In der Hölle werden Träume wahr "Hell, Yes!" bei Horse & Pony
9. Mai 2021 • Text von Lara Brörken
Selten hat eine Hölle herzlicher eingeladen, nie buntere Flammen geschlagen. Die Ausstellung „Hell, Yes!“ in der Galerie Horse & Pony öffnet das Tor zur verträumtesten Hölle auf und unter der Erde. Oben schwebt Courtney Love, unten im feucht-kalten Kellergemäuer wacht das Devil-Horse – und dazwischen? Träume und Ängste ohne Ende. Lady Gaga würde sagen: Tretet ein my little monsters! (Text: Lara Brörken)
„Heart of Glass“ – von innen nach außen leuchtet zaghaft das Neon. Ein kleiner, unscheinbarer Schein, der über der Tür von Horse & Pony neugierig auf mehr macht. Das leuchtende Neon-Herz von Christa Joo Hyun D’Angelo könnte als Motto der ganzen Erfahrung gelten: Es spielt zwischen Körper- und Gefühlswelt, es strahlt grell und selbstbewusst und ist dennoch zart und zerbrechlich. D’Angelo arbeitet im wahrsten Sinne des Wortes mit Schein und Sein – Sie beleuchtet und beschallt, bis jede Scheuklappe abgelegt ist, bis es weh tut, wo es weh tun soll. Wie ein heißer Stempel brennt sich das Neon auf die Netzhaut.
Mit dem ersten Schritt in den aufregenden Raum hinein, schallt einem der Lady-Gaga-Sound ihres Filmes „Bitches and Witches“ entgegen. Intuitiv geht man Schritt zwei und drei und beugt sich neugierig an der brüchigen Mauer vorbei. Sichtbar wird eine kleine Glotze, in der sich Carrie Bradshaw, Daryl Van Horne, Lee Holloway, Nancy Downs übereinanderlegen. Diese Mischung plus starke Schnitte und Bass lassen ein Frauenbild entstehen, das einen erschaudern lässt. Ausgeschnitten und neuzusammengesetzt wird eine gruselige Wahrheit sichtbar: Es ist in einer von Kapitalismus und Sexismus durchzogenen Gesellschaft nicht leicht, etwas anderes zu sein als Bitch oder Witch. Du bist zu sexy, zu stark, zu schwach, wo ist das Dazwischen? Die Wahrheit wandelt wie ein Untoter im sexy Negligé durch den Raum und wir mit ihr.
„Rah, rah-ah-ah-ah; Roma, roma-ma; Gaga, ooh-la-la; Want your bad romance.”
Der Film wirkt direkt, böse, sexy und laut. Der Sound frisst sich in jeden Stein, gleitet über jede Fliese des ausdrucksstarken Ausstellungsraumes, der sich nicht zurückhält, sondern mit industrieller Rohheit und ornamentaler Hoheit einmischt. Der Ausstellungsraum ist Teil der Werke.
Bass schwemmt uns zu Ryan McNamara, dessen Wahrheit in 21 Zeichnungen an einer Fliesenwand haftet. Auf den kalten, weiß-glänzenden Steinen wird jede im Grunde selbst zur Fliese – jedes Blatt ist eine bunte Meta-Fliese, die Realität und Traum übereinanderschichtet. Die Masse an bunten Zeichnungen saugt einen in eine von Ängsten und Wünschen verformte Welt, die seltsam lustig ist. Comichaft, mit kindlicher Leichtigkeit, wird der Körper zu einem einzigen Organ – ein lässig an der Wand lehnender Darm. Wunden, Penis, Kreaturen, Kind, Schmerz, Lust, Schnecke oder Paradiesvogel? Du kannst alles sein, alles haben, alles ist möglich. Love and do what you will. McNamara stellt sich in diesen Arbeiten erstmals der sonst von ihm gefürchteten Direktheit der Zeichnung und beweist in jeglicher Hinsicht, dass auch Furcht Inspiration sein kann.
Lady Gagas Stimme peitscht unermüdlich: „Rah, rah-ah-ah-ah; Roma, roma-ma.“
McNamaras Traumkörpern gegenüber hängt Derick Decario Ladale Whitsons Körper-Wahrheit. Die beiden Künstler scheinen sich in einem Punkt besonders einig zu sein: Spaß und Ernst liegen nah beieinander. Whitsons Fotografien sind intim, sehr nah und doch zu stark inszeniert, als dass man wirklich Persönliches erfahren könnte. Keiner lacht, und doch sind alle Clowns. Die Blicke sind traurig, die Strumpfhosen bunt. Make-up ist Maske, Umgebung ist fremd. Wunden der Vergangenheit? Die kuratorische Entscheidung, die drei großformatigen Fotografien auf der jugendstilartig-ornamental gefliesten Wand und Säule zu platzieren, ist eine gute – die schöne Fassade bröckelt.
