In Transfer
Claudia Barcheri über Material und Muße

12. Februar 2021 • Text von

Materialität und Farbe. Die Bildhauerin Claudia Barcheri nutzt in ihrer künstlerischen Praxis unterschiedlichste Werkstoffe, die sie neu kombiniert und deren Charakteristika sie ausreizt. Sie transferiert dabei Formen und wechselt zwischen Abstraktion und Figuration. Im Interview gibt sie einen Einblick in ihre intuitive und dennoch konzeptuelle Arbeitsweise.

Claudia Barcheri: Lamina, 2020. Installationsansicht, Kunstraum München, Foto: Leonie Felle.

Die in Bruneck geborene und in München lebende Bildhauerin Claudia Barcheri greift in ihrer künstlerischen Praxis auf unterschiedlichste Materialien zurück, die sie ungewohnt miteinander verbindet und so poetische Formen kreiert. Die aktuelle Zeit der Einschränkungen nutzt sie für die Planung von Projekten in der Zukunft, Bewerbungen für Stipendien und Kunst am Bau Konzepte.

gallerytalk.net: Bei deinen aktuellen Arbeiten ist mir eine speziell aufgefallen, die sowohl durch ihre Materialität als auch ihre figürliche Qualität heraussticht. Was hat dich an der Umsetztung der Bronze-Skulptur „Ich trag´ meistens ein Poloshirt“ gereizt?
Claudia Barcheri: Für mich ist Bronze ein hochwertiges Material, mit dem man eine Vorlage detailgetreu wiedergeben kann. Bei dieser Arbeit finde ich es eben sehr schön, dass die Texturen der einzelnen Kleidungsstücke eins-zu-eins transferiert werden. Das war auch die Idee: Dass sich die Bewohner*Innen der Siedlung in Wörgl in Tirol, die bei diesem Projekt mitgemacht haben, in der Arbeit anhand der Textur ihres Kleidungsstücks wiederkennen. Dafür war Bronze das passende Material, um das so umzusetzen.

Bronze ist sehr langlebig, Mode ist oft eher kurzlebig. Wie hast du diese Zeitebene in der Arbeit mitgedacht?
Die Arbeit hat auch die Funktion eines Archivs. Dieser Kleiderstapel ist eine Momentaufnahme, die gewissermaßen eingefroren wird, in diesem Material fixiert wird. Über die Zeit wird er wahrscheinlich ganz andere Dinge erzählen, als er es jetzt tut. An speziellen Elementen wird man eine gewisse Zeitlichkeit ablesen können. Die Arbeit ist wie ein Speicher, der jetzt an diesem Ort steht und öffentlich einsehbar ist. Aber auch ein anderer Aspekt spielt für mich eine wichtige Rolle: Es geht um den Prozess einer Schichtung, die Kleidungsstücke sind übereinander geschichtet, fast wie geologische Gesteinsschichten, Sedimente, die sich über Jahrtausende verhärten und Lagen bilden. Textile Sedimente gewissermaßen.

Ist es für dich ungewöhnlich mit so konkreten Motiven zu arbeiten?
Mir ging es bei dieser Arbeit auch darum, dass die Bewohner*Innen der Siedlung, in der die Arbeit steht, einen Zugang haben, sie sind ja auch Teil der Skulptur. Eine abstraktere Arbeit hätte vielleicht wie ein Fremdkörper gewirkt. Also wollte ich bewusst partizipatorisch mit den Anwohner*Innen arbeiten und etwas machen, das wiedererkennbar ist. Das war in diesem Fall meine Motivation.

Claudia Barcheri: Ich trag´ meistens ein Poloshirt, 2020. Im Auftrag der NEUEN HEIMAT TIROL, Foto: Leonie Felle.

Eine andere aktuelle Werkserie, „Lamina“, die im Sommer 2020 im Kunstraum in München zu sehen war, ist komplett anders: Sehr abstrakt, mit Gips als Grundmaterial. Wie triffst du die Entscheidung, welches Material du für welche Arbeit nutzt?
Deswegen Gips, weil das Material aus der Architektur kommt und die Arbeiten sich mit der Architektur des Kunstraums auseinandersetzen. Gips ist ja ein Baumaterial. Man kann mit Gips großzügig arbeiten, auch weil es nicht so teuer ist. Diese Skulpturen hätten in einem anderen Grundstoff für mich gar nicht funktioniert. Ich mische dem Gips auch Aquarellfarbe bei und wie sich diese Farben dann mit dem Material vermischen, funktioniert nur in dieser Kombination. Die Farbe wird beim durchtrocknen an die Ränder gesaugt, dadurch entstehen dunkle Konturen.

