Adrige Eier
Juli Schmidt bei Alpha Nova & Galerie Futura

24. Juni 2025 • Text von

Sind die Hühner gestresst, zeigt sich das auf der Schale ihrer Eier; sie werden adrig. In Juli Schmidts Ausstellung bei Alpha Nova & Galerie Futura werden verletzte Hühnereier zu Sinnbildern aller, die in ein ungesundes Umfeld gelegt wurden, aufwachsen in einer nur vermeintlich heilen Kleinfamilie. Mit der Zeit kehren sich unter der Haut liegende Verletzungen nach außen, das gemeinsame Abendessen wird zur Qual.

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Juli Schmidt, “Hast du jetzt etwa deinen Humor verloren”, alpha nova & galerie futura, Installation view. Photo: CHOREO – Lars-Ole Bastar & Roman Häbler.

Der morgendliche Blick in den Spiegel, dann wippen gehen auf dem Spielplatz mit den Kids, gemeinsames Abendessen und ab in die Falle. Die Kinder liegen dann in einem Hochbett übereinander und flüstern sich noch einige Gedanken zu. Die Routine sitzt. Gemütlich, oder? Auf den ersten Blick erscheinen die mit Eiern nachgestellten familiären Szenarien, die Juli Schmidt in großformatigen Fotografien abbildet und aktuell in ihrer Solo-Show “Hast du jetzt etwa deinen Humor verloren” bei Alpha Nova & Galerie Futura zeigt, heile und geordnet. Doch der Schein trügt.

So harmonisch die vier Eier auch an dem hölzernen Tisch auf den niedlichen Puppenhausstühlen zusammengekommen zu sein scheinen, weisen ihre Schalen doch alle Risse und Narben auf. Ein Schlüsselbund liegt auf dem Tisch und droht jeden Moment von der Kante zu rutschen. Die vier Eier sitzen aufrecht, wirken beinahe angespannt, als könnte man die Spannung in ihren nicht vorhandenen Nackenwirbeln spüren. Die Situation steht auf der Kippe. Was ist in dieser Ei-Familie los? Keines der vier Eier ist unversehrt, als hätte sich eine tiefliegende Verletzung vererbt. Ein epigenetisches Sinnbild? Doch sie halten sich wacker, halten durch.

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Juli Schmidt, “Hast du jetzt etwa deinen Humor verloren”, alpha nova & galerie futura, Installation view. Photo: CHOREO – Lars-Ole Bastar & Roman Häbler.

Die fünf großformatigen Fotografien hängen in und an einer hölzernen Architektur, die von Schmidt in Zusammenarbeit mit Felix op den Winkel im Ausstellungsraum installiert hat. Die Holzstreben ziehen den Grundriss einer winzigen Wohnung nach. Ein beengter Raum im Raum, der kaum einlädt, ihn zu betreten. Besucher*innen stehen davor, unsicher, ob sie sich durch die vertikalen Streben durchzwängen sollen. Eine Frau sagt, sie mag nicht, weil sie klaustrophobisch sei. Die Beklemmung ist räumlich und der lückenhaften, scheinbar luftigen Holzinstallation zum Trotz omnipräsent. Sie kriecht heimlich unter die Haut der Besucher*innen, wie sie es auch über die Jahre bei den Eiern getan hat.

Lange kann man es in einem solchen Haushalt nicht aushalten und doch müssen es viele. Kinder versuchen sich auf dem Spielplatz auf der Wippe von den Narben auf ihrer Haut abzulenken, haben Spaß für eine Stunde. Zuhause, wie auf einer weiteren sehr eindrücklichen Fotografie, verstecken sie sich dann hinter ihrer Zimmertür. Licht fällt von oben rechts in das Bild, das einen grauen trostlosen Raum mit einer geöffneten Tür zeigt. Zwei Eier verstecken sich in dem Schlagschatten, den die Tür in den Lichtschein schneidet. Ihre vernarbten Bäuche ragen aus dem Schatten heraus.

Juli Schmidt beschäftigt sich mit Körpern, Interaktionen und problematischen familiären Strukturen ohne sie konkret zu zeigen. Eier sind ihre humanen Stellvertreter*innen. Und natürlich: auch den Hühnern geht es offensichtlich schlecht. Hühner wie Humans; die Probleme beginnen in der Haltung, im Zuhause, in den ersten Lebensjahren. Nähe ist gut, Enge nicht.

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Juli Schmidt, “Hast du jetzt etwa deinen Humor verloren”, alpha nova & galerie futura, Installation view. Photo: CHOREO – Lars-Ole Bastar & Roman Häbler.

Schmidt setzt ihre Fotos händisch aus vielen einzelnen Fotos zusammen, jedes hat dabei einen anderen Fokuspunkt, sodass ein surrealer, fast gerenderter Eindruck entsteht. Mit dieser Technik erzeugt sie einen sterilen Grund, eine leblose Umgebung für die heimlich Verletzten, die in ihr leben. Auf einmal wirkt das, was eingangs nach Struktur und Ordnung aussah wie ein Käfig. Ein problematisches Zuhause mit semipermeabler Membran, es ist für den Blick von außen kaum zu durchdringen.

Juli Schmidts Ausstellung “Hast du jetzt etwa deinen Humor verloren” bei Alpha Nova & Galerie Futura hinterlässt ein bedrückendes Gefühl. Dieses Gefühl entsteht mit den Gedanken an ungeschütztes Kindeswohl, an Familien und Hühner, denen es schlecht geht, die in einem System verkommen und aufgrund von Armut oder Traumata in die Enge getrieben wurden. Juli Schmidts fotografische Installation drückt aktivierende Knöpfe. Lasst uns genauer hinsehen! Sprechen! Lauter sein! Käfige aufreißen!

WANN: Die Ausstellung “Hast du jetzt etwa deinen Humor verloren” läuft noch bis Freitag, den 25. Juli.
WO: alpha nova & galerie futura, Am Flutgraben 3, 12435 Berlin.

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