2023; Installation view of “Gallery Power LTD”, ChertLüdde, Berlin, 2023; Animated glass neon, electrical cabling, transformers, toggle switch, smart plug, 165 × 150 × 10 cm. Photo by Andrea Rossetti. Courtesy of ChertLüdde, Berlin and Kasia Fudakowski, Berlin.

Bona Sforza, die 1494 in Italien geborene und später auf den polnischen Thron geheiratete wurde. Unglücklich über das Verlassen ihrer italienischen Heimat, heißt es, weinte Bona auf dem Thron in Krakau in ihren Gurkensalat. Doch sie ließ sich von ihrem Heimweh nicht unterkriegen und galt als starke, selbstbewusste Frau, die sich nicht scheute, in Kultur- und Wirtschaftspolitik das Zepter in die Hand zu nehmen. Gegenwind gab es selbstverständlich, vergiftet wurde Bona letztlich aus den eigenen Reihen, daher der Titel “Poisoning of Queen Bona”.

Giftig und Gurke sind die beiden Stichpunkte, die von Bona hinten zur Gurke in den Eingangsbereich verweisen. Wie das Messer hier vorne die Gurke, bemühte sich auch bereits Queen Bona in Ansätzen um das Zerschneiden des Patriarchats. Mit “Misery Salad”, dieser leuchtenden, phallisch und giftig grünen Gurke im Rücken und Gedanken an einen saftig feministischen Gurkensalat in der Zukunft kommt Besucher*innen das Glas kurz halb voll vor, auch wenn es, wie die Galeriefassade mahnend in die Welt strahlt, halb leer ist.

WANN: “Gallery Power LTD” von Kasia Fudakowski läuft noch bis Donnerstag, den 6. April.
WO: ChertLüdde, Hauptstraße 18, 10825 Berlin.

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