Für mich wecken die Skulpturen Assoziationen zu Pilzen, die aus den Wänden wachsen. Hat deine Arbeit auch Referenzen zu organischen Formen?
Ich habe mich vor langer Zeit schon zeichnerisch mit Pilzstrukturen auseinandergesetzt, in Form von Linien an der Wand. Damals hatte ich mir gedacht, dafür müsste ich eine dreidimensionale Form finden. Manchmal gehen Dinge aber eben nicht so schnell wie man sich das wünscht und vielleicht ist das jetzt tatsächlich die Form, die ich gefunden habe. Manchmal arbeitet man ja an einem Thema und kommt nicht weiter, auch über Jahre und dann entwickelt sich plötzlich etwas und man kann etwas wieder aufgreifen.

Der Kunstraum hatte dich im Sommer eingeladen, den Ausstellungsraum als Studio zu nutzen. Wie war diese Zusammenarbeit für dich?
Ich hatte den Raum für einen Monat zur Verfügung, quasi als Atelier. Da ist es natürlich naheliegend, diese Chance zu nutzen, um mit dem Raum zu arbeiten. In meinem eigenen Atelier steht ja normalerweise viel herum und wenn man dann einen großen leeren Raum zur Verfügung hat, kann ich Dinge eben auch neu betrachten.

Claudia Barcheri: Lamina, 2020. Installationsansicht, Kunstraum München, Foto: Leonie Felle.

Wie kamst du zu dem Begriff „Lamina“?
Lamina meint einen Schnitt oder ein Segment. Das ist ein Begriff aus der Botanik, Geologie und Anatomie. Lustigerweise meinte meine Osteopathin, sie hätte bei mir auch Lamina behandelt. So schließt sich der Kreis.

Wie kamst du zur Entscheidung, die sehr dünnen Objekte, in den Raum zeigen zu lassen?
Die Arbeiten sollten dem/der Betrachter*In entgegenkommen, sie/ihn konfrontieren. Es ist ja ein Unterschied, ob ich vor einem spitzen Gegenstand stehe, oder einem Objekt, das flach an der Wand angebracht ist. Die Bewegung im Raum wird dadurch eine ganz andere. Ich habe die einzelnen Arbeiten auch so platziert, dass sich ein Parcours ergeben hat in diesem Raum. Die Skulpturen sind ja sehr fragil, also hält man erst ein bisschen Abstand, nähert sich nur zögerlich.

Wie bist du da vorgegangen?
Mein Ziel war es, sie so dünn herzustellen, dass sie gerade noch in sich stabil sind und gleichzeitig so tief in den Raum hineinragen, wie möglich. Die Arbeiten sind sehr dünn, maximal fünf Millimeter. Ein ganz zartes Armierungsgewebe ist mit eingearbeitet, das durch die Verbindung mit dem Gips die Form stabilisiert. Dennoch brechen die Objekte beim Abbau leicht ab und sind schwer zu lagern. Ich habe nur noch eine “Lamina” im Atelier, die Arbeiten sind ja speziell für den Raum und die Ausstellung konzipiert und umgesetzt worden. Daher hat es für mich keinen Sinn gemacht, sie alle zu lagern. Ich könnte sie ja nicht in einem anderen Kontext ausstellen, das würde schon aufgrund der veränderten räumlichen Proportionen keinen Sinn ergeben.

Claudia Barcheri: Lamina, 2020. Installationsansicht, Kunstraum München, Foto: Leonie Felle.

Aber du hast sie nicht zerstört?
Eine habe ich noch, aber ja, die anderen habe ich sozusagen zerstört. Ich hatte mir überlegt, kann ich diese Arbeiten vielleicht aus Bronze gießen? Auch um sie zu erhalten. Aber ich hatte dann das Gefühl, ich könnte das machen, aber der ganze Reiz dieser Arbeit wäre verloren. Diese Objekte aus Bronze würden inhaltlich für mich keinen Sinn mehr ergeben. Es wäre vielleicht schön, aber ein ein-zu-eins Transfer erschien mir nicht sinnvoll. Auch der Bezug zur Architektur wäre nicht mehr gegeben, wenn ich nicht mehr mit diesem Baumaterial Gips arbeite. Die Arbeiten leben von ihrer Fragilität.

Könnte es eine Idee der schritt ins Digitale sein?
Ich hatte eine ähnliche Idee und habe die Arbeiten, wie in einem Scan, auf Papier übertragen. Wie mit Schablonen habe ich daraus Zeichnungen entwickelt, um die Kontur zu erhalten, aber das war auch schon alles. Ich empfinde es immer noch als befreiend, ab und an so arbeiten zu können, ohne lagern zu müssen oder mich um den Erhalt zu kümmern: Neuer Raum, neue Arbeit. Das hat was. Für viele Besucher*Innen der Ausstellung ist es ungewöhnlich zu hören, dass die gezeigten Arbeiten nicht erhalten bleiben. Für mich ändert das nichts an der Wertigkeit meiner Arbeit. Mein Körper speichert immer diese Erfahrung, die dann in die nächste Arbeit einfließt. Vielleicht wie so ein Layer, eine Schicht, die eine neue Arbeit untermauert. Wenn es nur um den Genuss des Outputs geht, finde ich es wahnsinnig schön, das so machen zu können.

WO: Neuigkeiten zu Claudia Barcheris Arbeit findet man auf ihrer Homepage.

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