Angetrieben von Imagination Josephine Baker bei Nir Altman
26. November 2024 • Text von Julia Anna Wittmann
Für ihre Einzelausstellung “Prime Movers” verwandelt Josephine Baker die Galerieräume von Nir Altman in eine phantasmatische Maschinenhalle, bestückt mit ausufernden Turbinen und beleuchtet von skulpturalen Lampen. Ausgangspunkt für die raumgreifenden Skulpturen und Reliefs ist die Geschichte des Wasserrads im 18. Jahrhundert.
Aus der Wand ragt ein langes, metallenes Rohr. Große Schaufeln aus Aluminium graben sich in wellenartiges Sediment und blaue Kabel ergießen sich über den Boden. “Prime Mover (1)” und “Prime Mover (2)” erinnern in ihrer Erscheinung an die Turbinen eines Wasserkraftwerks, deren Schaufeln sich kraftvoll durch die wogenden Wellen eines fließenden Gewässers graben, um mechanische in elektrische Energie umzuwandeln. Die raumgreifenden Skulpturen in Josephine Bakers Einzelausstellung “Prime Movers” bei Nir Altman stehen jedoch still – festgefroren im Moment.
Der Titel der Ausstellung und der gleichnamigen Arbeiten “Prime Movers” verweist auf Bakers Faszination für die Geschichte des Wasserrads, den Ursprung der Bewegung und die Übersetzung von Energien. Das Wasserrad spielte in Großbritannien im Zuge der Entdeckung der Dampfkraft und der Industrialisierung im 18. Jahrhundert eine entscheidende Rolle bei der Energiegewinnung. Ins Deutsche übersetzt bedeutet “Prime Mover” so viel wie “Motor”. Gleichzeitig handelt es sich dabei auch um ein von Aristoteles entwickeltes Konzept der primären Ursache. Er beschreibt damit dem Ursprung aller Bewebung im Universum.
Die statischen Aluminium-Schaufeln werden von sechs horizontalen Lampen ergänzt, die ein sanftes Licht verströmen. Die Grundform der Leuchten ist einheitlich und erinnert an eine industrielle Umgebung, etwa die Maschinenhalle eines Tankers oder einer Fabrik. Die einzelnen Arbeiten der Serie “Hydro Electricity: bulkhead” wirken auf den ersten Blick identisch, bei genauerer Betrachtung jedoch werden individuelle Eingriffe sichtbar. Dickes, wulstiges Glas wölbt sich über die helle Schallung, weckt Assoziationen an gebrochenes Eis und Mondkrater. Hinter dem Glas verweisen blaue Kabel und freigelegte Kupferfäden auf die Herkunft der Elektrizität – die fließende Energie, dank der sie Licht spenden können.
Bakers Skulpturen und Reliefe setzen sich aus verschiedensten, größtenteils gefundenen Kleinteilen wie Aluminium, Elektrokabeln, Harz, Silikon, Bauschutt, Speiseöl, Ziegelabfällen oder Zigarettenkippen zusammen. Die verwendeten Materialien, die größtenteils aus Abfall- und Restbeständen bestehen, erfahren in Bakers Arbeiten eine Metamorphose. Die skulpturalen Kompositionen werden von der Künstlerin zu komplexen, plastischen Figurationen und materiellen Anordnungen zusammengefügt. Baker gibt den Materialabfällen eine neue Funktion und lässt sie Teil von imaginierten Landschaften werden, in denen sie fantasievolle Narrative aufspannen.
Bakers Relief “Searchlights” vereint die Thematik der Wasserkraft mit der Energiegewinnung. Zu sehen sind vier Lichtkegel, die über die dunkle Oberfläche eines Gewässers wandern: helle Pigmente auf haptischen, grauen Schiefernplatten. Die diagrammatische Anordnung von Glasplatten und geometrischen Formen erweckt den Eindruck einer naturwissenschaftlichen Abbildung – einer verschwommenen Luftaufnahme von Wasserströmen und Gezeiten.
Auch wenn Josephine Bakers Arbeiten stillstehen, wirken sie lebendig. In Aristoteles’ Konzept des “Prime Movers”, dem Ursprung aller Bewegung, ist es der “unmoved mover” der unbewegte Beweger, der aus der Ruhe heraus den Anstoß gibt. Josephine Bakers Skulpturen bewegen sich in unserer Vorstellungskraft: Wir sehen vor unserem inneren Auge, wie sich die Turbinenschaufeln kraftvoll durch die Erde der Nir Altman Galerie graben – unaufhaltsam und beständig.
WANN: Die Ausstellung “Prime Movers” läuft bis Dienstag, den 25. Januar.
WO: Nir Altman Galerie, Gabelsbergerstraße 83, 80333 München.