Das Leuchten der Anderen Jonas Brinker im Kunstverein Harburger Bahnhof
24. April 2025 • Text von Katrin Krumm
In der griechischen Mythologie brachte Prometheus – der “Feuerbringer” – den Menschen das Licht. Seitdem wurde Licht zum Mittel, sich die Welt untertan zu machen. In “Nightfall”, Jonas Brinkers Videoinstallation im Kunstverein Harburger Bahnhof, ist Licht jedoch kein Werkzeug der Beherrschung, sondern ein Mittel der Verbindung. In “What Remains of Light” steckt auch die Erkenntnis, dass das, was wir sehen, nicht uns gehört.

Im Park wird es dunkel. Die Augen passen sich der Dämmerung an, der Blick justiert sich und gleitet durch die Schatten bis zu einem Insekt, das sich vorsichtig über die Blattoberfläche bewegt. Die Kamera bleibt ruhig, nur die Schärfe verlagert sich sanft – millimeterweise fokussiert sie erst den Panzer, dann den Kopf. Der Bildausschnitt ist so nah, dass man die feinen Zeichnungen auf dem Chitinpanzer erkennt, ebenso wie die Struktur des Blattes unter den tastenden Beinen.
Die Aufnahmen sind unterlegt vom geschäftigen Grundrauschen einer urbanen Szene. Straßengräusche, wie beispielsweise Sirenen, weisen auf den Ort des Filmdrehs hin: Jonas Brinkers “What Remains of Light” versammelt filmische Beobachtungen aus dem Central Park, aufgenommen während seines Aufenthalts in New York im Jahr 2022. Für seinen Film “Nightfall” richtet der Künstler seinen Blick auf die dort heimischen Glühwürmchen.

Mit jedem Schnitt wird die Umgebung um das Insekt etwas dunkler, bis einzelne von ihnen anfangen, pulsierende Lichtsignale auszusenden. Warum hat dieser Anblick so etwas Faszinierendes an sich?
Wenn Glühwürmchen für den Menschen sichtbar werden, ist dies das letzte Kapitel ihres Lebens. Über 95 % ihrer Zeit verbringen sie im Larvenstadium, verborgen in der Erde, unter feuchtem Laub, über Monate oder Jahre hinweg. Sichtbar werden sie nur wenige Tage – zur Paarung. In dieser kurzen Phase nehmen sie keine Nahrung mehr zu sich, sie leben aus Reserven. Ziel des Lebens über der Erde ist die Partnersuche, worauf auch ihr Leuchten abzielt, vor allem in der Dämmerung und nachts. Bei ihrem Leuchten wird chemische Energie in Form von sichtbarem Licht freigesetzt – ein Prozess, der physiologisch aufwändig ist. Deshalb leuchten Glühwürmchen nur nachts, wenn die Sichtbarkeit ihres Signals am höchsten ist.

Auf einen harten Schnitt im Film folgen Aufnahmen der New Yorker Skyline, gefilmt durch das offene Fenster eines Helikopters. Langsam ziehen das Chrysler Building, das Empire State Building durch die Bildmitte, schließlich endet die Fahrt in unmittelbarer Nähe zum Central Park.
Seit der Entdeckung des Feuers durch den Menschen ist alles hell erleuchtet: Was sichtbar gemacht wird, steht selten außerhalb von Kontrolle. Besonders, wenn der Blick durch technische Apparate wie Kameras, Drohnen oder Helikopter verlängert wird, schwingt in der Geste der Sichtbarmachung oft auch ein Moment des Aneignens mit. Der Blick aus der Höhe ist weit und kontrollierend. Der Helikopter erscheint in diesem Kontext als Verlängerung des Auges, als Mittel zur Sichtbarmachung, aber auch zur Distanznahme. Der Blick von oben erhellt alles, aber verbindet nichts.

Anders das Licht der Glühwürmchen: Es ist kein „Erhellen“, sondern ein Signal als Einladung zur Begegnung und Geste im Wissen darum, dass sie verstanden wird. Kann sich der Mensch in dieser Szene als Teil der Natur begreifen? Oder bleibt ihm nur die romantisierende Beobachtung aus der Distanz?
“Nightfall” arbeitet mit Licht als Übersetzungsfigur. Er konfrontiert menschliche Zeitlogiken – lineare Fortschreibung, Effizienz, Kontrolle – mit anderen Rhythmen: der Dämmerung, dem Lebenszyklus, der flüchtigen Präsenz der Glühwürmchen. Auch der Mensch sieht dieses Leuchten; das Licht ist für ihn sichtbar, seine Bedeutung jedoch bleibt unzugänglich. Was bleibt, ist ein symbolischer Moment als Form von Nähe. Zwar endet er nicht in Verständigung, aber vielleicht ins Erkennen.
WANN: Die Ausstellung “What Remains of Light” läuft noch bis einschließlich Sonntag, den 18. Mai.
WO: Kunstverein Harburger Bahnhof, Hannoversche Straße 85, 21079 Hamburg.