Karren, Korrosion und Knöterich
Gruppenshow "Carpark" im öffentlichen Raum

1. Februar 2023 • Text von

Autos nehmen viel Raum ein, im Leben der Menschen und im öffentlichen Raum. Sie sind Statussymbol, Hobby oder sogar Lebensmittelpunkt. Wer Auto poliert, poliert das Ego meist gleich mit. Das Auto ist aber auch ein Ort, ein Nichtort, an dem Wut ungehört ausbrechen kann, der uns und ein Freiheitsgefühl transportiert. Das Auto (be-)fördert Unabhängigkeit, Begegnung und Nähe. Und es ist politisch. Mit “Carpark” mischen sich derzeit einige von Künstler*innen getunede Modelle in das Stadtbild ein. Sie beleuchten, besingen und bewuchern sie und verweisen auf die verschiedensten Seiten des Autos. Mit dabei: Anna Ehrenstein und Rebecca Korang, Luki von der Gracht, Tara Habibzadeh und weitere. Vier Karren können bereits gefunden werden.

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Luki von der Gracht: “Untitled”, 2023. Installationsansicht, CARPARK, 2023. Foto: Joseph Devitt Tremblay.

Luki von der Gracht

Ein mintgrüner Kleinwagen knallte gegen die Säule einer kleinen Tankstelle. Er wurde wörtlich gegen die Wand gefahren. Ein wirtschaftlicher Totalschaden. Steckt eine Absicht hinter dieser Kollision? War es ein Unfall? Wie geht es Person X nach diesem doch recht starken Aufprall? Der vermeintliche Unfallort ist eine kleine verlassene FIT-Tankstelle in Berlin-Prenzlauerberg. Ein leerstehendes Gebäude, in einem Bezirk, in dem Leerstand und Kuriositäten tendenziell nicht zu erwarten sind.

Luki von der Grachts Unfallwagen weckt schlummernde detektivische Geister. Wer das Auto sieht, will wissen, was und wem hier was und warum passiert ist. Die Nase gegen die Fensterscheibe gedrückt ist wenig zu entdecken, alles normal. Es dröhnt eine Stimme aus dem Kofferraum: “I learned how to swim, I learned how to swim, Then I learned how to walk, I learned how to walk, Then how to fly, Yes I learned how to fly.” Sie besingt Szenarien der Selbstständigkeit, der Selbstbestimmtheit und Prozesse des Wachsens. Sie lassen zaghafte Rückschlüsse auf eine*n fiktive*n Kleinwagenfahrer*in zu.

Ein umfassenderes Bild ergibt sich dank der vielen Sticker, die vor allem am Heck kleben. Schriftzüge, viele davon rosafarbene, wie “Jesus loves you”, “What would Dolly do?” oder “You just got passed by a girl” mit dickem Knutscher, klären einiges auf. Ergänzt von Lady Dis und Marylin Monroes Abbildern tritt die Fahrerin zunehmend aus dem Schatten. Sie begeistert(e) sich offensichtlich für Frauen, die ihren eigenen Kopf hatten oder immer noch haben. Ikonen der queer-feministischen Szene, die den Körper feiern, wie er ist, die Haut zeigen, die Sexismus verachten und ihre Privatsphäre, ihr eigenes mit aller Kraft versuchten zu schützen und doch unter ständiger Beobachtung nicht einmal im Auto Zuflucht, sondern den Tod fanden. Tragische Figuren, die bis heute für Freiheit und Toleranz stehen.

 “So I’m in the water, My curls disappear, I’m in the water, Lejos de aquí” (Lejos de aquí; dt.: weit weg von hier). Carpark-Entdecker*innen werden sich womöglich etwas nachdenklich von Luki von der Grachts Wagen entfernen, oder sie sind beflügelt davon, dass er für gesellschaftlichen Wandel plädiert, dass er diese immer noch so drückenden Schuhe nicht wegignoriert, dass er von einem freien leichten Ort singt, der leider nicht real ist und es auch nicht werden kann, wenn wir uns nicht weiter auf die Stirn, oder die Heckscheibe, kleben, dass wir alle ausnahmslos “Rockstars” sind.

