Schlechte Träume und Nintendo Die Mythologie des Jonathan Monaghan
6. Oktober 2020 • Text von Julia Meyer-Brehm
Sind wir alle Kompliz*innen unserer Konsumkultur? Jonathan Monaghans Arbeiten sind von den ökologischen Folgen unseres Konsumverhaltens und der gesellschaftlichen Abhängigkeit von Technologie motiviert. Neben kritischer Reflexion bieten seine Werke aber auch eine Menge Pomp, Flausch und Extravaganz.
Wer sich gerne in künstlerischen Utopien verliert, dem seien die Arbeiten von Jonathan Monaghan wärmstens ans Herz gelegt. Dekadente, flauschige Sofakissen glitzern in menschenleeren Räumen, pastellfarbene Maschinen wippen organisch auf und ab. Oh, ein Einhorn! Monaghan verknüpft traditionelle Mythen mit Elementen aus Science-Fiction, Überwachungssystemen und materialistischer Kultur. Und so scheint irgendetwas in seinen bunten Fantasiewelten stets auch lauernd und bedrohlich. Mit gallerytalk.net sprach der Künstler über diese Ambivalenz, über Werbeästhetik und seine neuen Mythologien.
gallerytalk.net: Leben wir gegenwärtig wieder in Zeiten wie Marie Antoinette – inklusive Ungleichheit, Konsum und Dekadenz?
Jonathan Monaghan: Meine ersten Werke habe ich während der globalen Finanzkrise 2007-2008 geschaffen. Es lag diese Angst in der Luft, diese Ungewissheit über die Zukunft, als die Grundlagen unserer kapitalistischen und konsumorientierten Gesellschaft als gefährlich instabil entlarvt wurden. Auch die Jahre nach der Krise waren geprägt von der immer größer werdenden Einkommensschere. All diese Einflüsse durchdringen heute noch meine Arbeit.
Sollten wir uns deswegen schuldig fühlen?
Das alles liegt außerhalb der Kontrolle einer einzelnen Person, aber ja, die Menschen fühlen sich deswegen schuldig. Man könnte meine Arbeit als Therapie für eine ungewisse Zukunft betrachten. Ähnlich wie ein Traum verkörpert die Symbolik meiner Arbeiten unser aller Ängste und Befürchtungen.
Wir sind alle mit Science-Fiction-Filmen und Videospielästhetik aufgewachsen. Welche haben dich besonders geprägt?
Ich bin sogar so weit gegangen, Elemente aus Nintendo-Spielen in meine Videos aufzunehmen, zum Beispiel in „Sacrifice of the Mushroom Kings“ aus dem Jahr 2012.
Wenn du das Set oder die Kostüme für einen Sci-Fi-Film kreieren dürftest, wie würde der fertige Streifen wohl heißen?
Es ist tatsächlich ein Traum von mir, etwas mit einem wirklich großen Budget künstlerisch zu inszenieren. Vielleicht ein Film über die Zukunft, wo die Technologie ein Eigenleben führt. Keine Ahnung, wie der dann heißen würde, ich war nie gut mit Titeln!
Die von dir erschaffenen Welten sind „entmenschlicht”. Personen wie du und ich sind nirgendwo zu sehen – Utopie oder Dystopie?
Unsere zunehmende Abhängigkeit von Technologie bringt eine gewisse Entfremdung und Isolation mit sich. Eine Welt, in der das Leben mehr und mehr über digitale Bildschirme gelebt wird. Mit meinen Animationen zeige ich eben so eine Welt, in der das Menschliche nicht mehr existiert, in der aber unsere Technologie und unsere Konsumkultur weiterhin gedeihen und ein Eigenleben führen.
Ein Appell an die Betrachtenden?
Ich bitte die Betrachter*innen, darüber nachzudenken, wie die Zukunft aussehen könnte, wenn wir auf unserem derzeitigen Pfad der digitalen Abhängigkeit weitergehen. Meine Welten sind keine typischen postapokalyptischen Landschaften mit zerstörten Städten oder riesigen Wüsten. Stattdessen werden in meiner Vision Produkte ausgestellt, alles ist sehr körperlich und doch steril, wodurch eine ironische Dissonanz zwischen dem Fantastischen und dem Banalen entsteht.
