Internet Explorer: Kunst online #13
Das Spiel mit der Realität

25. Januar 2022 • Text von

Das Internet ist ein Auswuchs der realen Welt, ist ein Teil von ihr, speist sich aus ihr, greift hinein in sie und existiert neben ihr in einer Art Parallelität. Das Handeln in und mit dem Internet sowie die künstlerische und theoretische Auseinandersetzung mit dem visuell Virtuellen entpuppt sich häufig als Spiel mit der Realität – mal in Form von digitaler Kunst, mal als Theorie oder in Form eines Rollenspiels.

ContraPoints, „Envy“, 2021. Courtesy Natalie Wynn.

ContraPoints

Die Youtuberin, Philosophin und Queerfeministin Natalie Wynn ist so etwas wie die Königin des zeitgenössischen Videoessays. Seit 2011 veröffentlicht sie Videos auf ihrem YouTube-Kanal ContraPoints. Auch Natalie Wynn versteht das Spiel mit der Realität. Statt neue, immersive Welten zu erschaffen, verbleibt sie innerhalb der Welt digitaler Bildkulturen, theoretisiert diese und entlarvt ihre Bigotterie. Auf scharfsinnige und witzige Weise fordert Wynn ihrer Zuschauer*innen auf, eigene Vorurteile zu erkennen und diese zu hinterfragen.

In einer Welt aus Make-up-Tutorials, Phänomenen wie der Cancel Culture und der Herausbildung einer Neidgesellschaft springt Natalie Wynn aka ContraPoints in ihren Video-Essays mit Titeln wie „Cringe“, „Canceling“oder „Envy“ gekonnt zwischen Referenzen zur Popkultur und Thesen aus der Philosophie. Natalie Wynns Video-Essays lassen sich nicht nur im Zusammenhang mit der Tradition des Netzfeminismus und der Videokunst lesen, sondern auch in Verbindung mit theoretischen Debatten der zeitgenössischen Kunst, wie die Ausgabe „Neid/Envy“ der Zeitschrift Texte zur Kunst zeigt.

Omsk Social Club

Omsk Social Club, „Unrealism“, Screenshot punkisdada.com, Courtesy the artists*.

Das Künstler*innen-Kollektiv Omsk Social Club schafft hybride Welten aus Realem und Fiktivem und übersetzt persönliche Erfahrungen in mögliche, zukünftige Realitäten. Wer genau hinter Omsk Social Club steckt und wie viele Mitglieder das Kollektiv hat bleibt ebenso ungewiss wie die Vorstellung davon, was genau passiert, wenn man an einer Performance von Omsk Social Club teilnimmt, die einem Live Acting Event gleicht.

Gegründet 2012 unter dem Namen Punk Is Dada bewegen sich Omsk Social Club heute auf einem Gebiet, das sie selbst Real Game Play (RGP) nennen. Nimmt man an einem solchen Spiel teil, schlüpft man in die Rolle eines virtuellen Alter-Egos, wird zu einem entmaterialisierten Hybrid im eigenen Körper und bewegt sich in einer Welt aus frei erfundener und real erlebter Subkultur. Einen Einblick in eine solche Welt gibt die digitale Installation “The Wet Altar” (2021), die in Zusammenarbeit mit dem Light Art Space in Berlin entstand. Die vertonte Erzählung führt einen hinein in eine narrative Welt, in der die eigene Entscheidung den Weg zum Ende der Geschichte bestimmt.

Looping Lovers

Looping Lovers, Close3, 2021. Courtesy the artists. / Looping Lovers, Circle, 2020. Courtesy the artists.

Wie lassen sich menschliche Gefühle in eine digitale Ästhetik verwandeln und wie kann ein digitales Bild menschliche Emotionen transportieren? Das Künstlerduo Looping Lovers entwirft in seinen Kunstwerken etwas, das Philipp Ries und Thomas Mayer selbst als „digitale Sinnlichkeit“ bezeichnen. Ihre hyperrealen Renderings lassen sich als Wesen zwischen analoger und digitaler Welt begreifen. Sie knüpfen an das Bekannte an und lassen ins Unbekannte blicken. In ihren Figuren materialisiert sich die Parallelität von Analogem und Virtuellem.

Die künstlerische Praxis von Looping Lovers, ihr Spiel mit der Realität ist eines das an moderne Technologie geknüpft ist, aber auch an traditionelle Ästhetiken der Kunst, an Materialität und Körper. Passend dazu vertreiben Looping Lovers ihrer Kunst über den NFT-Markt. Eine digitale Methode des Vertriebs, die wie das Künstlerduo in mehreren Interviews im vergangenen Jahr erklärt hat, das reale künstlerische Schaffen erleichtert.

nothing happening here

nothing happening here, screenshot nothinghappeninghere.work, 2022. Courtesy the artists*.

Das Nichts ist ebenso wie das Nichtstun in der Vorstellung vieler zunächst ein leerer Raum, eine immaterielle Zone, in der die Leere herrscht und nichts passiert. Das Kunst-Forschungskollektiv nothing happening here, das 2020 aus dem Speculative Sensation Lab (S-1) der Duke University hervorgegangen ist treibt diese Vorstellung vom „Nichts“ in gewisser Weise auf die Spitze, indem sie diese materialisiert und monetarisiert. Als Werkzeug fungiert die Verweigerung.

Als Teil der transmediale 2021 „for refusal“ stellten die Mitglieder von „nothing happening here“ – Kelsey Brod, Katia Schwerzmann, Jordan Sjol, Alex Strecker und Kristen Tapson – die Frage, wie es möglich ist, sich der Institution zu verweigern, mit der sie arbeiten und von der sie abhängig sind. Sie präsentierten die Verweigerung als Tool, diese Abhängigkeiten aufzulösen und in lohnende Gemeinschaft umzukehren. Zugegeben, es gibt nicht viel zu sehen von und bei nothing happening here. Die Website des Kollektivs repräsentiert einen nie enden wollenden Ladevorgang. Zurück bleibt nur das Warten auf weitere Projekte und Workshops des Kollektivs – oder die Verweigerung des Wartens in Form eines Blickes ins Programm transmediale 2021/2022, die vom 26. Januar bis 18. Februar 2022 in Berlin stattfindet.