WO: FIT freie internationale tankstelle, Schwedter Str. 262, 10119 Berlin.

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Anna Ehrenstein & Rebecca Korang: “clans of berlin”, 2023. Installationsansicht, CARPARK, 2023.

Anna Ehrenstein und Rebecca Korang

Anna Ehrenstein und Rebecca Korang fahren vor, vor die Gedenkbibliothek am Blücherplatz. Der dunkelblaue 1990er-Jahre Opel Astra mit Cabrio-Verdeck reiht sich unter den parkenden Autos gut ein. Er protzt nicht, er ist aber auch nicht 0815. Über dem Schriftzug “Kriminelle Klans sind im Bundestag, nicht auf Berlins Straßen” auf der Motorhaube, flimmert in der Frotscheibe die Videoarbeit “clans of berlin”. Somit fällt der Wagen dann doch etwas auf – und das ist auch gut so. In ihrer Videoarbeit entlarven die beiden Künstlerinnen den gar reißerischen Gebrauch des Begriffes “Klan-Kriminalität” in Politik und Medien, der auf Probleme, auf kriminelle Tendenzen von marginalisierten Bevölkerungsgruppen verweisen soll, die es faktisch, so belegen es Zahlen und Fakten, die Ehrenstein und Korang stichfest zusammentragen, gar nicht gibt. Verkehrsvergehen gab es da ein paar, aber rasen können auch deutsch-deutsche meisterlich, wie wir wissen.

Mit diesem Begriff wurde Wahlkampf gemacht, wir erinnern uns ungern, aber wir sollten: 2020 fuhr während einer Pressekonferenz in Berlin-Neukölln ein von CDU-Landeschef Kai Wegner, der 2021 als Spitzenkandidat seiner Partei bei der Abgeordnetenhauswahl antrat, georderter gelber Lamborghini mit der Aufschrift “Kriminelle Clans gehören auf Netflix, nicht auf Berlins Straßen” und aufgeklebten Einschusslöchern vor. Dieser Opel Astra holt nun zum Rückschlag aus und der Schlag sitzt. Gekonnt hebelt er jegliche Argumentationen aus, die diese rassistische Äußerung, nichts anderes war es, rechtfertigen sollten, lässt sie kümmerlich dastehen, sie verpuffen und am Ende heiße Luft werden, stinkende Abgase sozusagen. Klargestellt wird auch: Shisha-Bars sind Bars in denen Shisha geraucht werden kann, meist gibt es einen Tee und Klatsch und Tratsch dazu. Ein geselliger Ort, Punkt.

Die öffentlich-rechtlichen Medien bekommen in “clans of berlin” ebenfalls ihr Fett weg. In der ZDF-Doku mit dem Titel: “Drogen, Waffen und verletzte Ehre: Die albanische Mafia” wird ein “schöner albanischer Spruch” genannt, das so laute: “Die Seife des Albaners ist Schießpulver”. Anna Ehrenstein, selbst albanischer Herkunft erzählt im Gespräch mit gallerytalk.net, dass sie ihre Eltern nach diesem sogenannten “schönen Sprichwort” gefragt habe und diese noch nie davon gehört hätten. Und sowieso, was ist schön daran?

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Anna Ehrenstein & Rebecca Korang: “clans of berlin”, 2023. Installationsansicht, CARPARK, 2023.

Die Doku lässt das Bild, Albaner*innen seien pauschal kriminelle Mafiamitglieder, die die Drogenszene in deutschen Großstädten dominieren, entstehen. Die Künstlerinnen verdeutlichen, dass derartiger Medienberichte nur Öl ins Feuer gießen und dazu beitragen, dass “die Hälfte aller Deutschen den Islam und die westliche Gesellschaft für unvereinbar halten. Genauso viele halten den Islam sogar für gefährlich”, so Anna Ehrenstein im Video, denn was medial durchsickert seien tendenziell Themen wie Ehrenmorde oder Fanatismus.

