Auf den Zahn gefühlt
Johannes Bendzulla in der Petra Rinck Galerie

16. September 2022 • Text von

Johannes Bendzulla zeigt in der Düsseldorfer Galerie Petra Rinck Zähne, wenn seine Arbeiten von glänzend weißen Kauwerkzeugen durchsetzt sind. In digitale Collagen eingebaute malerische Details, vermeintliche Passepartouts und Zahnimplantate täuschen dabei Echtheit vor, fordern die gewohnte Wahrnehmung der Betrachtenden heraus. In generischen Räumen, vergleichbar sterilen White Cubes, tun sich plötzlich Abgründe auf, bekommen perfekte Oberflächen Risse, geben Einblick in Darunterliegendes.

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Johannes Bendzulla, “White Cube White Teeth”, Installationsansicht, © Johannes Bendzulla & Galerie Petra Rinck, Düsseldorf.

Riesige losgelöste Zähne samt Wurzeln schweben, nur über einen dünnen Draht miteinander verbunden, unübersehbar inmitten eines minimalistisch eingerichteten Schlafzimmers. Das seltsam zergliederte Gebiss sitzt nahe der Lichtquelle in der hohen Raumflucht, unmittelbar über dem frisch bezogenen Bett. Ein makelloser Raum, wären da nicht diese grotesk anmutenden Beißer, die wie ein materialisierter Albtraum oberhalb des nächtlichen Zufluchtsortes thronen, über die dunkle Farbe hinweg auf das Bett tropft, es mit schwarzen Flecken besudelt. Schlafende müssen sich zurecht nachts ängstigen, die Spange möge sich lösen, so dass die in Reihe gehaltenen Zähne hinunterstürzten, die Träumenden durchbohrten und auf ewig ans Bett bänden.

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Johannes Bendzulla, “White Cube White Teeth”, © Johannes Bendzulla & Galerie Petra Rinck, Düsseldorf.

Dann plötzlich prangen die Zähne zur Architektur gehörig, in eine Art Maßwerk eingefasst, direkt unterhalb der Decke, sind nun glänzend weiß, strotzen vor glatter Perfektion. Über der freistehenden Wanne des Badezimmers verortet, lassen sie sich sofort mit Sauberkeit und Reinheit in Verbindung bringen. Einer dieser überdimensional großen Zähne hat sich jedoch aus der strikten Reihung gelöst, bewegt sich nach unten, schwebt frei im Raum und lässt somit seine Verankerung erkennen. Denn keine echten Zähne sind es, die in makellosem Weiß die lichte Fensterfront reflektieren, sondern Veneers, dünne Verblendschalen aus Keramik oder Kunststoff, die auf runtergefrästen Zahnköpfen befestigt sind.

Die künstlichen Zähne versprechen das perfekte Influencer-Lächeln, verleiten manche Menschen, sich die gesunden Zähne bis auf Stümpfe herunter zu schälen. Wie so oft liegt der Fokus allein auf der Fassade, auf der Außenwirkung der eigenen Person. Vom Schlafzimmer über das Badezimmer zur Küche gelangt, schraubt sich auf ähnliche Weise ein Zahnimplantat in der düster-kalten Küchenatmosphäre nach unten, verharrt über dem Esstisch wie zuvor über der Badewanne in der Luft. Ein wenig fremd in der vertrauten Welt fühlt man sich beim Betrachten der allzu cleanen Oberflächen und unbehaglichen Motivik.

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Johannes Bendzulla, “White Cube White Teeth”, Installationsansicht, © Johannes Bendzulla & Galerie Petra Rinck, Düsseldorf.

Zähne entwickelten sich in den letzten Jahren zu einer Art Leitmotiv des Künstlers Johannes Bendzulla, der zuvor ergebnisoffen mit verschiedenen Körperteilen als Motiven experimentiert hat. Die Kauwerkzeuge sind allgegenwärtig, werden in Form makelloser Exemplare mit Gesundheit, Jugend und Erfolg assoziiert, ihr Gegenteil hingegen schnell auf Siechtum, Alter und Mittellosigkeit zurückgeführt. Wer von sich überzeugen möchte, mit seiner Erscheinung Eindruck schinden will, sollte seine Zähne quasi als persönliche Visitenkarte etablieren. Diese tauchen nun in unterschiedlichsten Ausführungen – gebleacht, als Implantate, Veneers, als zerbrochene Architekturen in zerklüfteter Felsenlandschaft – innerhalb der anlässlich des DC Open eröffneten Ausstellung “White Cube White Teeth” in der Düsseldorfer Petra Rinck Galerie auf.

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Johannes Bendzulla, “White Cube White Teeth”, © Johannes Bendzulla & Galerie Petra Rinck, Düsseldorf.

Reinweiße Zähne korrespondieren bei Bendzulla mit makellosen Räumen in von InnenarchitektInnen kuratierter Simulationsästhetik, innerhalb derer nur eine einzige herumfliegende Socke vollkommen undenkbar scheint. Die durchgerenderte Perfektion kann jedoch schnell ins Abgründige driften, wenn die Beißschiene drohend über dem Schlafplatz schwebt und in der Traumdeutung das Ausfallen von Zähnen dem Tod geliebter Menschen gleichkommt. Eigentlich symbolisieren Zähne Leben, dienen als Kauwerkzeuge der Nahrungsaufnahme und sind trotzdem in jungen wie in späten Jahren latent mit Schmerzen assoziiert. Wem rollen sich angesichts einer bevorstehenden Wurzelbehandlung nicht auch die Fußnägel nach oben? Ähnlich verhält es sich mit der Wohnung, dem Zuhause, das gleichermaßen Refugium wie Gefängnis sein kann, bei Bendzulla schnell allzu steril wirkt und die offensichtliche Künstlichkeit jegliche Persönlichkeit stiehlt.