Carrie wird im Hintergrund von Mr. Big enttäuscht: „What are you doing here?”, „What am I doing here? What are you doing here?” Das klingt toxisch.
Toxisch ist es auch bei Jennifer Sullivan. Ihre 2m-langen Courtney-Love-Versace-Baumwollschals bewachen beide Ausstellungsräume von oben. Die besonders starke chemische Farbe fließt nahezu unkontrolliert in die Fasern hinein und verzieht die Formen. Das „Grungeface“ als Resultat des Kontrollverlustes? Courtney Love vom Leben gezeichnet, vom Ruhm, vom Konflikt, vom Konsum. Das toxisch gelebte Leben, die Öffentlichkeit hat sich auf jeder Ebene in jede Faser gesaugt. Der Blick der Besucher*innen richtet sich zu ihnen hinauf. Die unstete, flatterhafte Figur findet in ihrer Positionierung und Materialität engelsgleiche Leichtigkeit. Alles gedeiht auf giftigem Nährboden. Sullivans unnatürlichen Farben spielen spannungsreich mit ihren Motiven. Sullivans Blumen welken, die Farben blühen – Powerful Vanitas!
Die von Cheryl Donegan eingekleidete Schaufensterpuppe bewegt sich in Frankensteinmanier auf den flimmernden, brüllenden Fernseher zu. Donegans Mode kleidet sie widersprüchlich lebendig. Das Seidenkleid fällt fließend und edel. Ihre Designs sind vom Vintage- und vom Upcycling-Gedanken inspiriert. Sie greift Muster auf und wiederholt sie, druckt sie auf neue Stücke. Sie haucht leblos geglaubtem Material neues Leben ein, wie die Pose der weißen Plastikfigur aufgreift. Neben ihren zwei Modedesigns sind im Rahmen von „Hell, Yes!“ auch drei Leinwände zu sehen, die auf die geometrischen Muster ihrer Mode referieren. Auch ihre flächigen Werke haben einen tragbaren, haptischen Charakter. Formen, Linien und Flächen sind weich.
„Walk, walk, fashion baby; Work it, move that bitch crazy“ – Lady Gaga.
Die Treppe nach unten knarzt, der Boden wirkt unsicher und rutschig, ist es aber nicht. Im Keller lodert das Feuer der Ausstellung. „HEART OF A CHAMPION“ ist eine weitere Neon-Installation von D’Angelo, die in heißem Rot einen Pferdekopf umreißt. Ein dunkles Kellerloch der strahlenden, vibrierenden Ereignisse. Der Champion ruft. Hinter dem Pferdekopf stapeln sich Holzlatten wie überwundene Hindernisse.
Der Kellerflur reckt sich nass und kalt vom heißen Pferd weg und schleust direkt zu einer von Monika Grabuschnigg geformten Unterwelt. Ihre Keramik „Dull Skies“ ist von Würmern besiedeltes Erdreich. Oder saurer Himmel. Die Natur ist im Ungleichgewicht. Sie glänzt nass und bedrohlich, ihretwegen trieft die Kellerwand. Wer hat mit den schwarzen Keramik-Crocs das Fenster zerbrochen? Was ist in diesem Raum passiert? Der praktische Gummischuh wird in diesem Raum zum Störenfried, er und seine Plastik-Freunde haben die Natur ins Ungleichgewicht gebracht.
McNamaras Film „Fleshcore“, der zwischen nassem Erdreich und glühendem Pferd gezeigt wird, äußert einen starken Wunsch nach Nähe. Unter den Kopfhören wird der Besucher wortwörtlich von Bildern und Bass verschluckt. Wir gucken auf Haut und Haare und gleichzeitig in den Menschen hinein. In der Schichtung der Bilder wird Haut durchsichtig und undurchsichtig gleichermaßen. Wir sind diese extreme Körpernähe nicht mehr gewohnt, fühlen uns einsam, sehnen uns. Der Körper pulsiert. Er sabbert. Er verklammert das Glühende mit dem Nassen. Der Körper ist immer wieder die Klammer. Der Keller brennt auf Erfolg, darauf die Hürden zu meistern. Lasst uns die Natur verschonen! Lasst unsere Körper beben! Lasst es krachen! Lasst alles raus! Aggressiv optimistisch trete ich zurück in die Neuköllner Realität.
WANN: Die Ausstellung „Hell, Yes!“ läuft noch bis Sonntag, den 30. Mai. Derzeit kann sie leider nicht besucht besucht werden.
WO: Horse & Pony, Altenbraker Straße 18, 12053 Berlin.