Der Geschmack des Silberlöffels Jack O’Brien bei Capitain Petzel
24. Januar 2025 • Text von Lara Brörken
Bei Jack O’Briens Soloshow “Cascade” bei Capitain Petzel ist das mit der Physik anders. Seine Objekte glänzen zaghaft an den Wänden und wirken umso kräftiger. Instrumente flirten mit PVC und Schlauch, winden sich umeinander und Löffel lassen sich fallen. Im Zentrum dieses weichfließenden Universums schweben zwei Konzertflügel. Ein ästhetisches Spiel von Leichtigkeit und Gewicht, Stille und der Möglichkeit eines Tones.

Der Klang von Absätzen auf steinernen Bodenfliesen hallt durch den kühlen Raum. Mit dem Stillstand und zwischen jedem Schritt entsteht eine Berlin-untypische Stille, untermalt von den vorbeirauschenden Autos auf der sechsspurigen Karl-Marx-Allee. Es ist ungewohnt und fast beunruhigend, die eigenen Schritte zu hören, dieser eine Ton, der einem die eigene Anwesenheit im leeren Raum immer wieder um die Ohren wirft. Ist es noch stiller, weil der Hall zu hören ist? Draußen vor der riesigen Fensterfront von Capitain Petzel reger Verkehr, hier drinnen kleine Schritte und großer Hall.
Zwei ausgehöhlte Konzertflügel hängen von der weit entfernten Decke, an der Klaviatur aneinander gedockt. Als würden sich die Tasten küssen. Mittig ist eine kreisrunde Leerstelle in die schwarz-weiße Reihe geschnitten, glatt und akkurat wie mit einem Zirkel. Ein Guckloch, ein Loch wie in einem Gugelhupf, zwei Klaviere wie in eine Form gegossen. Nie hatte ein Konzertflügel derart buchstäbliche Flügel und so wenig Ton. Selten schien das massive Instrument so fragil und selten das Gewicht seines Körpers so spürbar über dem eigenen. Die beiden Flügel haben ein ähnliches, prächtiges und zartbesaitetes Innenleben, der eine ist dem Lack abzulesen wohl etwas älter. Ihre Körper sind vereint, regungslos und schwer.

“Semblance” (dt. Anschein) ist der Titel der Arbeit. Ein Anschein von Leichtigkeit, der im Blick durch die Flügel hindurch entsteht. Ein Hauch von Klavier in der Luft. Sie offenbaren sich und ihre ausgeklügelte Technik, ihre innere Maschine. Unter der schwebenden Masse stehend, die Augen geschlossen, wird einem das physikalische Ereignis sehr bewusst, der Druck von oben kribbelt auf der Haut, die eigene Fragilität macht die Knie weich. Die Luft unter den Flügeln ist dicker, ganz sicher.
Auf wackligen Beinen schwankend geht es Richtung Raumecke. Dort glänzen zwei verlockende Objekte an der Wand. Luftig und leicht ragen eine Kuppel und eine Schale von der Wand, beide offenbaren ihr Innenleben, eine konvex geschlossen und eine konkav und offen. Die Arbeiten “Countenance” und “Other path” werden von gebogenen Gabeln gehalten, auf die sich die beiden PVC-Kugelhälften abgelegt haben. Sie haben sich in einer vergangenen Hitze an das Silberbesteck angeschmiegt.
Alles scheint im Fluss, beschwingt und pur, die Materialien sind harmonisch aufeinander abgestimmt. Stahl hat sich gebogen, wirkt weich und kantenlos und schlängelt sich in der klarsichtigen Plastikkuppel. Aus der anderen Schale haben sich zwei kleine Silberlöffel in Richtung Boden fallen lassen, schaukeln dort an zwei schimmernden weißen Bändern vor sich hin. Dieses Paar, diese Klarheit im Chaos macht sonderbar zufrieden und die Augen beginnen nach mehr davon zu gieren.

Noch erotischer wird es mit dem “Wishbone”. Mit Horn, Spirale und Löffeln zeigt sich O’Briens bemerkenswertes Gefühl für das Gefundene, die Formensprache und den Fluss. Das Instrument steht im 90-Grad-Winkel von der Wand ab, die Spirale hängt aus der Hornöffnung, wie die Zunge aus einem hechelnden Maul. Am Spiralende haben sich zehn Teelöffel zwischen die Spiralschlaufen geschoben, geben ihr einen rüssel- oder rutschenartigen Schwung nach vorne und bilden einen Fächer. Die Löffelreihe hätte Potenzial, sich wie eine Wassermühle durch das Nass zu schaufeln oder einen temperamentvolles Kastagnetten-Klackern zu erzeugen. Hier ist Bewegung in der Regungslosigkeit, Kraft in der Fragilität und ein starker oraler Bezug, nur ohne Speichel. Mein Höhepunkt der “Cascade”.
Hallenden Schrittes geht es die Treppe hoch auf die Empore. Hier rekeln sich zwei Objekte im Scheinwerferlicht. “Velleity” und “Salt” spielen Horn, Gabeln, Plastik, Schlauch und schwarze runde Trennscheiben einen mystischen unhörbaren Song. Was zunächst nach Baumarkt klingt, erzählt vielmehr eine Geschichte von Gut und Böse. Mit ihrem schlingernden Schattenwurf auf der Wand entblößen die beiden Objekte ihr medusenhaftes Wesen, werfen ihre unzähmbare Mähne um sich. In eleganten Wellen und Schlaufen verläuft der Schlauch von Gabel zu Gabel und Horn zu Horn. Die Scheiben am Ende der Hornrohre wie Fühler in verschiedene Richtungen ausgestreckt, die Umgebung gänzlich observiert. Richtige Teamplayer, ein regungslos dynamisches Duett.

Das Zusammenspiel, das Aufeinanderwirken von Faktoren, der Fluss, Übergänge und Stufen bilden O’Briens Kaskaden bei Capitain Petzel. Löffel, aber kein einziger Tropfen Wasser ist gefallen, außer vielleicht der aus meinem offenstehenden Mund. Klangkörper verkörpern den Ton, symbolisieren die Möglichkeit zu erklingen und sprühende Melodien zu produzieren, haben sich aber doch für die reine Formensprache entschieden. Klimpern und tröten kann ja jeder, die Stille erobern jedoch nicht. Es geht beschwingter als vorher und mit einem leichten Vibrato im Körper auf die rauschende Straße zurück. Ich tauche ab in den U-Bahntunnel und denke an den Geschmack eines Silberlöffels.
WANN: Jack O’Briens Ausstellung “Cascade” läuft noch bis Samstag, den 15. Februar.
WO: Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45, 10178 Berlin.