Du verwendest häufig modifizierte Firmenlogos oder Markennamen. Gab es deswegen schon mal Probleme?
Ganz in der Tradition amerikanischer Pop-Art-Künstler, die die Popkultur kritisch reflektiert haben, ja. Ich erschaffe Welten, die traumähnlich sind, nutze aber zugleich Firmenlogos und Konsumartikel, die uns unheimlich vertraut sind. Logos sind starke Symbole, die in unserem Leben so allgegenwärtig sind, dass es Künstler*innen erlaubt sein muss, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Sie sind also ein wichtiger Aspekt dieser neuen Mythologien, die ich in meinen Videoinstallationen schaffe. Es gibt viele rechtliche Präzedenzfälle, die diese künstlerische Freiheit schützen.
Diese neue Mythologie, von der du sprichst, wie unterscheidet sie sich von unserer traditionellen Mythologie?
Wir wissen aus dem Studiengebiet der vergleichenden Mythologie, dass ähnliche Themen und Symbole über lange Zeit und verschiedene Kulturen hinweg bestehen. Sie sind tief in der menschlichen Psyche verwurzelt, und ich versuche, dies mit meinen Videoinstallationen zu erschließen. Die Mythologien, die ich schaffe, sind also den traditionellen mythologischen Geschichten sehr ähnlich, zeigen aber Bilder, die aus der Gegenwart stammen.
Etwa wie in deiner Arbeit „Disco Beast“?
„Disco Beast“ ist eine Videoinstallation aus dem Jahr 2016, in der ein psychedelisches Einhorn durch eine Reihe trostloser Geschäftsräume wandert, durch ein leeres Einkaufszentrum und eine Luxushotellobby. Die Arbeit bezieht sich sowohl auf die mittelalterliche Ikonographie eines Einhorns in Gefangenschaft als auch auf sein Erscheinen in der Populärkultur. So baue ich eine neue Mythologie der modernen Gefangenschaft durch Technologie und Materialismus auf.
Deine Kunst kann sowohl im Internet konsumiert als auch analog in Galerien betrachtet werden. Was ziehst du vor?
Es ist wesentlich, Kunstwerke zusammen mit anderen Menschen zu erleben. Ausstellungen haben oft auch einen wichtigen Gemeinschaftsaspekt. Deshalb finde ich es besser, wenn meine Arbeiten im physischen Raum erlebt werden können, also in einer Galerie, einem Museum oder an einem anderen öffentlichen Ort.
Vor kurzem hast du in Kooperation mit Meow Wolf eine Arbeit für The Infinite Playa ein virtuelles Burning Man Universum, erstellt.
Ja, obwohl die Arbeit nur online zugänglich ist, kann man sie im Multiplayer zusammen mit anderen erleben. Sie ist im Kontext einer Gemeinschaft entstanden, daher ist sie für mich sehr interessant.
Warst du selbst schon einmal bei Burning Man?
Nein, noch nie. Die virtuelle Version ist sicher weniger sandig und leichter zu erreichen! Es war eine einzigartige Zusammenarbeit, die ganze Infinite Playa ist ein wirklich gewaltiges Unterfangen. Das Ganze war ein riesiges Experiment und zeigt das großartige Mindset von Meow Wolf und den Leuten, die The Infinite Playa entwickeln!
Gibt es eine Traumkollaboration, die du in Zukunft gerne umsetzen würdest?
Ich habe in letzter Zeit an einigen Musikvideos gearbeitet und würde das gerne fortsetzen. Viele Musiker*innen haben durch Corona große Schwierigkeiten. Videos ohne große Produktion, nur animiert, zu erstellen, ist eine großartige Möglichkeit, sich jetzt gegenseitig zu helfen. Vielleicht könnte das dazu führen, mit einigen der vielen Darsteller*innen zu arbeiten, die ich bewundere, wie Lady Gaga oder FKA Twigs. Man wird ja wohl noch träumen dürfen!
WANN: Jonathan Monaghans Arbeit „Disco Beast“ ist ab Freitag, den 9. Oktober, in der Ausstellung “#cute” zu sehen. Die Ausstellung läuft bis zum 10. Januar 2021.
WO: NRW-Forum, Ehrenhof 2, 40479 Düsseldorf.