Jonathan Meese schreit AMAZONENGOLD für die Herrschaft der Kunst
15. Mai 2021 • Text von Christina-Marie Lümen
Im Januar verfasste Jonathan Meese das Manifest zum “Kunstjahr de Large 2021“. Ende März erschien ein Album mit DJ Hell, welches ebenfalls die Kunst als Chef propagiert. Seine derzeitige Ausstellung “AMAZONENGOLD de LARGE” in der Galerie Sies + Höke in Düsseldorf vereint die Kämpfer*innen für die Kunst. Zeit für eine Unterhaltung.
Die Ausstellung beinhaltet zahlreiche Keramiken, auch Bronzen. Fabelwesen, Phantasiefiguren, mit realistischen Anklängen. Diese Materialfülle bildet eine Erweiterung im jüngsten Schaffen des Künstlers.
gallerytalk.net: Beim Betrachten der Fotos kamen mir unglaublich viele Referenzen – Insekten, Pokemon, mythologische Figuren, der Angelus Novus von Walther Benjamin, eine Madonna oder Glückskatze. Sind dies Hoffnungsfiguren, an die wir uns wenden können oder sollen?
Jonathan Meese: Für mich ist das alles Spielzeug. Ich liebe Referenzen und gehe recht plakativ mit ihnen um, weil es um eine große Collage, das Gesamtkunstwerk, geht. In diesem Gesamtkunstwerk gibt es Figuren, das können Pokemon sein, Geishas, Pippi Langstrumpf, aber auch reale Menschen wie Richard Wagner oder Nietzsche. In der Ausstellung in Düsseldorf geht es um das Amazonengold. Das ist etwas sehr positiv Geladenes und kann alles sein: Liebe, Gold, die Macht der Kunst. Alles, was man sich in einer Schatzkammer vorstellen kann, ist in dieser Ausstellung vorhanden.
Gleichzeitig besitzen alle Figuren etwas Verwundetes – was ist mit den Schätzen passiert?
Alle diese Figuren sind Wächter des Schatzes, und so müssen sie auch die Feinde abwehren. Deshalb haben Sie Narben, es sind Kämpfer der Kunst. Es sind Leute, die etwas bewachen müssen, aber auch wegkämpfen, sie sind an der Front, an der Kunstfront. Sie kämpfen gegen die Realität, gegen das, was nicht Kunst ist. Es sind Figuren voller Liebe, die etwas verteidigen, sie kapitulieren nicht. Wie die Künstler*innen, die vorne sind, um die Kunst mit Herzblut zu verteidigen. Und da bekommt man eben auch Wunden und Narben.
Amazonengold – warum dieser Verweis auf ein weibliches Volk? Steht der Begriff als Chiffre für eben diesen großen Schatz, oder gibt es eine geschlechterspezifische Bedeutung?
Das Wort “Amazone” klingt zunächst toll, jeder hat eine Phantasie dazu. Es ist auch befreit von Fragestellungen nach weiblich-männlich. Für mich geht das Wort weit darüber hinaus. Wenn ich an eine Amazone denke, denke ich nicht unmittelbar an eine Frau – ich denke an Babies, Kraft, Macht. Ich denke an etwas völlig Sachliches, einen Mythos, der vielleicht aus der Zukunft kommt. Der Begriff konterkariert auch all die Zensur, die derzeit in der Luft ist. Es ist ein grundsätzlicher, prototypischer Begriff, welcher als solcher nicht limitiert ist. Wie das Kind, das Kind ist einfach. Ich suche stets diese Begriffe, die alles umfassen.
In der Ausstellung sind viele Keramiken, auch Bronzen. Wie kam es zu diesem Turn zu den neuen Materialien?
