Fiktive Zukunften
Die Bildwelten Maximilian Rödels

8. Mai 2021 • Text von

Tiefschwarz, Pastell-Violett und Apricot. In ihrer scheinbaren Monochromie durchschreiten die Arbeiten Maximilian Rödels Farbspektren, Formate und Erfahrungshorizonte. In der Ausstellung „Celestial Artefacts“ im Neuen Aachener Kunstverein vereinen sich vorhistorische Sonnenaufgänge, griechische Rachegöttin und Ektoplasma zu einer mentalen Reise durch Zeit und Raum.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Celestial Artefacts" des Künstlers Maximilian Rudels im Neuen Aachener Kunstverein.
“Celestial Artifacts”, Ausstellungsansicht, Neuer Aachener Kunstverein, 2021. Courtesy of the artist and Neuer Aachener Kunstverein, Aachen.

Maximilian Rödels Studio, sechste Etage, Kreuzberger Altbau gegenüber der Markthalle. The Sky opens up. In dem langen lichtdurchfluteten Dachgeschoss-Atelier stehen die Bilder für seine Ausstellung im Neuen Aachener Kunstverein in Reih und Glied nebeneinander. Farbwolken in Schwarz, Violett, Rosa, Orange, Gold und Türkis. Vor einem Werk in Ocker bleibt Maximilian stehen: Dies sei eine sprödere Arbeit. Entweder ist dies falsche Bescheidenheit, oder ich muss geradlinig widersprechen: Die Leinwand pulsiert von innen, bewegt sich, als würde die Farbe ununterbrochen in gasförmigem Aggregatzustand an der Oberfläche emporsteigen und den Betrachter*innen entgegentreten. Space-Erlebnis No. I.

Die Ausstellung im NAK trägt den Titel “Celestial Artefacts”. Nach den ersten fünf Minuten innerhalb des Ateliers scheine ich der Idee bereits etwas näher gekommen zu sein. Und dennoch …

gallerytalk.net: “Celestial Artefacts”: Ein bisschen genauer, was hat es damit auf sich?
Maximilian Rödel: Der Titel beschreibt die Zustände auf den Bildern aus der Perspektive einer fiktiven Zukunft. Er fasst die in den letzten Jahren entstandenen Werke zusammen, der Fokus liegt auf einer Gruppe von Arbeiten von 2018 bis heute, den “Prehistoric Sunsets”. Die Maxime für die Ausstellung in Aachen war eine Rauminszenierung durch diese Bilder.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Celestial Artefacts" des Künstlers Maximilian Rudels im Neuen Aachener Kunstverein.
“Celestial Artifacts”, Ausstellungsansicht, Neuer Aachener Kunstverein, 2021. Courtesy of the artist and Neuer Aachener Kunstverein, Aachen.

Im Ausstellungstext heißt es: “Vorder- und Hintergrund sind eins, Tiefe und Oberfläche zugleich, untrennbar, ein Sog, in dem Farbnuancen ineinandergreifen, verschwimmen, flirren, aufblitzen. Das Erhabene scheint spürbar nahe.” – Geht es dir um ein Eintauchen der Betrachter*innen in die Werke?
Es geht mir um die Herstellung einer Verbindung und die entstehende Aura. Ich möchte das Material von seinem Rohzustand in eine Art Strahlkraft verwandeln. Dieser Prozess ist weder gleichförmig, noch beliebig. Farbe, Größe und Farbauftrag spielen eine wesentliche Bedeutung. Es muss eine Spannung entstehen, die den Bildprozess gewissermaßen in Gang hält. Die Bilder müssen dabei jeweils für sich funktionieren. Wenn ihre Wirkung die Repräsentation übersteigt, sind sie fertig.

Ich denke, es ließen sich viele Menschen finden, die Deine Bilder unmittelbar als abstrakt bezeichnen würden. Du sprichst von einem Übersteigen der Repräsentation. Wie passt dies für Dich zusammen?
Sie wirken abstrakt auf uns, aber ich sehe sie als Abbild bisher unerfahrener Orte. Der Entstehungsprozess beinhaltet einen intensiven Konzentrationsvorgang, an dessen Anfang die Auffassung steht, dass die Bilder als solche bereits existieren, in Form von ungebündelter Energie. Ich lege diese lediglich frei. Die Bilder unterliegen so keinem System im eigentlichen Sinne, sondern entstehen in der Form, in welcher sie sich zeigen. Das gewährt eine große Freiheit. Die Einfachheit, in der sich die Bilder zeigen, entsteht aus einem komplexen Konstrukt. 

