Internet Explorer: Kunst online #19
Über Ökosysteme, Self-Care und die Kraft der Bestäuber

31. Mai 2022 • Text von

Mit der EPOCH gallery geht es auf eine dystopische Kunstexkursion durch Alaska und auf der Website “dotcomseance” von Simon Denny und Guile Twardowski könnt ihr Teil einer Séance-Sitzung werden. Wer danach eine Pause braucht, der kann sich mit dem “Pollinator Pathmaker” von Alexandra Daisy Ginsberg einen digitalen Garten als Refugium generieren oder sich bei HTSSNASS:S Tipps zum Überleben in Krisenzeiten holen.

CRYOSPHERE (featuring Carolina Caycedo | Patricia Echeverria Liras | Jiabao Li | Alfredo Salazar-Caro | Nathan Shafer | Jakob Kudsk Steensen | Studio Above&Below) May 14 – August 5, 2022. © EPOCH (epoch.gallery)

Das virtuelle Setting der aktuellen Ausstellung “Cryosphere” der EPOCH gallery ist eine nächtliche Gletscherlandschaft. Die Umgebung ist angelehnt an den Matanuska-Gletscher in Alaska, der seit 2002 über 84 Millionen Tonnen Eis verloren hat. Das weltweite Schmelzen von Gletschern gehört zu den sichtbarsten Beweisen für den Klimawandel. Mit einer Karte in der Hand begibt man sich auf Exkursion über die einsame Landschaft zu den einzelnen Arbeiten von Carolina Caycedo, Patricia Echeverria Liras, Jiabao Li, Alfredo Salazar-Caro, Nathan Shafer, Jakob Kudsk Steensen und des Studios Above&Below. In einem Schlauchboot geht es über eisige Seen, tief hinein in Gletscherhöhlen und mitten im Nirgendwo begegnet man einer vereisten Freiheitsstatue, die längst ihre Symbolkraft verloren hat. Die Geräuschkulisse suggeriert eisige Kälte, denn der tosende Wind ist ein ständiger Begleiter auf dieser Reise durch den tiefen Schnee. Eine dystopische Exkursion könnte man meinen, wäre da nicht auch immer die freie Sicht auf den weiten Sternenhimmel.

Screenshot der Website howtosurvivesuperniceandsupersexy.shop, 2022. © HTSSNASS:S

Krisen überleben, und das bitte super nice und super sexy. Das ermöglichen die Handlungsstrategien für Krisenzeiten verschiedener Künstler*innen, die in dem Magazin “howtosurvivesuperniceandsupersexy.shop” veröffentlicht werden. Krisenhafte Dauerzustände haben Auswirkungen darauf, wie gut oder wie schlecht wir in unserem Alltag funktionieren. Und sie beeinflussen das Schaffen von Künstler*innen, die in ihren Arbeiten auf sie reagieren, sich mit ihren Folgen auseinandersetzen oder zur Flucht vor der lähmenden Realität einladen. Die künstlerischen Anweisungen, die hier versammelt werden, sind so vielseitig wie einfallsreich: Es gibt Fotografien, Skizzen oder Collagen, aber auch Empfehlungen zum Wut ablassen oder Tanzanleitungen um sich aus der Stagnation zu winden. HTSSNASS:S versteht sich als hybrides Ausstellungsprojekt und ging 2019 online. Mittlerweile ist das Magazin auch als limitierte Printversion in ausgewählten Buchläden erhältlich. In der nächsten Ausgabe wird sich alles um das Thema “kollektive Krisen” drehen. Dafür wird das Magazin mit dem Münchner Kollektiv Florida 13 zusammenarbeiten.

Screenshot der Website dotcomseance.com. © Simon Denny und Guile Twardowski

Wer schon immer mal bei einer Séance dabei sein wollte, der ist auf der Website “dotcomseance” genau richtig. Die Künstler Simon Denny und Guile Twardowski fungieren hier als Medien. Doch anstelle von unerwünschten Geistern beschwören sie Logos von gescheiterten Dotcom-Firmen herauf, die sie re-designen und als NFTs in limitierter Auflage zum Kauf anbieten. Bei all diesen Firmen handelt es sich um digitale Unternehmen, die im Zuge des Online-Hypes in den 90er Jahren aufkamen und schnell wieder verschwanden, als die Dotcom-Blase Anfang der 00er Jahre zerplatzte. Der Blick auf die wiederbelebten Firmen und ihre Logos lohnt sich auch für diejenigen, die nicht auf der Suche nach der nächsten NFT-Errungenschaft sind. Ihre Geschäftsideen wecken nostalgische Gefühle, denn sie erzählen von einer Zeit mit dicken Computerkästen und schrillen Einwahlgeräuschen.

Screenshot der Website von Pollinator Pathmaker, 2022. © Alexandra Daisy Ginsberg

Wem das alles bisher viel zu düster oder paranormal war, der kann sich jetzt mit dem “Pollinator Pathmaker“ seinen eigenen, Bestäuber-freundlichen Garten generieren. Die Welt aus der Perspektive von Blumen und Insekten sehen und verstehen, das macht dieses Projekt der Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg möglich. Ginsberg setzt sich in ihren Arbeiten mit der Beziehung des Menschen zu Technologie und Natur auseinander. Hierzu zählen Themen wie künstliche Intelligenz, synthetische Biologie oder Naturschutz. Die Homepage ist Teil der gleichnamigen Kampagne “Pollinator Pathmaker“, einem Projekt aus lebenden Kunstwerken in Form von ökologisch kuratierten Gärten. Diese werden weltweit gepflanzt um ein Bewusstsein für die Wichtigkeit von bestäubenden Insekten zu schaffen, deren Anzahl sich aufgrund des Verlusts von Lebensräumen, Pestiziden und den Folgen des Klimawandels dramatisch reduziert hat. Der nächste Garten wird im Herbst 2022 in Berlin eröffnet. Wo und wann könnt ihr bald hier erfahren.