Ich habe früher viele Keramiken in Albisola, in Italien, gemacht. Allerdings war dies ein stetiges Hin und Her, da Keramik viele verschiedene Arbeitsschritte umfasst, welche aufeinander aufbauen und lange Prozesse bilden. Seit dem letzten Jahr habe ich meinen eigenen Keramikofen und kann so im Atelier mit dem Material arbeiten. Es sind bei mir meistens praktische Gründe, die etwas verhindern oder initiieren. Das Arbeiten mit Keramik macht unglaublichen Spaß, es sie ist sehr haptisch, in gewisser Weise kindlich. Ich liebe es, den Ofen zu bedienen, die Farben zerfließen zu sehen. Manchmal geht etwas kaputt, das ist natürlich bedauerlich, aber gehört dazu. Ich habe viele gute Freunde und Helfer für die Technik, insofern sind dies die Profis, ich bin das Kind. Aber als Kind bin ich auch wieder Profi.
Schlicht, weil das Wort und Objekt im letzten Jahr so präsent waren: Warum so viele Masken in der Ausstellung?
Masken habe ich immer sehr gerne hergestellt und mich auch selbst damit maskiert. Es sind für mich Schutzmechanismen, sie bieten Sicherheit und Anonymität. Hinter den Masken findet etwas statt, ein Rollenspiel, das man durch die Maske präsentieren kann. Außerdem verweisen sie auf Karneval, Kinderfeste, Maskenspiele im Kindergarten. Jetzt in der Corona-Zeit gibt es zwar “die Maske”, aber damit haben die Arbeiten nichts zu tun. Wenn man Keramiken und Bronzen macht, kommt man automatisch zu Masken. Diese Materialien sind sehr dankbar für solche Fragestellungen. Wie verkleidet man sich? Das ist für mich das Entscheidende, um die schreckliche Realität zu überwinden.
In einer der Arbeiten findet sich der Schriftzug “Reifezeugnis” – Wer stellt hier wem das Reifezeugnis aus? Wem würden Sie gerne ein Reifezeugnis ausstellen?
Meiner Mutter natürlich, weil sie ist reif für die Kunst. Ich habe dieses Bild gemalt, einen Tag nachdem ich den Tatort “Das Reifezeugnis” mit Nastassja Kinski gesehen habe. Ein Kammerstück der Superlative. Ich habe gedacht, diesem Film muss ich eine Hommage erteilen. Die Arbeit steht insofern mit mir in Verbindung, als dass ich reif bin für die Kunst, reif das Gesamtkunstwerk Deutschland. Aber ich bin komplett kindisch, und Kinder sind reif für die Zukunft. Der erwachsene ideologische Mensch ist überhaupt nicht mehr reif für die Zukunft, er hat keine Zukunft. Die Zukunft ist super, wir müssen nur ein paar Dinge dafür tun, wir müssen die Kunst wieder nach vorne bringen. Und niemals zensieren.
Nicht nur in den Werken dieser Ausstellung finden sich – offene – Selbstportraits. Was bedeutet es, wenn Herr Meese in Erscheinung tritt; was, wenn nicht?
Für mich ist Kunst ein Rollenspiel, und man darf jede Rolle annehmen. Ich male mich selbst gerne, weil ich zur Verfügung stehe, das hat nichts mit Eitelkeit zu tun. Ich denke, dass ich mich selbst mehr male, wenn Zensur in der Luft liegt. Dann werde ich darauf zurückgeworfen, jede Rolle anzunehmen, als Indianer, als Schwarzer, als Weißer, als Grüner, als Außerirdischer. All dies, was angeblich nicht mehr möglich ist. Heute gibt es eine Tendenz zu sagen, Du darfst nur das machen, was Du selbst bist. Ich weiß aber selbst nicht, was oder wer ich bin. Ich habe multiple Identitäten, und ich lasse mir das auch nicht ausreden.
Ihre Arbeiten, insbesondere Ihre Bilder zeichnen sich durch überaus starke Farben aus. Welche Bedeutung besitzen diese Farben in Ihrem Werk?
