Idealismus bei knappem Budget
Die Projekträume Berlins am Puls der Zeit

1. August 2018 • Text von

Das Project Space Festival widmet sich seit 2014 der Dynamik der freien Kunstszene Berlins. Er bietet nicht nur dieser eine Plattform, sondern zugleich dem Kulturbegeisterten die Möglichkeit, diese Räume zu entdecken, in denen jenseits des Mainstreams kreative Energien und Synergien produziert werden. Wir möchten drei davon vorstellen.

Dora observatory, 2017, The observatory project, © Seoul national university graduate school of environmental studies

Dem Projektraum eine Definition aufzuzwängen, wäre genauso brutal wie den Paradiesvogel in den Zwinger zu sperren. Denn er speist aus einer uneingeschränkten Experimentierfreudigkeit und Spontanität ohne extern auferlegten Rahmenbedingungen, was nur in Unabhängigkeit von institutionellen Bedingungen und den berechnenden Kräften des Marktes möglich ist. Vielfalt ist hierbei Programm. Seine experimentelle, häufig interdisziplinär denkende und handelnde Natur platziert den Projektraum und das kreative und visuelle Gut, was dort entsteht, an den Puls der Zeit. Hier werden Themen und Ideen in Bewegung gesetzt, die häufig erst in abgekochter, lauwarmer Form Markt und Institution – und somit ein breites Publikum – erreichen. Quer zu denken, neu zu denken und dafür dann allem voran durch gemeinschaftlichen Austausch eine – nicht immer nur visuelle – Form zu finden; dafür braucht es eine Freiheit, die sich keine Galerie und kein Museum leisten kann, für die ihrerseits wiederum große finanzielle Unsicherheiten in Kauf genommen werden müssen. Von scharfsinnigen Persönlichkeiten mit purer Leidenschaft und altruistischem Einsatz betrieben, steht hier Kultur- und Gedankenproduktion an erster Stelle. Doch wer bei den Stichworten „Experimentierfreudigkeit“ und „Freiheit“ an eine bunte Spielwiese denkt, auf der alles geht und nichts allzu ernst genommen werden muss, liegt falsch. Das intellektuelle Niveau und der Grad an Spezialisierung auf bestimmte Spaten sind enorm hoch, was einen intensiven Austausch und ein ausgefeiltes Programm garantiert. Das Project Space Festival möchte dem Kuriosum „Projektraum“ aufgrund eben dieser Qualitäten eine Legitimierung in der Szene außerhalb ihres eigenständigen Netzwerkes ermöglichen und stellt auch dieses Jahr wieder an jedem Tag im August einen solcher Räume vor, der sich für 24 Stunden dem Publikum präsentiert.

Sentire, Courtesy of SPEKTRUM, Foto: Kersten Buch.

So stellt das SPEKTRUM in Neukölln einen Ort dar, in dem sich vor allem Künstler und Wissenschaftler, aber auch Hacker und Aktivisten zusammenfinden, um in Form von Communities unterschiedliche Disziplinen von Kunst, Wissenschaft und Technologie miteinander zu verbinden. Der hohe Grad an Spezialisierung auf technischer Ebene soll dabei den Laien nicht abschrecken; die Betreiber des Raumes – Medienkünstler Alfredo Ciannameo und Community Builderin Lieke Ploeger – verstehen diesen als identitätsstiftend und zugleich sehr zugänglich und partizipativ. Für Sichtbarkeit, wie auch für die nötigen Einnahmen sorgt das Performanceprogramm am Wochenende, von Donnerstag bis Sonntag bildet sich allabendlich ein Träubchen junger, elangeladener Menschen um den Raum in der Bürknerstraße, der von außen wie eine klassische Neuköllner Bar aussieht. Auch das Programm, das von zwei des Dutzends Communities im Rahmen des Festivals ausgetragen wird, ist zwar liebevoll speziell, jedoch durchaus  in der Lage, auch den interessierten Laien abzuholen. Am Nachmittag geht es mit dem „Scent Club“ – einer Gemeinschaft an Geruchsenthusiasten, die in unterschiedlichen Disziplinen mit dem Geruchsinn experimentieren – auf einen Streifzug durch die Flora und Fauna Neuköllns, welche im Anschluss in einer Live-Destillations-Performance weiterverarbeitet werden soll. Anschließend realisiert „Sentire“ eine installative Performance, bei der ein Sensor die Nähe und die Berührungen zwischen zwei Menschen misst und in Klangform überträgt.

WANN: Das Event wird am Freitag, den 24. August, abgehalten. Nach Gerüchen wird ab 17 Uhr gejagt, getastet und gefühlt ab 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.
WO: SPEKTRUM | art science community, Bürknerstraße 12, 12047 Berlin Neukölln.

NikhilChopra und YukoKaseki, Courtesy of grüntaler9, Foto: Teena Lange.

