Eine Oper auf Asphalt
Jakob Spengemann in der Galerie Oel-Früh

13. November 2024 • Text von

Ein Parkplatz im Opernhaus, ausgelegt mit rotem Samt. In der Mitte ein Orchester, um das sich ein Publikum versammelt. Aus hochpolierten Autoteilen treten melancholische, introspektive Klänge. Jakob Spengemanns Rauminstallation “Wroooaaaam Wroam!” in der Galerie Oel-Früh ist eine Ode an das Auto und den Körper, an die Verbindung miteinander, die nur durch Ton entstehen kann.

Jakob Spengemann, Wroooaaaam Wroam!, Ausstellungsansicht, Galerie Oel-Früh, Hamburg, 2024. Photo: foto.documentation

Der Zugang zu der Ausstellung “Wroooaaaam Wroam!” in der Galerie Oel-Früh führt durch ein Rolltor, was darauf hindeutet, dass sich dort einst eine Werkstatt befand. An den Wänden befinden sich Ausgaben des Motorsport-Comics Michel Vaillant, das in den späten 1950er Jahren Bekanntheit erlangte. Es geht auf den Ingenieur und Erfinder des Automobils Carl Friedrich Benz zurück, dessen Geburtsname Karl Friedrich Michael Vaillant war. Präsentiert in Sammlerrahmen, zeigen die Comics kaum noch die ursprünglichen Motive: Der Hauptcharakter mit schwarzem Kurzhaarschnitt und weißem Outfit ist darauf nicht mehr zu sehen, die Seiten sind bis auf wenige vereinzelte Motive leer. Dafür ziehen sich riesige, lautmalerische Schriftzüge in dicken, schwarzen Buchstaben über die Seiten.

Platziert auf dem Galerieboden liegen stahlgraue Autoteile. Sanft eingebettet auf rotem Samt geht von jedem einzelnen Objekt ein warmer Sound aus, der sich im Raum zusammenträgt. “Fast jedes Hip-Hop-Album wird im Auto gegengehört”, erzählt Jakob Spengemann gallerytalk.net in einem Telefonat am Tag nach dem Opening. Tuning-Kultur in Musikvideos, Roadtrip-Playlists, maßgeschneiderte Soundsysteme sowie individualisiertes Sounddesign für Autos – die Verbindung von Musik und Auto ist vielschichtig.

Jakob Spengemann, Wroooaaaam Wroam!, Ausstellungsansicht, Galerie Oel-Früh, Hamburg, 2024. Photo: foto.documentation

Die von Spengemann zu Instrumenten umfunktionierten Auspuffrohre stammen fast alle von Fahrzeugen. Trotz des vordergründig maskulinen Auftritts wirkt die Komposition im Ganzen sanft – als ob die neu geschaffenen Instrumente im Inneren eines Instrumentenkoffers liegen würden, gleichermaßen erhaben und provisorisch, verletzlich und amateurhaft, was sich auch im fragmentierten Sound spiegelt.

Vermeintlich geleitet durch winzige, fragmentarische Partituren, die sich auf den Comicbuchseiten an den Wänden finden, vereint der Soundteppich Ausschnitte aus bekannten Orchesterstücken, klassischer Musik mit elektronischen und experimentellen Klängen sowie Tonaufnahmen des Künstlers selbst. Er beinhaltet Werke wie Claude Debussys von griechischen Mythen inspirierten Querflötensolo “Syrinx”, Michel Portals Klarinettensolo “Max Sad Clarinette” und Luigi Nonos experimentelle akustische Komposition “La Fabbrica Illuminata”, die sich mittels Aufnahmen aus einer Fabrik in Italien mit Arbeiter*innenwiderstand beschäftigt.

Jakob Spengemann, Wroooaaaam Wroam!, Ausstellungsansicht, Galerie Oel-Früh, Hamburg, 2024. Photo: foto.documentation

Im Verlauf des Stücks gehen die Tonspuren ineinander über, überlagern sich und werden leiser. Vereinzelt treten zwischen den dunklen Saxophonklängen und melancholischen Solos hörbare Atemgeräusche und Stimmen hervor, die Dieselmotoren imitieren, sowie Klänge aus dem Sounddesign für den BMW i4, komponiert von Oscar-Preisträger Hans Zimmer. Spengemann integriert traditionelle und historische Instrumente wie den rekonstruierten Klang eines nordischen Kriegshorns sowie funktionale Melodien aus dem Militär, die in einer neuen Anwendung auch als Gedenkmusik bei Zeremonien wie Beisetzungen Verwendung finden.

So, wie der Ton zwischen Transformation und Rekontextualisierung changiert, werden die Auspuffrohre durch die Umnutzung der Kammern der integrierten Schalldämpfer zu Blechblasinstrumenten verwandelt. Indem Spengemann sie aus ihren ursprünglichen Kontexten nimmt und umfunktioniert, collagiert er eine Umgebung, die Bilder aus Oper und Alltag sowie Hoch- und Subkultur vereint.

Jakob Spengemann, Wroooaaaam Wroam!, Ausstellungsansicht, Galerie Oel-Früh, Hamburg, 2024. Photo: foto.documentation

Während der Eröffnung wird Spengemann häufig angesprochen, wobei sich die Gespräche immer wieder um die Konstruktion und den technischen Hintergrund der Installation drehen. Der Austausch verläuft über technische Themen und zeigt, wie fachliches Wissen als gemeinsame Basis und Ebene dient, auf die direkt übergegangen werden kann. Währenddessen entsteht ein anderer Zugang über Spengemanns Verwendung von vertrauten, klanglichen Referenzen, die die Audiocollage zugänglich machen. Wiederum andere Besuchende der Ausstellung knien auf dem roten Teppichboden, um herauszufinden, wo der Ton entsteht.

In der Schlussfolgerung entsteht um das Werk Spengemanns eine Form des gemeinsamen Zusammenfindens, das um Bewunderung, Repräsentation und Sampling-Kultur kreist. Die Rauminstallation führt Musik als Mittel der Kommunikation ein, das über sinnliche Wahrnehmung funktioniert – als implizites Wissen, das innere Bilder evoziert, jedoch nicht verbalisiert werden kann.

WANN: Die Ausstellung “Wroooaaaam Wroam!” läuft noch bis Sonntag, den 1. Dezember. Besuche sind möglich am Mittwoch, den 13. und Sonntag, den 17. November, sowie nach Vereinbarung unter info@oelfrueh.org.
WO: Galerie Oel-Früh, Marckmannstraße 32, 20539 Hamburg.

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