Heiß hinter der Fassade
Karla Zipfel in Halle

24. September 2024 • Text von

In ihrer Ausstellung “Ganz andere Wärme” beschäftigt sich Karla Zipfel mit Energieversorgung. Ihre skulpturalen Arbeiten gewähren einen Blick auf und hinter die Kulissen von Wohngebäuden und wecken neben nostalgischen Gefühlen auch soziale und gesellschaftspolitische Fragen. Und wie heizt ihr so?

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Ausstellungsansicht “Ganz andere Wärme” von Karla Zipfel in Halle. Foto: Falk Wenzel.

Es zieht ein bisschen durch die Ritzen des ehemaligen Jugendstil-Kaufhauses in Halle. Deckenelemente hängen lose herab. Bis vor einigen Jahren war hier ein Discounter ansässig, mittlerweile steht das Gebäude aber die meiste Zeit leer. Doch jetzt hat sich hier die Agentur für Aufbruch breit gemacht und zeigt unter anderem Karla Zipfels Ausstellung “Ganz andere Wärme”. Passend zum Jahresthema “Energien und Netze” präsentiert die Künstlerin eine Installation modellartiger Gebäudefassaden, die durch ein Rohrgestell miteinander verbunden sind. Wie ein verzweigtes energetisches Netz verbindet die Konstruktion Gründerzeit- mit Plattenbau und Bauernhaus.

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Ausstellungsdetail “Ganz andere Wärme” von Karla Zipfel in Halle. Foto: Falk Wenzel.

Jeder dieser Architekturen hat Zipfel ihre eigene Energieart zugeteilt. Das postmoderne Mehrfamilienhaus aus der Nachwendezeit wird zum Beispiel durch erneuerbare Energien wie Wind- oder Solarkraft beheizt. Auf der Rückseite jedes Hauses findet sich ein analoges Moodboard, eine bunte Collage aus Bildchen und Zitaten, die stellvertretend für die unterschiedlichen Bewohner*innen und Bauzeiten der Häuser steht.

Hinter der postmodernen Fassade ist beispielsweise eine Mini-Dose Gorbatschow Energy montiert, daneben steht Gerhard Schröder am Herd. Zu sehen sind außerdem eine Ausgabe von Focus Money und ein Verweis auf das Solar Valley in Sachsen-Anhalt, das mittlerweile lange insolvent ist. Obwohl all diese visuellen Gedankenstränge mehrere soziale Blasen miteinander vermischen, vereint sie der Traum von Wohlstand, der Glaube an Kapitalismus und die Idee einer gelungenen (Energie-)Wende, die großen Versprechen der 90er Jahre.

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Ausstellungsdetail “Ganz andere Wärme” von Karla Zipfel in Halle. Foto: Falk Wenzel.

Hinter der Gründerzeitfassade sieht es wieder ganz anders aus: Hier trifft hipper Grünwähler-Lifestyle, repräsentiert durch das Bio-Siegel und ein Transparent der Letzten Generation, auf Langzeitbewohner*innen mit Schäferhund und Aluhut. Zipfel beachtet bei ihren Skulpturen nicht nur das gesellschaftliche Framing verschiedener Heiz- und Wohnarten, sondern stellt auch ganz eigene Verknüpfungen her. Die assoziativen Netze der Künstlerin sind manchmal klar und kausal, manchmal weniger leicht nachvollziehbar. Welche Bewohner*innen sich die Frucht-Kaltschale Ananas-Limette anrühren und welche ihre Energy-Bowl auf Instagram posten, bleibt den eigenen Vorurteilen überlassen.

Karla Zipfel hat früher mal in Halle Lehramt studiert. Den Strukturwandel der Region, den wachsenden Leerstand und die sozialen Verhältnisse hat sie also aus erster Hand miterlebt. Ebenfalls aus persönlicher Erfahrung gewachsen ist übrigens der Titel der Ausstellung, der von ihrer Großmutter inspiriert ist. Diese schwärmt mit großer Begeisterung von ihrem “Öfele”, dem neu erworbenen Heizofen, der im Vergleich zu vorherigen Wärmequellen eine “ganz andere Wärme” produziere. Dass eine gut beheizte Wohnung aber nicht automatisch auch sozialen Kitt innerhalb der Gesellschaft bedeutet, macht Zipfels Installation nur allzu deutlich. Wo einige Bilder nostalgische Gefühle oder Erinnerungen wachrufen, wecken andere Unverständnis oder Wut. Viele der von ihr konstruierten Netze laufen ins Leere.

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Ausstellungsansicht “Ganz andere Wärme” von Karla Zipfel in Halle. Foto: Falk Wenzel.

Hinter den meisten Fenstern der unterschiedlichen Häuser sind Bretter genagelt. Auf den ersten Blick ist unklar, ob sie Vandalismus ausgesetzt waren, besetzt oder leerstehend sind. Wer jedoch um die Gebäude herumgeht, erkennt, dass es hinter dem äußeren Putz heiß hergeht. Je länger man sich mit Zipfels Netzen auseinandersetzt, desto deutlicher wird die Emotionalität von Themen wie Heizen und Energieversorgung. Auch zeigt sich, mit wie vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen die Energieversorgung verknüpft ist. Ein Besuch der Ausstellung ist, Achtung: wärmstens zu empfehlen.

WANN: Die Ausstellung “Ganz andere Wärme” ist noch bis zum 12. Oktober zu sehen.
WO: Ehemaliges XENOS Kaufhaus, Große Ulrichstraße 13, 06108 Halle.