Ein Stück Porsche
Jeremy Hutchison im Kunstverein Harburger Bahnhof

6. Oktober 2022 • Text von

Knallig, sexy, fragmentiet – so präsentiert Jeremy Hutchison seinen Porsche im Kunstverein Harburger Bahnhof. Die Ausstellung “The Never Never” unterstreicht: Das Auto ist politisch. (Text: Theresa Weise / Paul Weinheimer)

Jeremy Hutchinson kunstverein harburger bahnhof 1
The Never Never, Jeremy Hutchison, curated by Evelyn Simons, 2022, Ausstellungsansicht, Kunstverein Harburger Bahnhof, Foto: Fred Dott.

Bevor Jeremy Hutchison sich für ein Kunststudium an der Slade School of Art entschied, studierte er Sprachwissenschaften und arbeitete für eine Weile bei Coca-Cola. Ein Getränk, eine Marke, ein Life-Style: Coca-Cola als Meister*in des Marketings. Wer kennt ihn nicht, den Gedanken an eine kalte Coke auf Eis und Zitrone – dann sieht die Welt und der Kater schon wieder ganz anders aus: Konsum mit 7 Würfel Zucker.

Konsumierern lässt sich auch die Ausstellung „The Never Never“ von Jeremy Hutchison im Kunstverein Harburger Bahnhof, kuratiert von Evelyn Simons. Bevor man in Harburg ankommt, trifft man schon am Hamburger Bahnhof auf die begleitenden Billboards, dokumentiert von dem Fotografen Dani Pujalte, der sonst für Marken wie Adidas, Converse oder Stella McCartney fotografiert. Ein Zweig der Ausstellung ist getarnt als „Werbung“ zwischen Rittersport und Deutsche Bahn. Auf dem Plakat sieht man ein Stück eines knallig orangen Porsches auf menschlichen Beinen in Apollo-Pose und ohne PS.

Jeremy Hutchinson kunstverein harburger bahnhof 2
The Never Never, Jeremy Hutchison, curated by Evelyn Simons, 2022, Ausstellungsansicht, Kunstverein Harburger Bahnhof, Foto: Fred Dott.

Von 0 auf 100 in nur 2,7 Sekunden zieht Porsche in die Herzen einer sogenannten Elite. Das Auto als Distinktionsmerkmal ist kein Novum. Autos sind schon immer politisch – ob das Tempolimit in Deutschland oder die europäische Treibhausgasbilanz, verschuldet durch den Verbrennungsmotor.

Autos gelten darüber hinaus jedoch vor allem als Wohlstandsymbol. In der Vergangenheit dienten sie dadurch als Argument, bedürftigen Gruppen ihren Anspruch auf finanzielle Hilfe streitig zu machen. So wurde jüngst argumentiert, die ukrainischen Flüchtlinge würden ja ohnehin alle mit ihren Luxuskarosserien anreisen, wieso solle man „die“ dann unterstützen?

Ähnliches ließ sich auch zu Zeiten der Griechenlandkrise beobachten. Damals wurde der Porsche zum Symbol eines korrupten Systems: Keine Steuern zahlen, aber Porsche fahren, so der mediale Vorwurf, der dazu diente, dem griechischen Staat seinen Rettungsschirm zu verwehren.

Jeremy Hutchinson kunstverein harburger bahnhof 4
The Never Never, Jeremy Hutchison, curated by Evelyn Simons, 2022, Ausstellungsansicht, Kunstverein Harburger Bahnhof, Foto: Fred Dott.

Jeremy Hutchison rekurriert mit seiner Arbeit im Harburger Bahnhof auf ebendieses Argument. Einzelne auf Sockeln und anatomisch korrekt arrangierte Porsche-Teile ergeben eine angedeutete Porsche-Skulptur. Zweckentfremdet, selbstbewusst und sexy steht er da, der 911. Ein Porsche ohne Funktion, aber mit Sinn.

Die Advertising Campaign, ein Video des Künstlers in Zusammenarbeit mit Evelyn Simons und dem Kollektiv Nova Melancholia, spielt in Dauerschleife einen „kommerziellen“ Werbefilm. Die Athener Performancegruppe trägt die Einzelteile des Porsches durch die griechische Landschaft, vorbei an Schafen, hin zum Mittelmeer und letztlich in ein Fotostudio.  

Das Projekt beleuchtet, wie durch politisch motivierte Medienkampagnen Falschmeldungen in Umlauf gebracht wurden. Auch wenn die Korruptionsvorwürfe gegen Griechenland nicht aus der Luft gegriffen sind, ist es wichtig zu betonen, dass der Großteil der Bevölkerung in der Krise alles andere als in Saus und Braus gelebt hat. Ein Stück Porsche gab es somit nicht für alle, sondern für einen kleinen Teil, der dazu instrumentalisiert wurde, allen anderen die finanzielle Hilfe zu verwehren.

Jeremy Hutchinson kunstverein harburger bahnhof 3
The Never Never, Jeremy Hutchison, curated by Evelyn Simons, 2022, Ausstellungsansicht, Kunstverein Harburger Bahnhof, Foto: Fred Dott.

Ein weiteres Beispiel für die Anti-Griechenland-Kampagne ist der brisante Mittelfinger des ehemaligen Finanzministers Yanis Varoufakis, auf den sich die Medienlandschaft voyeuristisch stürzte. Bis heute ist nicht ganz klar, ob sich dieser vermeintliche Fauxpas wirklich ereignet hat. Wenn man sich die fremdenfeindlichen Behauptungen in dieser Zeit vor Auge führt, kann man seine Wut jedoch nachvollziehen.

WANN: Die Ausstellung “The Never Never” von Jeremy Hutchison läuft bis zum 13. November.
WO: Kunstverein Harburger Bahnhof, Hannoversche Str. 85, über Gleis 3 & 4, 21079 Hamburg.

Weitere Artikel aus Hamburg