Der kleinste, aber dunkelste Teil der Wahrheit ist der, der es an die Öffentlichkeit schafft. Am Blücherplatz vor der Gedenkbibliothek ist nun das Gegenteil der Fall. Traurig, dass die Realität manchmal so wenig Stoff, zu wenig “Schattenseiten” für den Wahlkampf oder den Newsticker bietet. Apropos wenig Stoff. Anna Ehrenstein und Rebecca Korang ist danach, auch in anderem Sinne zu enthüllen, die Hüllen fallen zu lassen, sie twerken im Tanga auf ihre Recherche, auf den im Hintergrund eingeblendeten Quellen, sie schütteln alle Vorurteile buchstäblich ab. Wenn verhaftet, dann wegen sexy. Die Installation “clans of berlin” wurde vier Tage nach seiner Eröffnung abgeschleppt. Um Wiedereröffnung wird sich derzeit bemüht. 

WO: Öffentlicher Parkplatz in der Nähe der Amerika-Gedenkbibliothek, Blücherplatz, 10961 Berlin.

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Nike Kühn, Alien Species, 2022. Installationsansicht, CARPARK, 2023. Foto: Joseph Devitt Tremblay.

Nike Kühn

Das Dragoner Areal am Mehringdamm ist bekannt für seine vielen Autowerkstätten, Autos stapeln sich geradezu in dieser Region mitten in Kreuzberg und dennoch fällt Nike Kühns Installation “Alien Species” ins Auge. Nicht, weil sie sich aufdrängt, sondern weil sie etwas seltsam platziert ist. Es ist kein Parkplatz, eher eine leblose, geflasterte Ecke vor dem Biosupermarkt LPG, da steht für gewöhnlich nichts. Vielleicht mal ein ausgerissener Einkaufswagen, aber kein Saab mit komischem Kennzeichen.

“RYNTR JPNC” steht darauf und für die Pflanzenart Reynoutria japonica, der japanische Staudenknöterich. Wer hier seine Nase an die Scheibe drückt, kann ihn beim Winterschlaf beobachten. Die Pflanze bewohnt den silbernen Wagen, sie hat ihn komplett eingenommen. Erde bedeckt jegliche Sitzgarnitur, sodass das Auto Gewächshaus geworden ist. Es hat seine Funktionen der Pflanze zuliebe über Bord geworfen.

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Nike Kühn: “Alien Species”, 2022. Installationsansicht, CARPARK, 2023. Foto: Joseph Devitt Tremblay.

Nike Kühn bietet dem Staudenknöterich eine Plattform, aber eine begrenzte, eine halbe Freiheit, die ihm so auch nur in der Natur gewährt wird. Den Neophyten (engl. “Alien Species”) zuzuordnen neigt der Knöterich, der einst von kolonialen Streifzügen nach Europa gebracht wurde, dazu, sich stark zu verbreiten und andere Pflanzen zu verdrängen. Seine Verbreitung ist gesetzlich geregelt. Vom Knöterich zu erzählen, klingt fast wie eine Metapher für die angstschürende Migrationspolitik. Der Knöterich kommt, er nimmt uns die Jobs weg, lasst bloß nicht zu viele rein. Aber genug, nicht abschweifen.

Jedenfalls kann sich der Knöterich in Nike Kühns Auto austoben, er bekommt die Möglichkeit, auf seine Umstände aufmerksam zu machen, seine mysteriöse Seite kommt in diesem Wagen besonders gut zum Tragen. Es ist schwummrig, die Pflanze hat sich ihren kleinen Mikrokosmos erobert und kann sehr gut mit der ungewohnt metallischen Umgebung umgehen. Er kann sich anpassen, integrieren. Derzeit ist der Winter auch im Saab, aber mit dem Frühling wird es auch in ihm wieder saftig grün wuchern.

WO: Mehringdamm/ Ecke Obentrautstr., 10961 Berlin.

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Tara Habibzadeh: “There are two kinds of people”, 2023. Installationsansicht, CARPARK, 2023.

