Internet Explorer: Kunst online #12
Irgendwo im Nirgendwo

11. Januar 2022 • Text von

Wir haben es doch alle schon einmal erlebt: uns irgendwo im Nirgendwo verirrt oder aber auch hier und da mal im Moment verloren. Wo ihr euch derzeit etwas online aus der Realität flüchten könnt, erfahrt ihr im “Internet Explorer”. Mit der “Non guided tour” der Mediengruppe Bitnik geht es durch die Pampa zurück nach Berlin, bei #LetterAR auf Augmented-Reality-Entdeckungsreise, zwischen Frieden und Wahnsinn Richtung Hollywood mit Dennis Rudolph und in “Spatial Affairs” vom ZKM Karlsruhe mit kriechenden Kunstwerken in die Tiefen einer fiktiven virtuellen Welt.

Screenshot vom Browserfenster eines Computers; das Bild ist grün eingerahmt und man befindet sich auf einem Feldweg auf dem Land zwischen grünen Wiesen, rechts unten in der Ecke läuft eine Zeit
!Mediengruppe Bitnik: Attention, Attention – Non guided tour, 2021, screenshot. Courtesy: the artists.

Stell dir vor, du wirst irgendwo zufällig ausgesetzt – ziemlich genau 100 km entfernt vom Neuen Berliner Kunstverein, der die Tour in Auftrag gegeben hat – und musst den Weg zurück finden. Hier beginnt die “Non guided tour” von der Mediengruppe Bitnik. Die Aufgabe ist klar: lauf ganz auf dich allein gestellt zurück zum Ausstellungsort. Durch Dörfer, Feldwege oder einsame Landstraßen muss ein Weg zurück in die Chauseestraße 128 ausgemacht werden. In der Regel dauert die Rückreise etwa zwischen 45 und 60 Minuten. Der Rekord liegt bisher bei 27 Minuten. Wer also Lust auf einen ausgedehnten virtuellen Spaziergang hat, sollte sich jetzt auf den Weg zum Laptop machen und im Anschluss an die Tour einen Screenshot mit der finalen Zeit an connect@bitnik.org senden! Angelehnt ist die Arbeit übrigens an ein Werk von 1962 des Fluxuskünstlers Tomas Schmit.

Viele Augmented Reality Skulpturen auf einem Bild, in bunten knalligen Farben und unterschiedlichen Formen vor einem ebenfalls knallbunten Hintergrund
Molly Crowe: #LetterAR Ensemble.

Bei Molly Crowe und dem Kunstprojekt #LetterAR gibt es Augmented-Reality-Skulpturen in allen Formen und Farben zu finden, die man aus jedem Winkel unter die Lupe nehmen kann. Geplant ist eine AR-Ausstellung mit vielfältigen Buchstaben-Skulpturen, die neue Schichten des Raumes erfahrbar machen soll. Molly Crowe visualisiert eine neu entwickelte Sprache, die durch einen virtuellen Raum durch das Publikum verändert und vielschichtig betrachtet werden kann. Der Verlauf der noch andauernden Pandemie hatte zur Folge, dass schnelle Anpassungen an sich ständig wechselnde Situationen stattfinden, sowie alternative Räume des Lebens erschaffen werden mussten. Die Künstlerin spürt deshalb der Frage nach der Wertigkeit von physischen und virtuellen Räumen nach, versucht, der Komplexität des Wandels einen Ausdruck zu verleihen und Kunstprojekte und Ausstellungen auch in Zeiten sozialer Distanzierung jederzeit zugänglich zu machen. Am besten lässt sich Molly Crowes AR-Kunst über das Smartphone oder ein Tablet erleben.

Wer mehr zum dem Thema Augmented Reality lesen mag, wird bei gallerytalk.net fündig! Madeleine hat über AR Face Filter geschrieben und Julia über die “Bilderreise” von Tim Berresheim durch das Heinsberger Land. Gleich vier Wege in die erweiterte Realität gibt es in unserem vergangenen November-Kunstgriff, wo unter anderem die erste AR Biennale in Düsseldorf mit dabei ist.

Ansicht der Online-Ausstellung "Wahnfried", man sieht in roter Leuchtschrift das Wort "Wahnfried", im Hintergrund fliegen große, ebenfalls rote, Worte umher
Dennis Rudolph: Wahnfried, 2021, Bark Berlin Gallery.

Bis zum 10. März 2022 zeigt die Bark Berlin Gallery die Online-Ausstellung “Wahnfried” von Dennis Rudolph, in der der Künstler Richard Wagners Idee des Gesamtkunstwerks aufzugreifen versucht. An den Wänden des digitalen Mozilla Hubs Raums steht in leuchtenden roten Neonröhren “Wahnfried” geschrieben – eine Wortneuschöpfung aus den deutschen Wörtern “Wahnsinn” und “Frieden”/”Ruhe” und gleichzeitig der Name von Richard Wagners Haus in Bayreuth. Dies war der Ort, an dem der Komponist seine bekanntesten und erfolgreichsten Opern entwickelte. Das “Wahnfried” von Dennis Rudolph ist als ein ähnlicher Ort, als eine Metaebene der Inspiration im virtuellen Raum zu verstehen, die einen Einblick in sein künstlerisches Schaffen gewährt und von wo aus eine feine rote Linie geradewegs nach Hollywood führt.

ein nicht definierter schwarzer Raum, in dem sich verschiedene Objekte in unterschiedlichen Formen und Farben umher bewegen
Screenshot of the online exhibition Spatial Affairs. Worlding – A tér világlása (https://spatialaffairs.beyondmatter.eu/en). Design and programming by The Rodina.

Das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe hat mit “Spatial Affairs. Worlding – A tér világlása” eine Online-Umgebung geschaffen, die von kriechenden und sich bewegenden Kunstwerken eingenommen wird. Die Avatare der Besucher*innen laufen in der Multi-User-Ausstellung zwischen Objekten und Körpern der Internetkunst sowie browserbasierten Projekten hindurch. Entworfen wurde die technische virtuelle Welt vom post-kritischen niederländischen Design-Studio “The Rodina” – angelehnt an den “Rechnenden Raum” von Konrad Zuse. In dieser Theorie von 1969 wird ein Universum beschrieben, das von lebenden und entwicklungsfähigen Automaten bewohnt wird. Auch hier wird ein sich ständig weiterentwickelndes Ökosystem, eine pluralistische virtuelle Umgebung zum Ausdruck gebracht, in der sich die Grenzen zwischen dem Ort selbst und dem Subjekt aufzulösen scheinen.