Teena Lange betreibt den Raum grüntaler9 – „die Grüntaler“ wie sie ihn nennt – nun seit sieben Jahren. Er entstand aus einer Notwendigkeit heraus, die die Theaterwissenschaftlerin und der indische Performancekünstler Nikhil Chopra früh erkannten. Als erster und einziger Space, der sich ausschließlich der performativen Kunst widmet, ist er ein wichtiger Bestandteil eines internationalen Netzwerkes, das in regem Austausch steht. „Ohne Support und Netzwerk geht es nicht, auch nicht ohne das Gefühl, dass der Raum gebraucht wird“, sagt Teena, wobei heute nicht mehr klar ist, wer den Raum mehr braucht. Auch sie steckt ihr Herzblut in diesen Ort, überlässt andererseits den performenden Künstlern vor Ort die volle Verantwortung. Diese dürfen mit dem Raum wortwörtlich machen, was sie wollen. Gerade die Performancekunst braucht genau diese Freiheit, die eine Institution aus diversesten Gründen nicht bieten kann – seien es Versicherung, Denkmalschutz oder schlichtweg rigide Vorgaben. Mit den hinterlassenen Spuren muss sich der nächste Performer auseinandersetzen, er kann sie entfernen oder mit ihnen weiterarbeiten. Bei dieser Handhabe schwingt die interessante Frage nach Autorschaft mit, die Lange wohl bewusst in den Raum stellt. Auch zeitlich wird kein klarer Rahmen gesetzt, was dem Besucher oder „Zeugen“, wie Lange ihn nennt, eine gewisse Selbstständigkeit abverlangt. Charmanterweise finden sich in diesem in dem Raum nicht nur Mitglieder der festen Gemeinschaft, die sich dort gebildet hat, sondern auch die Nachbarschaft zusammen – an einem Ort mitten im Wedding, wo der türkische Friseur immer attraktiver sein wird als ein White Cube. Für das Project Space Festival organisiert Lange eine neun Stunden andauernde Gesamtperformance, die aus mehreren Künstlern besteht, die sich nach dem Schneeballprinzip gegenseitig einladen, teilzunehmen. Das Projekt soll die Bandbreite der unterschiedlichen Generationen veranschaulichen und eine Interaktion der teilnehmenden Künstler fördern.

WANN: Die Performance am Samstag, den 11. August, hält von 11 bis 20 Uhr an. Man kann jederzeit kommen und gehen.
WO: grüntaler9 – a space towards the performative, Grüntaler Straße 9, 13357 Berlin Wedding.

Klaas Hübner, Extended pick-up #2, sound installation, power supllies, hard drives, motors, fans, cables, electromagnetic pick-up, 2016, Courtesy of the artist and NON.

NON“ bedeutet „diskutieren“ auf Chinesisch. Diskussion als Austauschform stellt das Fundament interkultureller Beziehungen dar, welche die koreanischen Betreiber des gleichnamigen Projektraumes, die Videokünstlerin Chan Sook Choi und Architekt Ido Shin, dort pflegen möchten. Das praktische Ziel der Unternehmung ist der Aufbau von Partnerschaften und Kollaborationen zwischen Deutschland und Asien. Die ideelle Intention stellt sich komplexer, aber umso erforderlicher dar: Hier soll von westlich orientierten Theorien Abstand genommen werden und umfangreichere Diskurse, die östliche Philosophie und Kunst berücksichtigen, zusammengetragen werden, um das Ying und Yang wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Besonders in Hinblick auf die Kunstszene hat Berlin einen Grad an Globalität erreicht, was Künstlerpersönlichkeiten aus aller Welt anzieht. Ein konkretes Sprachrohr mit Fokus auf Identität bauen sich wenige. NON beschränkt sich hierbei nicht auf bestimmte kulturelle Identitäten, viel wichtiger ist es, dass diese in der Praxis der jeweiligen Kunstschaffenden thematisiert und infrage gestellt werden. Die Multikulturalität des Raumes sorgt für dynamische Diskussionen auf einem interdisziplinären Level. Eine solche soll auch im Rahmen des Project Space Festivals stattfinden: Zum Anlass der Gruppenausstellung „facing north korea: THE OBSERVATORY PROJECT“ soll ein offener Diskurs gehalten werden. Die Werkschau thematisiert die entmilitarisierte Zone entlang der Grenze zwischen Nord- und Südkorea, einen Streifen, der zugleich Systeme und Gesellschaften trennt und als Puffer und Mediator fungiert. Der Fokus liegt dabei auf einem künstlerischen Archiv, das Forschungsmaterial zu dieser Zone enthält und allerhand Stoff zur Diskussion dessen realen und utopischen Potenzials liefert.

WANN: Die Ausstellung eröffnet am Freitag, den 10. August, mit einer Diskussion ab 18 Uhr zwischen ´Prof. Kyung Jin Zoh (Seoul National University) und Angelika Beck (The BUND, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Friends of the Earth Germany),
Moderation: Bùi Kim Đĩnh.
WO: NON Berlin, Christinenstraße 18-19, 10119 Berlin Mitte.

Weitere Artikel aus Berlin