Schwirrflug im Spektrum Inari Sandall im Espai 13 in der Fundació Joan Miró
11. Juni 2024 • Text von Lara Brörken
Der Mensch soll produzieren, konsumieren, einfach funktionieren. Die, die aufgrund neurologischer Faktoren durch das Raster fallen, haben es schwer. Sie stören die kapitalistische Ordnung, verhalten sich unpassend, bekommen Medikamente, werden ruhiggestellt. Neurodiversität systematisch als Fehler einzustufen findet Inari Sandell falsch. Mit “Butterfly Logic” im Espai 13, im Untergeschoss der Fundació Joan Miró in Barcelona verhandelt Sandall Lebensrealitäten von Menschen in neurodiversen Spektren. Und präsentiert einen Botschafter für die Schönheit von Neurodiversität: den Schmetterling.
Der Kopf ist voll von Joan Mirós farbstarken Formen, seiner feinen Linie und starken Flächen. Brav wie Maschinen folgen Besucher*innen den Pfeilen durch die imposanten Räume der Fundació Joan Miró auf dem Mont Juïc in Barcelona. Die Köpfe in den Wolken träumen sie, stolpern beinahe ineinander vor dem Anblick der Meter hohen Tapisserie und dem Skulpturengarten auf dem Dach und über den Dächern der restlichen Stadt. Die Sonne brennt, es ist Zeit, wieder reinzugehen.
Eine Treppe lockt in ein Kellergeschoss, das Abkühlung verspricht und so mysteriös ins Dunkle führt. Es ist tatsächlich kühl hier. Ein Metallgerüst steht inmitten des weißen Raumes, dessen Decke offen und industrielle Träger und hellen Stein offenlegt. Im Hintergrund läuft ein Film auf einer Leinwand, erzeugt ein Grundrauschen, beinahe Dröhnen und eine ruhige Stimme spricht: “I know how it feels to flutter”. Schmetterlinge flattern durch das Bild. Wir alle flattern mal.
Inari Sandells Soloausstellung “Butterfly Logic” ist die zweite von vier diesjährigen Shows im Espai 13, dem Raum für zeitgenössische Kunst der Fundacio Joan Miró in Barcelona. Die diesjährige Saison läuft unter dem Titel “We Will Keep Each Other Company When It Grows Dark” und wird kuratiert von Irina Mutt. Alle vier Soloausstellungen werden sich dem Thema des Individuums in der Welt auf besondere Weise widmen. Sandalls künstlerische Praxis fokussiert sich auf das Anderssein, auf neurologische Diversität in Zusammenhang mit digitalen und humanitären Entwicklungen. Sandall schafft Kunst als sensorisches Ereignis, als Trigger des Perspektivwechsels.
Zwischen den massiven Stahlträgern hat sich die Kunst verheddert wie ein Fisch im Netz. Fünf Fotografien der namensgebenden Serie “Butterfly Logic” sind in Metallschienen gerahmt und an das Gerüst gebunden. In den Bildern wiederholt sich die metallische Ästhetik der Befestigung, die industrielle Kälte, nur dass sich ein Anis-Schwalbenschwanz seinen Weg durch das graue Dickicht bahnt. Der seltene Schmetterling schafft ein Fleckchen Leben, bringt ein bisschen Hoffnung in die triste Maschinerie.
Für Inari Sandall ist der Schmetterling ein Sinnbild derer, die anders funktionieren, die sich nicht ohne Weiteres in das System, die Kapitalismus-Maschine einfügen lassen. Sie sind bunt, sie sind fragil, brauchen Freiheit und Schutz. Sie handeln intuitiv, fliegen der Nase nach und wenn sie sich bedroht fühlen, geraten sie ins Schleudern, flattern wilde Zickzack Linien, um ihre Feinde zu verjagen.
Der Film “On Butterfly Logic”, der im Loop auf einer großen Leinwand gezeigt wird, wie auch die Fotografien zeigen Schmetterlinge, die im Naturhistorischen Museum in Kopenhagen zu finden sind. In einer Art Gewächshaus aus Plexiglas, Beton und Stahl, das niemals groß genug sein kann, flattern die Schmetterlinge gegen die Konstruktion: “I watch them beating their wings against the glass until they break“ erklingt Sandalls Stimme ruhig und eindringlich.