Die Farben sind sehr, sehr wichtig. Am liebsten male ich mit den Propagandafarben, Schwarz-Weiß-Rot, welche schon immer Alarmfarben waren. Ebenso liebe ich die Farbkombination Schwarz-Gelb als Gefahrenpotenzial, oder das Gelb-Violett bei Van Gogh. Alle Farben gehen, und Signalfarben sind immer super. In den Bildern gibt es jeweils einen Druckausgleich, Kunst ist eine Ausprägung von Druck. Nicht nur der Druck des Pinsels und jener der Farbe auf dem Papier, auch die Frage, wann in Deutschland die Diktatur der Kunst ausbricht. Die Keramiken basieren ebenfalls auf Druck, man drückt die Formen, arbeitet haptisch. Druck aufbauen, Potenziale nutzen, das ist sehr entscheidend für mich und die Farben sind ein Mittel hierzu.
Zu Beginn dieses Jahres verfassten Sie ein Manifest, “2021 Kunstjahr de Large”, die Ausstellung nun trägt den Titel “Amazonengold de Large”. Bräuchte die gegenwärtige Welt nicht ein wenig Downsizing?
Nee, bei der Kunst eben nicht. Man muss das Maximale fordern in der Kunst, auch von sich. Wer nur ein bisschen fordert in der Kunst, der verrät sie. Man muss sofort Stimme die Stimme erheben, aber nicht in einer Gruppe oder Demonstration im Sinne von Mehrheits- oder Minderheitenanliegen. Ich könnt beispielsweise niemals mit einem Schild auf dem Alexanderplatz stehen auf welchem steht “Diktatur der Kunst”. In dem Moment hätte ich die Kunst verraten. Weil der Alexanderplatz frei bleiben muss von jeder ideologischen Äußerung. Die Kunst ist ein einsames Ding, das jeder für sich selbst klären muss. Dann wird sich etwas verändern. Das, was ich schreibe, sind keine politischen Kampfparolen, es ist noch nicht einmal gegen die Politik, es ist ohne Politik. Wie ein Baby, das schreit. Mal schreit es leise, aber manchmal muss die Kunst eben auch brüllen.
Stichwort Lautstärke: Gibt es eine Art Soundtrack zu der Ausstellung, eine Musik, die mit den Arbeiten in Verbindung steht?
Eine tolle Frage! Die Soundtracks Stanley Kubricks “Barry Lyndon” und “A Clockwork Orange” haben für die Arbeiten eine große Rolle gespielt. Und natürlich die DJ Hell/Meese-CD. Derzeit schaue ich viele Fritz Lang-Filme, in denen die Bilder ebenfalls stark musikalisch unterlegt sind. Musik ist sehr wichtig, jedes Bild und jede Skulptur haben einen Ton. Jeder Raum hat einen Ton, Ton ist ein essenzieller Bestandteil des Gesamtkunstwerks.
In einem früheren Interview sagten Sie, “Wir machen die Kunst gerade sehr klein, weil wir ihr Potenzial nicht mehr erkennen.” Wie kann man die Kunst groß machen, ohne auf Pomp, Schau, Attraktion zu setzen, all die negativen Aspekte, die der zeitgenössischen Kunst anhaften?
Ebenfalls eine gute Frage! Ich denke immer, man muss zuerst einmal Klarschiff zuhause machen, und das kann man sehr privat. Man kann die Kunst erst einmal zuhause wieder hoch hängen, das merkt keiner und geschieht ganz leise. Die Kunst bedeutet unendliche Stunden der Vorarbeit und des Ausmachens, alleine und leise in Form von Denken, Schreiben, Schlafen. Die Kunst, die dann herausschießt, mag sehr laut sein, oder leise, mal so, mal so. Die Ausstellung bei Sies + Höke ist eher leise, viele der Arbeiten, sowohl die Keramiken als auch Bilder, sind klein, die Keramiken sind wie eine Stadt zusammen aufgebaut. Im Schaufensterraum hingegen sind mit den Schriftbildern laute und konzentrierte Arbeiten zu sehen. Aber manchmal sind die leisen Angriffe auch die Erfolgreicheren.
Ebenfalls in einem früheren Interview sagten Sie “Die Kunst wird Deutschland, Europa, definieren.” Haben Sie hier ein Konkurrenzgefühl, oder ist genügend Platz für alle?
