Internet Explorer: Kunst online #6
Für Kinder und Erwachsene

5. Oktober 2021 • Text von

Ein Internet Explorer nicht nur für Erwachsene: Ein Projekt der Fondazione Prada erforscht die Möglichkeiten des „visual essays“, die Berlinische Galerie zeigt in ihrem virtuellen Videoraum einen höchstpolitischen Film von Igor Vidor, Wade Wallerstein bietet eine Anleitung für digitale Kuration und von Ed Atkins kann man sich jeden Morgen mit einer Zeichnung überraschen lassen. 

Finite Rants, Photo by Satoshi Fujiwara

„My parents don’t look like me“, erzählt ein CGI-Baby mit übergroßem Wackelpuppenkopf in einer paradox erwachsenen Stimme. „BÉBÉ COLÈRE“ (übersetzt: Baby Wut) ist ein Video von Caroline Poggi und Jonathan Vinel, das Teil des Projektes „Finite Rants“ der Fondazione Prada ist. „Finite Rants“, kuratiert von Luigi Alberto Cippini und Niccolò Gravina, besteht aus einer Reihe verschiedener „visual essays“, die im Rahmen des Online-Projektes von Regisseur:innen und Autor:innen, unter anderem Alexander Kluge, Bertrand Bonello und Shumon Basar, konzipiert worden sind. Die dabei entstandenen Arbeiten können auf YouTube angeschaut werden. Ausgangspunkt ist der Film „La Jetée“ (1962) von Chris Marker, der sich mit Ausnahme eines Bewegtbildes ausschließlich aus Standbildern zusammensetzt. Dialoge wurden mit einem singulären Erzähler ausgetauscht. Auch hier werden prekäre Kindheitserfahrungen, die sich in der Gegenwart und Zukunft verankern, berührt. Der Erzähler beschreibt „La Jetée“ als die Geschichte eines Mannes, der besessen mit dem Bild seiner Kindheit ist. „Finite Rants“ untersucht das Medium des „visual essays“ und welche Relevanz es für die zeitgenössische visuelle Produktion hat. Dass das Medium brennend aktuell ist, ist klar. Genau so klar ist, dass die Themen, die schon früher damit behandelt wurden, immer noch genau so bedeutsam sind. Statt einer Reihe von Schwarz-Weiß-Bildern, anhand denen Kindheit verhandelt wird, passiert dies nun eben (tendenziös satirisch) mit einem CGI-Baby, das über das Erwachsensein als Kind – oder Kindsein als Erwachsener – „ranted“. 

Igor Vidor, A Praga, 2020, Still. Courtesy the artist.

Weiter geht es mit Videokunst, die man sich online anschauen kann: Im Virtuellen Videoraum der Berlinischen Galerie – den es gleichzeitig auch physisch innerhalb des Museums gibt – werden kuratierte Highlights aus den letzten Jahren des Programms gezeigt, die mit neuen Positionen ergänzt werden. Aktuell ist dort der Film „A Praga“ (Die Plage) des brasilianischen Künstlers Igor Vidor aus dem Jahr 2020 zu sehen. Die Kamera zeigt eine graue, schläfrige Stadt, der Architektur nach zu urteilen wahrscheinlich irgendwo in Deutschland. So scheinbar arbiträr und banal ist diese Stadt jedoch nicht. Der trübe Mantel wird dem Ort von plötzlich auftauchenden, in Magenta getränkten Szenen entrissen. In kleinen Rechtecken, die in das Bild eingeblendet werden, sind schwerbewaffnete Menschen zu sehen, die sich in einer anderen Stadt – sicherlich nicht in Deutschland – auf Streife befinden. Bei dem deutschen Ort handelt es sich um Oberndorf am Neckar, wo Heckler & Koch seinen Sitz hat und von dort aus die Welt mit Waffen beliefert. Ob es sich bei den Empfängern:innen um Drogenhändler:innen oder Polizist:innen in Unrechtsstaaten handelt, ist für Heckler & Koch nicht relevant. Vidors Arbeit untersucht den Einfluss europäischer Länder und der USA auf gewaltvolle politische und soziale Verhältnisse in Brasilien. Sich aus dem virtuellen Videoraum heraus begebend, ist dann auch gleich Zeit dafür, sich im Internet über das Thema zu informieren und zu reflektieren, wie jede:r Einzelne:r, in einem eurozentrischen Kontext situiert, zu dieser prekären Situation beiträgt. 

Clusterduck’s Homepage

Was macht eigentlich ein:e Kurator:in? Und wie hat sich dieser Begriff im digitalen Zeitalter verändert? Dass auch Instagram eine mehr oder weniger – in den meisten Fällen jedoch eher weniger – ausgeprägte Form der Kuration ist, wurde schon in diesem Kunstgriff, der sich mit CGI-Videokünstler:innen auf Instagram beschäftigt, aufgegriffen. „Circumventing the White Cube: Digital Curatorial Practices in Contemporary Media Landscapes“ ist eine Ressource für alle, die sich für eine Kurationspraxis im digitalen Raum interessieren. Der digitale Anthropologe und Kurator Wade Wallerstein ist in einer Abhandlung nachgegangen wie digitale Kurator:innen zeitgenössiche Technologien und die Materialitäten, die diese mit sich bringen, nutzen und damit neue Arten und Weisen, wie Kunst erfahrbar sein kann, schaffen. 

Hier kann man sich für die Zeichnungen des Künstlers anmelden.

Wer jeden Morgen mit einer Zeichnung von Ed Atkins aufwachen will, kann sich hier anmelden und bekommt daraufhin täglich eine E-Mail des Künstlers, die eine neue Zeichnung beinhaltet. In diesem Sommer wurde auch sein Buch „DRAWINGS FOR CHILDREN“ publiziert, das Hunderte von verschiedenen Zeichnungen aus dem letzten Jahr zeigt, die er seiner Tochter auf Post-Its in ihrer Lunchbox versteckt hat. Wer so beim Essen nicht mehr von seinen Eltern überrascht wird, sollte sich unbedingt das Buch kaufen oder jeden Tag aufs Neue virtuell eine Zeichnung von Atkins entdecken. 

Aus Transparenzgründen weisen wir darauf hin, dass sich die Autorin bei den jungen Freund*innen der Berlinischen Galerie engagiert.