Das Bild zeigt zwei Werke des Künstlers Maximilian Rödels.
Maximilian Rödel, “FORTUNATOR II”, 2019 (links); “Prehistoric Sunset (pink crack)”, 2020 (rechts). Courtesy of the artist.

Bezüglich Installationen und virtueller Kunst ist der Begriff der “Immersion” derzeit sehr virulent. Meines Erachtens kann man diesen auch auf die Malerei anwenden, im Sinne eines konzentrierten, gerichteten, und dadurch ein Gefühl des Eintauchens erzeugenden Betrachtens. Würdest Du dieser Idee in Bezug auf Deine Arbeiten zustimmen?  
Die Bilder bieten die Möglichkeit immersiver Erlebnisse. Sie sind universell zugänglich, fungieren auf einer emotionalen Ebene und beinhalten ein verborgenes Wissen, verborgene Informationen, welche sich unmittelbar mitteilen.

Die Arbeiten sind sehr ästhetisch und erfüllen damit die Konditionen zu einem Kontemplationsgegenstand im klassischen Sinne der Ästhetik. Wie verhältst Du Dich zu diesem Tatbestand?
Schönheit ist zunächst der einzige Grund, sich überhaupt mit den Bildern zu beschäftigen. Der Wunsch, in ihnen aufzugehen. Es ist aber keine anbiedernde Form der Schönheit. Hinter der Oberfläche gibt es Brüche, die das Pathos der eigenen (Bild-)Welt zerstören. Zusätzliche spiele ich gerne mit Referenzen und Symbolen, dem Kontext, um die Imagination zu beeinflussen. Zu Beginn der Ausstellung [im Neuen Aachener Kunstverein] schreiten die Besucher*innen durch eine Pendeltür, die für die Ausstellung installiert wurde, und den Ausstellungsraum abschließt. Auf dieser Tür ist eine schelmisch lachende Welt abgebildet, die die Besucher*innen anstarrt. Auf diese Weise wird der rein ästhetische Kontext gebrochen und ein irdisches Element eingeführt.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Celestial Artefacts" des Künstlers Maximilian Rudels im Neuen Aachener Kunstverein.
“Nemesis”, 2015, in: “Celestial Artifacts”, Neuer Aachener Kunstverein, 2021. Courtesy of the artist and Neuer Aachener Kunstverein, Aachen.

Deine Bilder lassen mich an Weltall-Dämpfe und Mondstein denken; die Arbeit “Nemesis” scheint mir ein Schwarzes Loch. Würdest Du der Idee der Bilder als Situationen der Galaxie zustimmen?
Es ist nicht explizit das Thema meiner Arbeit, aber ich finde die Idee der ewigen Wiederholung von Bausteinen, welche sich in der fortlaufenden Regeneration der Materie vollzieht, spannend.  Während des Malens strebe ich einen absichtslosen Farbauftrag an. Ich versuche gewissermaßen Bilder aus einem anderen Raum freizulegen; die Regeln und Gesetze, die dort herrschen, bilden sich auf der Leinwand ab. Die Idee von Sternkarten in diesem Zusammenhang finde ich amüsant.

Du sagst, Dein Farbauftrag erfolge überwiegend absichtslos. Nach all dem Metaphysisch-Konzeptuellen etwas Praktisches: Wie muss ich mir den Malprozess vorstellen?
Ich verwende stark verdünnte Ölfarbe für den Eindruck der verschiedenen Farbschichten. Mal male ich eine Schicht, mal ungezählt viele. In dieser Art ist dies erst seit kurzer Zeit möglich, da die Verflüssiger für Ölfarbe auf Grund ihrer Inhaltsstoffe zuvor äußerst gesundheitsschädigend waren. Ansonsten benutze ich einen Pinsel und bevorzuge grobe Leinwand. Die Materialkombination Öl auf Leinwand ist ausreichend erforscht und bietet an sich keine Ablenkung mehr, daher bedarf der Prozess maximale Konzentration auf das Wesentliche.