Nein, in der Kunst macht jeder sein Ding.
“Die Kunst ist der Feind der Politik, der härteste, den es gibt.” Ich stimme Ihnen zu – aber wer meint es in zeitgenössischer gerade Kunst so ernst?
Da muss man tatsächlich sortieren und ausmisten. Viele, die Kunst nicht lieben, agieren unter dem Deckmantel der Kunst. Aber eigentlich wollen sie die Kunst an die Politik oder Religion verkaufen, oder sie als Dekoration einsetzen. Für mich ist die Kunst die Staatsform von morgen, und das Gesamtkunstwerke ist das, was anzustreben ist. Wir können Wirtschaft betreiben im Namen des Gesamtkunstwerks, das Verkehrswesen, Schulen betreiben im Namen der Kunst. Das ist alles möglich, nur wir machen es derzeit eben anders.
Eine Frage, die mit dem Faktum Druck und den zuweilen krassen Farbkombinationen in Verbindung steht: Wollen Sie die Menschen mit Ihrer Kunst auch zum Aushalten zwingen?
Manchmal bin ich auch poetisch und lyrisch, meine Ausstellung bei David Nolan in New York betont das explizit lyrische Element. Aber ich kann alles – Holzhammer und Hau Drauf, ich liebe das Proletige in der Kunst, ich bin Kunstprolet vom Herzen her. Aber ich kann auch die feinen Töne spielen, niemals jedoch schöngeistig oder freigeistig, weil mich meine eigene Freiheit nicht interessiert. Mich interessiert die Freiheit der Kunst. Ich bin ein Gefangener meines Körpers, meiner Gedanken, das ist auch nicht schlimm. Ich will, dass die Kunst frei ist und ich will spielen, das ist alles. Die Freiheit der Kunst steht über der Freiheit des Künstlers.
Wurde die Diktatur der Kunst je – wenn auch im kleinsten Rahmen – schon einmal verwirklicht?
Die Diktatur der Kunst hat es schon gegeben in kleinen Räumen und Plätzen. Zum Beispiel in Bayreuth unter Richard Wagner herrschte die Diktatur der Kunst. Wenn man in den Wald geht, herrscht dort erst einmal nur Kunst, als die Dinosaurier lebten, herrschte die Kunst, weil der Mensch nicht da war. Der Mensch ist das einzige Wesen, dass sich der Kunst in den Weg stellen konnte, indem er alles ideologisierte und Figuren wie Politiker, Schamanen und Gurus erzeugte. Die Geschichte des Schamanen ist jene des ersten arroganten Menschen. Viele denken, der Künstler sei ein Hellseher oder Heiliger, aber es sind Menschen, die in die Zukunft spielen. Die Rolle des Künstlers ist derzeit falsch besetzt. Ich bin ein Scharlatan, Hofnarr, auch ein Spielkind, aber kein Hellseher. Der Schamane und Heilige will Kontrolle und Macht. Die Kunst produziert aber keine Opfer, wenn sie das tut, ist es keine Kunst mehr.
Spricht Jonathan Meese “Ihr sollt lachen lernen!”?
Ja. Man muss die Dinge mit einem Lächeln abservieren, nicht verbittert sein. Mit Verbitterung kann man keine Probleme lösen, die Natur retten oder helfen. Man muss die Dinge spielerisch weglächeln, auch sich selbst auslachen. Schadenfreude ist schlecht, Neid in Kunst ist obsolet. Nichts ist ausgereizt, Formung geht immer. Man kann immer aus allem formen. Es gibt keine Zensur und nichts, was man nicht formen darf. Absolute Freiheit von Kunst.
WANN: Die Ausstellung AMAZONENGOLD de LARGE läuft bis Samstag, 22. Mai 2021.
WO: Galerie Sies + Höke, Poststraße 2+3, 40213 Düsseldorf.
Das Interview bildet die Grundlage für das am 29. März auf gallerytalk.net erschienene Portrait des Künstlers. Für einen vertiefenden Einblick haben wir uns entschieden, es hier gesondert zu veröffentlichen.