Tara Habibzadeh

Die Alte Jakobstraße entlangschlendernd sollten die Ohren gespitzt werden. Je näher Carpark-Erkunder*innen der Berlinischen Galerie kommen, desto wahrscheinlicher wird es, dass aus einem der geparkten Autos am Straßenrand “Freed From Desire” herausdröhnt. Eine unbekannte Person scheint vergessen zu haben das Radio auszuschalten. Der Song wird jedoch immer wieder von einer Stimme unterbrochen, die auf Farsi die Worte “bisto hafte deymahe hezaro chaharsado yet” spricht, das Datum 20.10.1401, an dem die Tonaufnahme gemacht wurde und Mitarbeiter*innen der Ölraffinerie Abadan in Khouzestan streikten. Der Iran richtet sich nach einem anderen Kalender, dem persischen Kalender oder auch Dschalāli-Kalender genannt. 

Wer die Quelle des Sounds erfolgreich verortet hat, bleibt vor einem dunkelblauen Audi-SUV, vor Tara Habibzadehs Installation “There are two kinds of people” stehen. Hinter der Frontscheibe liegen vier Bücher aus, von denen jedes einen Bezug zur iranischen Kultur herstellt und Identitätsfragen verhandelt. Der Roman “Statue of Love” des iranischen Autors Tandis-e eshghs “Down Girl: Die Logik der Misogynie” von Kate Manne, “Frauen in der iranischen Wirtschaft” von Professorin, Anwältin und Frauenrechtlerin Mehrangiz Kar und “Professing Selves” der in Kanada lebenden iranischen Forscherin Afsaneh Najmabadi zum Thema Gender Studies und der vorkolonialen Geschichte von Transidentitäten im Iran.

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Tara Habibzadeh: “There are two kinds of people”, 2023. Installationsansicht, CARPARK, 2023.

Tara Habibzadehs Arbeit verweist auf das lückenhafte Wissen über ihre Heimat, das sich durch mangelhafte Berichterstattung auf der westlichen Hemisphäre ausgebreitet hat. Habibzadeh gelingt es durch feine Details, wie das für viele vermutlich zunächst unlogisch klingende Datum, diese Lücken, in denen Vorurteile wunderbar gedeihen können, aufzuzeigen. Der Iran gehört auf die Tagesordnung, das Land, seine Frauen, seine Männer, seine non-binären, nicht heteronomativen Individuen sollen gehört werden. In dem der Arbeit zugehörigen Text schreibt Habibzadeh: “There are two kinds of people in this world. Those who see things and those who don’t. Those who think and those who don’t. Those who kill and those who don’t. …” Also: hingucken, nachdenken und damit die, die nicht töten, unterstützen, die, die sich der Brutalität entgegenstellen und mutig das menschliche, tolerante und nach Freiheit strebende Gesicht eines Landes zeigen. Mit breiten Schultern, massig und unumstößlich steht der dunkelblaue SUV in diesem Kontext für das Gute ein.

WO: Öffentlicher Parkplatz, Alte Jakobstr. 10, 10969 Berlin.

Carpark ist ein multimediales und thematisch weit gefächertes Projekt, das im öffentlichen Raum Niedrigschwelligkeit von Kunst zelebriert, sich den Gesetzen der Straße stellt, das Auto von allen Seiten beleuchtet und Lebewesen jeglicher Form, Farbe, Sexualität und Herkunft würdigt. Und Carpark wird noch Zuwachs bekommen: Ab dem 16. Februar wird Kinga Kielczynskas Auto-Installation bei der Bauhütte, Friedrichstraße 19, zu sehen sein. Zudem kann auf der Projekt-Webseite die Videoarbeit “keep in touch” von Peng Zuqiang angesehen werden. Das Carpark-Finale steigt am 19. Februar auf dem Dragoner Areal am Mehringdamm 20-30 mit der Performance „Cliche“ von Göksu Kunak und zwei weiteren Auto-Installationen des Kuratorinnen-Kollektivs EVBG und Dennis Dizon. 

WANN: Alle “Carpark“-Arbeiten können bis Sonntag, den 19. Februar, gefunden werden.
WO: An verschiedenen öffentlichen Orten Berlins.

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