Entgegen der Hegemonie "The Conflictive and Contradictory" in der ifa-Galerie Stuttgart
19. August 2024 • Text von Julia Anna Wittmann
In der ifa-Galerie Stuttgart spannt sich ein dichtes Netz aus persönlichen, migrantischen und kolonialen Narrativen. Die raumgreifenden Installationen von Tin Ayala, Parisa Babaei, Emma Ben Aziza, Maéva Conderolle und Simon Gabourg brechen mit herrschenden Denkmustern und kreieren, basierend auf ihren eigenen, diasporischen Perspektiven, neue Blickwinkel auf unsere sich ständig wandelnde Welt.
Der Ausstellungsraum der ifa-Galerie Stuttgart ist dicht gefüllt mit humoristischen und poetischen Geschichten: Geschichten von kolonialer Agrarwissenschaft, von geschlagenen Bäumen, spirituellen Gefäßen, Pestiziden und indigenen Philisophien. Die Gruppenausstellung “The Conflictive and Contradictory” findet in Zusammenarbeit mit dem internationalen Künstler*innenprogramm Post-diplôme Art 2023–2024 an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts de Lyon statt und zeigt Arbeiten von Tin Ayala, Parisa Babaei, Emma Ben Aziza, Maéva Conderolle und Simon Gabourg.
Direkt am Eingang des Ausstellungsraumes werden die Besucher*innen mit den ironischen Worten “Maybe this isn’t for us, but let’s give it ten years” begrüßt. Wechselnde Sätze und das wiederkehrende Abbild eines Papageien erscheinen auf einem Hologramm-Fächer, der innerhalb eines übergroßen Paisley-Blattes platziert wurde. Mit ihrer Skulptur “In this together, Aren’t we?” wirft Parisa Babaei die Frage nach der Transformation eines kulturellen Motives auf. Das ursprünglich aus dem Iran stammende Muster gelang über Indien nach Großbritannien. Dort entwickelte sich das dekorative Stoffmuster Anfang des 17. Jahrhundert zu einem Exportschlager der schottischen Stadt Paisley – die bis heute die Bezeichnung des Motivs prägt.
Auf einem italienischen Kupferstich des 16. Jahrhunderts basiert Parisa Babaeis zweite Arbeit “Hammering a Wall-nut”. Im Mittelpunkt der Installation steht eine stark spiegelnde, rundlich gebogene Oberfläche, welche zwei Männer mit Stöcken abbildet die auf einen Baum einschlagen. 3D gedruckte Wallnüsse komplementieren die Installation und geben einen Hinweis auf die Gattung des Baumes. Seit der Antike werden Nüsse mit Weiblichkeit assoziiert und die Walnuss-Ernte mit Fruchtbarkeit gleichgesetzt. Gleichzeitig galt in der Renaissance das Sprichwort: “Eine Frau, ein Hund und ein Walnussbaum, je mehr man sie schlägt, desto besser werden sie.” Eine Aussage, auf die Babaei provokativ mit einem pinken, weichen Textilhammer zu Füßen des Kupferstichs antwortet.
Pflanzen sind auch Ausgangspunkt von Emma Ben Azizas “Le Muséum de espèces inutiles”, dem Museum der nutzlosen Arten. Die Rauminstalltion greift die Geschichte der Botanik und der tropischen Agrarwissenschaft auf. Die Künstlerin bringt in einer Art Schulraum verschiedene Archiv-Materialien des Pariser “Jardin Colonial”, des Kolonialgartens, zusammen. Das Lernmaterial wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Schulkinder entwickelt und zeigt die wichtigsten Pflanzen des französischen Kolonialreiches. Aziza versucht die darin zugrunde liegenden Mechanismen aufzuzeigen und diesen eine dekoloniale, persönliche Herangehensweise der Pflanzenuntersuchung entgegenzustellen. In einem Schaukasten versammelt die Künstlerin Erinnerungen ihrer Kindheit an den Orangenbaum ihrer Familie.
Eine dieser von Kolonialgeschichte geprägten Pflanzen ist die Kakao-Pflanze, die Maéva Conderolle in ihrer Arbeit “Volcano lips and their children stuck in the haze” zum Thema macht. Conderolle greift mit ihren sechs hell glasierten Keramiken die Form von Maya-Gefäßen der klassischen Periode auf und ergänzt diese mit Miniatur-Kakaoschoten. Entgegen der jahrelangen Annahme, dass es sich bei den Behältnissen um Trinkgefäße handeln müsse, wurden die Objekte tatsächlich zur zeremionellen Aufbewahrung des Kakaos verwendet. Auch die Gefäße der Künstlerin werden in Anlehnung und Würdigung ihres Ursprungs genutzt, um Kakao-Schalen aufzubewahren. Auf die Gefäße hat Conderolle Figuren gezeichnet, die den traditionellen Herstellungsprozess des Kakaos abbilden.
Der Aspekt der Globalisierung und des globalisierten Handels durchzieht alle Arbeiten der Ausstellung. Simon Gabourg beschäftigt sich in der raumgreifenden, multimedialen Installation “The plastic age initially relied on wood” mit der Holzpalette als entscheidendem Objekt der instruriellen Entwicklung der Nachkriegszeit. Mangroven aus Stahl und Holz, ein großformatiger Textildruck und eine Drei-Kanal-Videoarbeit geben weitere Hinweise auf den Kontext der Arbeit. Auf den Bildschirmen ist Archiv-Material das den extremen Bananen-Export in Guadeloupe dokumentiert zu sehen. Die Probleme, die mit dem einhergehenden, übermäßigen Pestizid Einsatz entstanden, sind hier deutlich zu beobachten. Noch immer leidet die Bevölkerung unter den Folgen des Massenexports.
Tin Ayala untersucht die mit der Globalisierung und Kolonialisierung entstandenen dynamischen und widersprüchlichen Kulturräume der indigenen Bevölderung der Anden. Seine Installation “Feliz Cholonizatión” versteht sich als Plattform für Freude und Gemeinschaft und setzt sich aus einem weitläufigen Wandbild sowie einer mehrteiligen Soundsystem-Landschaft zusammen. Zusätzlich zeigt eine Videoarbeit Eindrücke aus El Alto, einer bolivianischen Stadt, die für ihre neoandine Architektur bekannt ist. Die farbenfrohen Häuser, welche seit den 2000er Jahren von der indigenen Bevölkerung gebaut werden, sind ästhetische Vorbilder und Inspiration für Ayalas geometrische Soundsysteme.
Die teilnehmenden Künstler*innen Tin Ayala, Parisa Babaei, Emma Ben Aziza, Maéva Conderolle und Simon Gabourg leben und arbeiten in Frankreich, kommen jedoch aus Landschaften, die stark von ihrer kolonialen Vergangenheit geprägt sind. Die persönlichen Erfahrungen und Lebenswelten der Künstler*innen weben sich in ihre Werke ein, die durch Form, Sound und Video die vielfältigen Geschichten und persönlichen Recherchen hier und heute in den Ausstellungsraum tragen.
WANN: Die Ausstellung “The Conflictive and Contradictory” läuft noch bis Sonntag, den 6. Oktober.
WO: ifa-Galerie Stuttgart, Charlottenplatz 17, 70173 Stuttgart.