Ist da jemand? #15
Evy Schubert

8. März 2021 • Text von

Klopapierrollen sind so was wie das Symbol des ersten Corona-Lockdowns. Evy Schubert hat damals mehrere Exemplare verbrannt, um den Kampf in den Supermärkten ad absurdum zu führen. Uns erzählt die Künstlerin, wie sie heute über ihre Arbeit denkt.

Sechs aufgetürmte Klorollen werden mit einem Streichholz in Brand gesetzt.
Evy Schubert und Carl-John Hoffmann: “Spielt keine Rolle | Das neue Online-Kaminfeuer”, Copyright: Evy Schubert, 2020.

gallerytalk.net: Bist du gerade allein?
Evy Schubert: Nein.

Bist du gerade kreativ?
Ja! Ich hatte viel Glück und konnte die ganze Zeit weiter als Theaterregisseurin arbeiten, worüber ich sehr dankbar bin. Parallel arbeite ich fortlaufend an Video- und Internetprojekten, mit denen ich direkt auf den Ausnahmezustand reagiere. Diese neue Zeit und ihre kulturpolitische wie humanistische Herausforderung inspirieren mich extrem, auf vielschichtige Weise. Ich kann nicht anders, als mich künstlerisch direkt zu dieser Zeit zu verhalten und sie dadurch überhaupt auch verstehen zu lernen. Ich glaube, wir haben in all dem Chaos die Möglichkeit, eine neue Avantgarde aufzusuchen oder gar zu formulieren, die Zukunft neu zu denken, sie mit zu gestalten, statt in der Sehnsucht nach einem Vorher aufzugehen.

Wie meinst du das?
Wenn jetzt nichts mehr gilt, kann man auch alles machen, salopp gesprochen. So bringt dieser Moment absurderweise auch eine neue künstlerische oder gedankliche Freiheit mit sich. Mir ist dabei der Austausch mit anderen Künstler*innen sehr wichtig – vielleicht wichtiger denn je, wo man so mit der Reduzierung der Kontakte konfrontiert ist und ins Solistische gezwängt wird.

Sechs aufgetürmte Klorollen brennen und sind bereits deutlich angekohlt.
Evy Schubert und Carl-John Hoffmann: “Spielt keine Rolle | Das neue Online-Kaminfeuer”, Copyright: Evy Schubert, 2020.

Als Toilettenpapier im vergangenen Jahr Mangelware wurde, hast du gemeinsam mit Carl-John Hoffmann welches verbrannt – höchst ästhetisch, muss ich dazu sagen. Wie blickst du fast ein Jahr später auf die Arbeit und den Beginn der Pandemie?
Mich hatte dieser Geiz, diese kapitalistische Angst, die damals bei den Hamsterkäufen um sich gegriffen hat, auf skurrile Weise geängstigt wie fasziniert. Das Video „Spielt keine Rolle | Das neue Online-Kaminfeuer“ war für uns ein Weg, sofort darauf zu reagieren. Mit dem vermeintlich exklusiven und doch so alltäglichen Gut zu spielen, war eine bewusste Provokation. Wir haben die große deutsche Klopapierkrise ad absurdum geführt und in ein künstlerisches, brennendes Ballett verwandelt. An unserer Haltung dazu hat sich nichts geändert, aber nach einem Jahr, das neben vielen schönen künstlerischen Bewegungen leider ja auch sehr viel gesellschaftliche, humanistische Wunden, Traurigkeit und Nöte aufweist, ist es etwas schwieriger geworden, dieser Herausforderung standzuhalten und nicht der Versuchung von Hoffnungslosigkeit zu verfallen. Bleiben wir dran! Für einen neuen Punk, der mit Schönheit um sich schlägt.

Was macht dich im Moment glücklich?
Ganz ähnliche Dinge wie vor dem Lockdown: Menschen, entdecken, Zeit teilen, große Fragen stellen, Schwachsinn reden und gemeinsam lachen können.

Sechs aufgetürmte Klorollen brennen, sind beinahe verbrannt.
Evy Schubert und Carl-John Hoffmann: “Spielt keine Rolle | Das neue Online-Kaminfeuer”, Copyright: Evy Schubert, 2020.

Worauf freust du dich?
All die kleinen Momente mit anderen Menschen, dem Abhängen mit einer unbestimmten Vielzahl an Leuten statt Deep Talk beim Tête-à-Tête-Spaziergang, Theater- und Museumsbesuche und stundenlange Diskussionen im Anschluss, Nächte durchtanzen, keine Zoom-Konferenzen mehr, Umarmungen mit lockeren Bekannten als etwas Selbstverständliches, Hoffnung in den Menschen sehen, eine andere Spontaneität, eine intuitive Moral statt neue Dogmatismen und Angstmache.

Mehr von Evy Schubert gibt es auf ihrer Website.

Wir gehen nicht raus, bleiben ganz bei uns – so sehr, dass wir uns manchmal eine Runde zu viel um uns selbst drehen. Deswegen horchen wir nach, was draußen so los ist. In unserer Interview-Serie „Ist da jemand?“ sprechen wir mit Künstler*innen, deren Arbeit die Gegenwart auf berührende Weise kommentieren.

Ist da jemand? #1 – Milen Till
Ist da jemand? #2 – Esther Zahel und Peter Feermann
Ist da jemand? #3 – Maximilian Arnold
Ist da jemand? #4 – Jess Goehring
Ist da jemand? #5 – Nicholas Warburg
Ist da jemand? #6 – Rose Eken
Ist da jemand? #7 – Berkay Tuncay
Ist da jemand? #8 – Lucy Bryant
Ist da jemand? #9 – Ye Funa
Ist da jemand? #10 – Oliver-Selim Boualam
Ist da jemand? #11 – Lina Scheynius
Ist da jemand? #12 – Bob Bicknell-Knight
Ist da jemand? #13 – Tilman Hornig
Ist da jemand? #14 – Caterina Avataneo