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Johannes Bendzulla, “White Cube White Teeth”, Installationsansicht, © Johannes Bendzulla & Galerie Petra Rinck, Düsseldorf.

Zähne können zudem Zorn und Wut ausdrücken oder aber Angst auslösen, man denke nur an die gefletschten Zähne eines tollwütigen Hunds. Auch bei Menschen können sie als überpräsente, blendende Beißschiene im Dunkel aufblitzen, beinah animalisch wirken. Tatsächlich setzt Bendzulla diesen Aspekt ebenfalls ins Bild, wenn ein schwarzer Panther sein Maul weit aufsperrt, seine scharfen Eckzähne präsentiert und sich kleine weiße Pins zu einer zweiten Zahnreihe gruppieren. In alle Richtungen abstehende Schnurrhaare verlieren sich dabei wie Bleistiftzeichnungen im umgebenden Raum. Ein wildes Tier, als Ausstellungstück in den White Cube transferiert, ist letztlich reflexiver Rückbezug auf die Präsentation von Kunst selbst.

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Johannes Bendzulla, “White Cube White Teeth”, Installationsansicht, © Johannes Bendzulla & Galerie Petra Rinck, Düsseldorf.

Der sterile White Cube gibt den ausgestellten Werken Raum zur freien Entfaltung, erschafft eine fast sakrale Atmosphäre, bereitet eine Bühne für sich allein stehende Kunst. Zugleich schließt die aseptische Ausstellungssituation die Welt aus, bleibt unbeschmutzt von äußeren Einflüssen, haftet dem White Cube schnell etwas Elitäres an. Die Reflexion des KünstlerInnendaseins ist kein neues Thema für Bendzulla, hat er sich doch in vorangegangenen Werken bereits intensiv mit dem zwiespältigen Selbstverständnis von Künstlertum, mit Entgrenzungsmomenten und Selbstausbeutungstendenzen, auseinandergesetzt. Immer wieder tauchen kleine Gimmicks auf, zum Beispiel eine personifizierte Palette mit Pinsel, welche die Besuchenden auf einer wandfüllenden Fototapete in der Galerie willkommen heißt oder ein wie von Pinseln durchbohrtes Herz, das auf einer Architektur zur Warenpräsentation sowie in Form einer kleinen Skulptur in der Ausstellung zu finden ist. Bendzulla macht sich dabei Stockimages aus Online-Datenbanken, hyperreale Aufnahmen aus dem kommerziellen Bereich der Werbefotografie zunutze, die er allesamt in einem eigens angelegten Archiv sammelt und bei Bedarf hervorholt, neu miteinander kombiniert.

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Johannes Bendzulla, “White Cube White Teeth”, © Johannes Bendzulla & Galerie Petra Rinck, Düsseldorf.

Die digitalen Collagen mäandern zwischen den Medien, weisen malerische Elemente auf, wenn scheinbar analog aufgebrachte Farbnasen über die Bilder laufen, pastose Pinselstriche und bunte Farbspritzer die Perfektion stören. Sie täuschen auf formaler Ebene mit allem Anschein nach sorgsam bemalten Bildrändern sowie auf inhaltlicher Ebene mit Zahnimplantaten oder Veneers Echtheit vor. Die falschen Zähne sind sofort als künstlich erkennbar, die Bildränder der vermeintlichen Tafelbilder entpuppen sich allerdings – genauso wie die Pinselstriche – erst auf den zweiten Blick als rein digital auf Papier erstellt. Ähnlich verhält es sich mit den Passepartouts der angeblich gerahmten Fotografien oder den Pins, die mittels Schattenwürfen Räumlichkeit suggerieren.

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Johannes Bendzulla, “White Cube White Teeth”, Installationsansicht, © Johannes Bendzulla & Galerie Petra Rinck, Düsseldorf.

Das Trompe-l’œil verrät sich bei genauem Hinsehen zusätzlich in einem winzigen Detail, in einem kleinen Bildfehler, einem Störelement am Bildrand, das wie ein kaum merklicher Glitch unerwartet in die Perfektion einbricht, einen fehlerhaften Ausbruch aus mathematischer Präzision sichtbar macht. So wechseln die Collagen als Vexierbilder vor dem betrachtenden Auge zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, ein in der körperlosen digitalen Sphäre allgegenwärtiges Phänomen. Irgendwo zwischen Realität und Simulation lotet Bendzulla die Möglichkeiten digital generierter Bilder aus, spielt mit der Wahrnehmung, fühlt unserem Verhältnis zur Wirklichkeit gehörig auf den Zahn.

WANN: Die Ausstellung “White Cube White Teeth” von Johannes Bendzulla läuft bis Samstag, den 15. Oktober.
WOPetra Rinck Galerie, Birkenstraße 45, 40233 Düsseldorf.

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