Auflösung oder Neubeginn? Ivana Bašić im Schinkel Pavillon
5. August 2024 • Text von Carolin Kralapp
Wie sieht das Ende des Menschlichen und Materiellen aus? Was wie der Plot eines neuen posthumanistischen Sci-Fi-Films klingt, beschreibt in Wirklichkeit das Thema der Ausstellung “Metempsychosis: The Passion of Pneumatics” von Ivana Bašić im Schinkel Pavillon. Die technoiden Kunstwerke erzeugen eine brodelnde Endzeitstimmung. Was bleibt, wenn sich die materielle Welt auflöst?
Beim Betreten der Ausstellung von Ivana Bašić im Schinkel Pavillon tauchen die Besucher*innen direkt in ein Sci-Fi-Szenario ein, das eine unbekannte posthumanistische Ära vorstellt, bevölkert von merkwürdigen Wesen. Die Ausstellung “Metempsychosis: The Passion of Pneumatics” beginnt im Untergeschoss in einem gekachelten, spärlich beleuchteten Raum, der Schinkel Klause, die an ein Labor oder eine Schlachterei erinnert.
Zu sehen ist eine Serie von Aquarellzeichnungen auf durch von Feuchtigkeit verzogenem Papier. Sie zeigen zart aufgelöste Pigmente, die sich zu abstrakten, organisch anmutenden Formen entwickeln. Sie erinnern an Embryos. Hier und da brechen Farbspritzer das zunächst harmonische Bild auf und erzeugen einen visuellen Moment der Unruhe. Dabei macht sich ein erstes merkwürdiges Gefühl breit, das durch die leicht unheimliche Klangkulisse in den Ausstellungsräumen verstärkt wird. Irgendetwas brodelt unter der Oberfläche.
Vorbei an den Aquarellen begegnen Besucher*innen ersten Skulpturen, die Assoziationen zu Schädeln oder Insektenköpfen hervorrufen. Markant an diesen kleinformatigen und auch den noch folgenden größeren Skulpturen ist der Materialmix, mit dem Bašić konsequent arbeitet: Glas, Wachs, unterschiedliche Steine, Bronze und Edelstahl werden zu einem neuen Materialcodex zusammengesetzt. Aus einzelnen „Köpfen“ entwickeln sich größere Skulpturen mit Gliedmaßen, die teilweise menschliche Bezüge zu Beinen oder Füßen herstellen. Andere wiederum könnten auch Eingeweide oder überdimensionale Spinnenbeine darstellen. Um welche Art von Wesen es sich hier genau handelt, wird – vermutlich bewusst – nicht aufgeklärt.
Bereits im Untergeschoss der Ausstellung lässt sich eine inszenierte Choreografie erkennen. Es beginnt im Kleinen, im Dunklen, mit zarten Formen auf Papier, die Schritt für Schritt in den physischen Raum transformiert und in ihren Dimensionen vergrößert werden. Schließlich mündet die Kuration im Herzstück der Ausstellung im Obergeschoss – in der gewaltigen und raumgreifenden Installation “Passion of Pneumatics”.
Die Skulptur ist angelehnt an italienische Darstellungen des Unbefleckten Herzens Mariä aus dem 17. Jahrhundert. Das traditionell rote Herz wird hier jedoch durch einen Kern aus Alabasterstein ersetzt, umgeben von rosafarbenem, geblasenem Glas. Die sonst sonnenähnlichen Strahlen, die das Herz umgeben, sind in der Arbeit von Bašić kleine Presslufthämmer, die immer wieder auf den Stein treffen und ihn langsam zu Staub zerschlagen, der darunter teilweise in einem Glas aufgefangen wird. Auch hier können Bezüge zur Laborarbeit hervorgerufen werden. Die Presslufthämmer bewegen sich mit Hilfe von Druckluft im Rhythmus des Atems der Künstlerin – ein Atem, der auch notwendig ist, um Glas zu formen. Auf beiden Seiten der Skulptur erwachsen technoide Figuren aus den Enden der Edelstahlstäbe, die vom Alabasterkern ausgehen. Die weichen, leicht gekrümmten Körper voller Hautfalten, die aus Wachs geformt wurden, werden von glänzenden Panzerplatten geschützt.
Die Werke scheinen insgesamt inhaltlich aufeinander aufzubauen und thematisieren einen Prozess der Auflösung, während die künstlerische Ausarbeitung und die kuratorische Präsentation zunächst etwas entstehen lassen. Die zu Beginn gezeigten kleinformatigen Aquarellformen auf Papier verlassen den flachen Bildraum und treten in den physischen Raum über, wobei sie in ihren Dimensionen immer größer werden. Alles mündet schließlich in der großen Installation “Passion of Pneumatics”, in der das Herz aus Alabaster nach und nach zerstört wird.
Das Leben und die künstlerische Praxis von Bašić sind tief geprägt von ihren frühen Erfahrungen mit Krieg, Gewalt und Brutalität während des Zusammenbruchs ihres Heimatlandes Jugoslawiens in den 1990er Jahren. Für sie war das Szenario der vollständigen Auflösung und Auslöschung keine fiktive Dystopie, sondern bittere Realität. Diese Erlebnisse fließen in ihre Arbeiten ein, in denen sie Momente der Grenzauflösung zwischen der materiellen Welt und menschlichen Körpern thematisiert.
Obwohl Bašić Ausstellung in einem dunklen Raum beginnt, betrachetet die Künstlerin den Prozess der Auflösung nicht als dystopisches Ende, dem nur Dunkelheit und Grausamkeit folgen. Vielmehr sieht sie diesen Prozess als Potenzial für Neues, Anderes – vielleicht sogar Besseres? Der künstlerische Moment der Auflösung kämpft sich in der Ausstellung aus der Dunkelheit ins Licht. Was bleibt, wenn sich die materielle Welt eines Tages auflöst? Mit dieser Frage entlässt Bašić die Besucher*innen aus ihrer Ausstellung. Was darauf folgt, unklar. Doch es gibt noch einen Hauch von Hoffnung.
WANN: Die Ausstellung “Metempsychosis: The Passion of Pneumatics” läuft bis Sonntag, den 1. September.
WO: Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 32, 10117 Berlin.