Das Bild zeigt zwei Werke des Künstlers Maximilian Rudels.
Maximilian Rödel, “Prehistoric Sunset III”, 2018 (links); “yet untitled”, 2021 (rechts). Courtesy of the artist.

Die Ausstellung wird sowohl Mittelformate als auch überkörperlich große Werke um 2,50 m umfassen. Welche Rolle spielt die Leinwandgröße für Dich?
Die überkörperliche Größe erlaubt eine andere Handhabung der Farbe und Farbwirkung. Kleinere Arbeiten sollten möglichst monumental wirken, da das Format bereits Intimität suggeriert. Die großen Bilder streben hingegen nach einer visuellen Konzentration, da sie so ihre durch Format vorgegebenen Qualitäten kontrastieren und Spannung erzeugen. Ich vergleiche die kleinen Arbeiten mit einer Totale oder einem Herauszoomen, die großen hingegen mit einem Hereinzoomen in eine an sich verwandte Bildsituation.

Ich sehe Deine Arbeiten als eine abstrahierte, gewissermaßen gesteigerte Form des Color Field Painting. Welche Bedeutung besitzt für Dich die Landschaft als Referenz-Motiv, welche für viele Vertreter*innen der Farbfeldmalerei von großer Wichtigkeit war?
In meiner Bildwelt ist der Begriff der Landschaft nicht mehr relevant, im Sinne eines Referenz-Motives. Die Bilder sind auf die oder eine Zukunft ausgerichtet, welche das Unbekannte und Überirdische beinhaltet. 

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Celestial Artefacts" des Künstlers Maximilian Rudels im Neuen Aachener Kunstverein.
“Celestial Artifacts”, Ausstellungsansicht, Neuer Aachener Kunstverein, 2021. Courtesy of the artist and Neuer Aachener Kunstverein, Aachen.

Mark Rothko gestaltete in Texas die Rothko Chapel, und überhaupt ließ die Präsentation seiner Werke oft an etwas Sakrales denken. Wie stehst Du dieser Idee der Präsentation Deiner Bilder in einer Art Kapelle gegenüber?
Meine Kapelle wäre ein Labyrinth, in dem man sich verirrt; konfus und komplex, vielleicht ähnlich dem Inneren einer Pyramide. Unter dieser Voraussetzung gefällt mir die Idee sehr gut.

Zum Abschluss gewissermaßen eine Standard-Frage: In welchem Verhältnis stehen Malerei und Zeichnung in Deinem künstlerischen Prozess?
Ich zeichne regelmäßig, allerdings habe ich diese Arbeiten noch nie ausgestellt. Meine Zeichnungen entstehen weitestgehend unabhängig von meinen Malereien. Ich zeichne unterwegs, sehr frei und assoziativ. Wahrscheinlich bilden sie eine Art Ideengrund – Testground – für die Arbeiten auf Leinwand. Sie unterliegen dabei jedoch keinem rationalen Anliegen oder System.

Das Bild zeigt ein Werk des Künstlers Maximilian Rödel.
Maximilian Rödel, “yet untitled (ektoplasma)”, 2020, in: “Celestial Artifacts”, Neuer Aachener Kunstverein, 2021. Courtesy of the artist and Neuer Aachener Kunstverein, Aachen.

Galaxie, Labyrinthe, Pyramiden: Wie geht es nach der Ausstellung in Aachen weiter?
Wir produzieren ein tolles Buch zur Ausstellung und ich präsentiere meine erste Edition mit einem Motiv aus der Show. Zudem ist ein kleines Sommerfest im NAK geplant, falls es Corona zulässt, auch um die Eröffnung nachzuholen. Im Mai 2021 folgt eine Duo Show mit Lisa Tiemann bei Zeller van Almsick in Wien. Es stehen viele aufregende internationale Projekte an und ich freue mich sehr auf das, was kommt! 

WANN: Die Eröffnung der Ausstellung “Celestial Artefacts” ist bis auf Weiteres verschoben.
WO: Neuer Aachener Kunstverein, Passstraße 29, 52070 Aachen.

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