Erschöpft setzt sich ein Schmetterling auf den Maschendraht, die Flügel teils zerfetzt. Sie mühen sich ab und Sandall berichtet von Elektroschocktherapien für Menschen im Spektrum, die dazu neigen, sich selbst zu verletzen. Sie verfolgen eine “falsche Logik”, also müssten Maßnahmen her, die ihr Verhalten richtigstellen. Wer sich ohne nachvollziehbare Logik in der Welt bewegt, gelte als behindert. Es folgt die ewige Korrekturschleife, der Zwinger, die Zwangsjacke. Ist die Ordnung noch in Ordnung?
Auf dem Boden steht ein flacher Glaskasten, indem ein Haufen graublauer Bälle liegt. Mit ihren runden Stacheln erinnern sie an Seeigel, an Gummimassagebälle. Einige sind etwas zerbröckelt. Tun sie weh? Oder gut? Die Arbeit heißt “Triggers” und ihre Wirkung wird im Glashaus in Zaun gehalten. Vielleicht ist es besser so. Dennoch ist der Reiz groß, sie anzufassen.
Die “Triggers” sind platziert wie Türsteher vor einem Klub. An ihnen vorbeigekommen ist der Blick auf eine Decke voller aufgenähter Flammen freigegeben. Die “Burnout Blanket” lodert hier hinter einer Wand verborgen still vor sich hin. Von außen ist nicht sichtbar, was im Inneren vor sich geht, es lassen sich hier immer wieder spannende Parallelen von Menschen, Gesellschaft, Psychologie und Sichtbarkeit ziehen. Der Trigger ist ein schlechter Türsteher, er steht vor dem Burn-out wie eine semipermeable Membran – er lässt sehr viel durch.
Eine weitere Decke hängt an Metallketten und von einer geschwungenen Stange gehalten schwer im Raum. In einzelnen Kammern ist sie mit Glasscherben gefüllt. Die “Gravity Blanket” glitzert trügerisch, denn sie drückt und schneidet wohl eher, wenn sie sich auf einen Körper legt. Hinter ihr an der Wand ist ein Griff angebracht, einer wie er neben Toiletten oder Duschen Stütze sein kann. Doch dieser ist übersät von Nagelspitzen wie ein Kaktus.
Die zentral im Gerüst gehängte “Graduated Electronic Decelerator Blanket” glänzt seidig grau. Sie sieht edel und weich aus. Zwei Torso in einer Art Weste sind auf sie gestickt, mit Pfeilen versehen und beziffert. Es ist eine erklärende Skizze eines Folterinstruments, das zur “Verhaltensmodifikation” bei Fehlverhalten an Schulen und zur medizinischen Behandlung von selbstverletzendem Verhalten eingesetzt wurde. Es ist seit 2020 als Folterinstrument eingestuft, aber bis heute auch nicht offiziell verboten. Eine erschreckend schwammige Lage.
Sandalls Objekte legen die Brutalität von medizinischen Praktiken und die Enge des Systems offen. Das Gefühl, gefesselt, eingesperrt, festgehalten oder gestochen zu werden ist omnipräsent und es ist kaum fassbar, dass ein System denkt, dies könnte irgendjemandem helfen. Diese Ausstellung geht nahe, beinahe buchstäblich unter die Haut. Sandall plädiert für Akzeptanz, Freiheit, ein Umdenken, das Menschen in ihrer Vielfalt würdigt. Sandall hat das letzte Wort: „Different but not inferior. Devise a plan for survival. Power in silence. Explain to death. Take the long way – non-linear.” Mic Drop.
WANN: “Butterfly Logic” ist noch bis Sonntag, den 7. Juli zu sehen. Am 19. Juli eröffnet dann die nächste Show der Saison mit Danielle Brathwaite-Shirleys “My mirror on fire”.
WO: Fundació Joan Miró, Espai 13, Parc de Montjuïc, 08038 Barcelona.