Das bittere Spiel der Macht Jordan Strafer bei Fluentum
25. September 2025 • Text von Carolin Kralapp
Macht, Justiz und der Umgang mit Opfern sexueller Gewalt sind die Themen, die Jordan Strafer in “Dissonance” bei Fluentum verhandelt. Ästhetisch oszilliert die dort zu sehende Erweiterung der Filmreihe “Loophole” zwischen Reality-TV, 90er-Jahre-Talkshow und trashigem Pop. Ray, ein lüsterner Strafverteidiger führt durch Prozess, Affäre und eine groteske Feier.

Beim Betreten des weitläufigen Geländes des US-Konsulats im Südwesten Dahlems ist sofort spürbar, dass dies ein geschichtsträchtiger Ort ist. Der Geist der Vergangenheit wandelt hier bis heute. Die monumentale Architektur verweist unmissverständlich auf die Zeit der Nationalsozialisten. Man fühlt sich klein und, zugegeben, auch ein bisschen eingeschüchtert – und es liegt Spannung in der Luft. Am Horizont zeichnet sich das Ziel des Ausflugs, das Ausstellungshaus Fluentum, ab. Nur noch ein paar Schritte, dann stehen Besucher*innen vor dem imposanten Gebäude – ein Ort, der nicht nur Filme zeigt, sondern immer wieder selbst als Kulisse für Filmdrehs und Produktionsstätte genutzt wurde, zuletzt für eine Produktion der US-amerikanischen Filmemacherin Jordan Strafer.
“Dissonance” bei Fluentum ist eine begehbare Installation und zugleich eine Erweiterung der seit 2023 entstehenden Filmreihe “Loophole”. Die ersten beiden Kapitel, “Loophole“ und “Decadence”, sind aktuell in der Ausstellung zu sehen. Das noch folgende Kapitel, eine Studie zu den drei bisherigen Arbeiten bei Fluentum, entstand während der Eröffnung im Rahmen der Berlin Art Week – und zwar im Talkshow-Studio des Jenseits, das den 1990er-Jahren nachempfunden ist. Es empfängt die Besucher*innen bereits jetzt, allerdings ohne Publikum, beim Betreten des Ausstellungsraums. Im Oktober, inmitten der Ausstellungslaufzeit, wird der dritte Film erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Im Zentrum aller Arbeiten steht der Film- und Theaterschauspieler Jim Fetcher, der den Strafverteidiger Ray verkörpert – eine Figur, die durch alle Kapitel führt.

Das erste fiktionale Kapitel von “Loophole” spielt in einem Gerichtssaal. Ausgangspunkt ist ein Gerichtsverfahren in Florida von 1991, das damals viel Aufmerksamkeit erregte, im Fernsehen übertragen und breit diskutiert wurde. Im Begleitheft der Ausstellung bleibt der Fall ungenannt, doch die Filme machen keinen Hehl daraus: Es geht um William Kennedy Smith, dem eine Vergewaltigung vorgeworfen wurde. Durch den Prozess führt der bereits vorgestellte Strafverteidiger Ray, der das unkenntlich verpixelte Opfer Holly und die Zeugin Sarah mit unangenehmen Suggestivfragen bedrängt und ihre Glaubwürdigkeit durchgehend untergräbt.

Die Geschichte gewinnt an Schärfe durch ihre Reality- und Trash-TV-Ästhetik, die den Prozess in überspitzter Form als das Medienspektakel inszeniert, das es war. Diese Ästhetik und der Film in Gänze unterstreicht auf bedrückende Weise: Das Opfer sexueller Gewalt wird degradiert, verunsichert und dem Thema die Ernsthaftigkeit entzogen. “Loophole” versteht sich nicht als faktenbasierte Nacherzählung des Prozesses, und doch durchziehen wahre Elemente den Film – entnommen aus Gerichtsakten, Verhör-Transkripten und Lokalnachrichten jener Zeit. Strafer lässt auch kleine autobiografische Bezüge einfließen: So tritt beispielsweise ihre Mutter auf, die damals Teil des Strafverteidigungsteams war und im Film als “The Pen” vorgestellt wird. Als der Strafverteidiger eine Affäre mit der Geschworenen Lisa beginnt – ein Detail, das tatsächlich der Realität entstammt – rücken das Opfer und der Angeklagte immer weiter in den Hintergrund. Die unglaublichsten Geschichten schreibt das Leben noch immer selbst.

Im zweiten Kapitel “Decadence” wird der Freispruch von Kennedy Smith ausgelassen gefeiert. Die Geschichte spielt auf dem Anwesen der Kennedys in Palm Springs – dort, wo die mutmaßliche Tat stattgefunden haben soll, die hier scheinbar niemanden mehr wirklich interessiert. Eine Rückblende holt die Zuschauer*innen in die Tatnacht zurück. Der Strafverteidiger Ray hält eine triumphierende Rede, ruft zum Besäufnis auf, es wird gelacht, getanzt, Drogen werden konsumiert. The Pen und auch die Geschworene Lisa, die Liason von Ray, sind Teil der dekadenten Feierei. Die Sonne scheint, die Schampusgläser sind gefüllt und dennoch zieht sich der Knoten in der Brust beim Zuschauen etwas enger.

Die beiden Kapitel laufen in Endlosschleife. Sie funktionieren für sich allein, doch die wiederkehrenden Figuren und die Art der Präsentation machen klar, dass sie Teil eines größeren Ganzen sind. Alle – bald drei – Filme haben zusammengenommen Spielfilmlänge. Die Filme von Strafer sind radikal überzeichnet, ein visueller Rausch. Ihre Ästhetik, inspiriert von Reality-TV und Talkshows à la Oprah Winfrey, ist ein Spiel – mit Bildern und mit Referenzen, mit dem Publikum, vor allem aber mit der Macht.
Lustig ist das Ganze nur auf den ersten Blick. Zwar stecken die Filme voller ironischer und humorvoller Momente, doch alles hat diesen bitteren Beigeschmack, der mit jeder Szene intensiver wird. Die farbenfrohe, poppige Ästhetik steht in direktem Kontrast zur Schwere des Inhalts. Die Filme visualisieren die Dekadenz und Unantastbarkeit der Reichen und Schönen, der Privilegierten dieser Welt, bis ins Absurde und wirklich Unangenehme. Gleichzeitig halten sie der Justiz den Spiegel vor – und sind, trotz der vielen Bezüge zur Vergangenheit, gerade mit Blick auf die USA erschreckend aktuell.
WANN: Die Ausstellung “Dissonance” läuft bis zum 13. Dezember.
WO: Fluentum, Clayallee 174, 14195 Berlin.
Hinweis: Am 24. Oktober findet von 12 – 18 Uhr die Premiere des neuen Films “Dissonance” als Teil der Ausstellung bei Fluentum statt. Der Eintritt ist frei.