Human Nature
Deep Sea und Metropolensmog in Mexico City

16. Dezember 2019 • Text von

Wen es in den kalten Wintermonaten in das warme Klima Mexicos zieht und dabei nicht nur die Strände von Yucatán vor Augen hat, sondern auch zeitgenössische Kunst entdecken möchte, der sollte sich vor allem in Mexico City in den angesagten Stadtteilen Roma und Condesa umsehen.

Installationsansicht SUPERFLEX: There Are Other Fish In The Sea, 2019, Courtesy of SUPERFLEX, and Galería OMR, Mexico City. Photos: Enrique Macías Martínez.

Nachdem diese ursprünglich noblen Wohngegenden Mitte der 1980er Jahre von einem Erdbeben stark betroffen waren, machen sich dort heute klare Gentrifizierungstendenzen deutlich. Seit den frühen Nullerjahren hat sich besonders Roma Norte zu einem der Teile der Stadt entwickelt, in dem man viele Künstler und die Kreativszene antrifft. Für einen ersten Eindruck empfiehlt es sich, rund um die Straße Colima zu beginnen, wo sich inzwischen viele Galerien niedergelassen haben.

Installationsansicht SUPERFLEX: There Are Other Fish In The Sea, 2019, Courtesy of SUPERFLEX, and Galería OMR, Mexico City. Photos: Enrique Macías Martínez.

Die etablierteste Adresse ist dabei die Galería OMR. Sie ist die älteste Galerie für zeitgenössische Kunst in Mexico City und präsentiert heute, in zweiter Generation geleitet, ein Programm aus international etablierten Künstlern wie Jose Dávila oder Atelier van Lieshout und aufstrebenden Shootingstars wie Gabriel Rico. Aktuell zeigen sie ihre erste Ausstellung mit der dänischen Künstlergruppe SUPERFLEX, die sich innerhalb ihrer vielseitigen künstlerischen Praxis unter anderem mit Themen der Globalisierung auseinandersetzt. Aus ihrem künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekt Deep Sea Minding sind neue Arbeiten entstanden, die das Leben auf unserem Planeten mit stetig steigendem Meeresspiegel neu überdenken. Sie versuchen innovative Strukturen zu entwickeln, die den Bedürfnissen sowohl von Menschen also auch Meerestieren gerecht werden. Einer der zentralen Ausstellungsräume wurde so zu einer imaginierten Unterwasserwelt der Zukunft. In blaues Licht getaucht liest man eine Leuchtschrift There Are Other Fish In The Sea, vor der sich Ziegel auf Paletten stapeln oder frei und skulptural im Raum stehen. Diese Steine sollen materiell und in ihrer organischen Struktur auf die Bedürfnisse von Unterwasserlebewesen abgestimmt sein. Ihre rosa Farbe sei dabei wissenschaftlich bekannt dafür, dass sie das Wachstum von Korallenpolypen fördert. In einem post-humanen Szenario könnten hier so ganze Fischmetropolen unterkommen.

Installationsansicht Elena Damiani. Great Circles, 2019, Courtesy of the gallery and the artist, Photos: Bruno Ruiz.

Zwei Ecken weiter hat die Galerie Nordenhake gerade neue Räume bezogen, die wahrscheinlich den meisten Berliner Galeriegängern aus der Lindenstraße bekannt sein dürfte. Ursprünglich 1976 in Malmö gegründet und später nach Stockholm umgezogen, zeigt die Galerie heute an ihren drei Standorten ein internationales Programm mit zahlreichen schwedischen Positionen. Aktuell werden in der Dependance in Mexico Skulpturen aus schwarzem Marmor, Stein und Messing sowie eine Reihe von Zeichnungen der peruanischen Künstlerin Elena Damiani gezeigt, die sich auf unterschiedliche Navigationsmethoden sowie Entfernungs- und Zeitmessgeräte beziehen.

Installationsansicht Elena Damiani. Great Circles, 2019, Courtesy of the gallery and the artist, Photos: Bruno Ruiz.

Den Skulpturen liegt in abstrahierter Form beispielsweise ein Navigationsinstrument oder die Anordnung bestimmter Himmelskörper zugrunde. Die Künstlerin beschäftigt sich darin mit der Frage, wie immaterielle Phänomene ins Medium Skulptur übersetzt werden können und unsere Position in der Welt gemessen werden kann.

Installationsansicht Santiago Sierra, 52 lienzos expuestos al aire de la Ciudad de México, 2019, Courtesy LABOR, Photos: Ramiro Chavez.

2009 eröffnete die ehemalige OMR Direktorin Pamela Echeverría ihre eigene Galerie LABOR mit einem konzeptuelleren Schwerpunkt und zeigt seitdem ein ausgewogenes Programm aus mexikanischen und internationalen, jungen und mid-career KünstlerInnen. Die aktuelle Ausstellung von Santiago Sierra „52 lienzos expuestos al aire de la Ciudad de México“ besteht aus 52 Leinwänden, die ein minimalistisches Farbspektrum in unterschiedlichen Grautönen präsentieren. Der Künstler hielt über die Dauer eines Jahres die Feinstaubbelastung der Stadt Mexicos mithilfe einer kleberartigen Beschichtung auf den Leinwänden fest – jede Leinwand stellt die Luftverschmutzung in wöchentlich zunehmenden Stadien drastisch bildhaft dar. Während man durch den Galerieraum streift und den Smog der Stadt einatmet, wird die Dringlichkeit einer gesellschaftsübergreifenden Veränderung im Umgang mit unserer Umwelt abermals bewusst. Direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite liegt die Casa Barragán, das ehemalige Wohnhaus des Architekten Luis Barragán, das 2004 zum Weltkulturerbe erklärt wurde heute nach Voranmeldung besichtigt werden kann.

Installationsansicht Danh Vo, 2019, Courtesy of the artist and kurimanzutto, Mexico City / New York, Photos: Gerardo Landa Rojano.

Ein absolutes Must-See ist die Galerie kurimanzutto. Wer den unscheinbaren Galerieeingang findet, tritt in einen schönen eingewachsenen Innenhof, an den sich eine Ausstellungshalle, ein Social Space, der auch als Werkstatt von KünstlerInnen genutzt werden kann, sowie ein weiterer Ausstellungsraum an. Aus einem experimentellen, nomadenhaften Galeriekonzept entstanden, vertritt kurimanzutto heute internationale Größen wie Gabriel Orozco, Haegue Yang und Sarah Lucas. In der aktuellen Ausstellung präsentiert Danh Vo raumgreifende Installationen, die wie typisch für seine künstlerische Praxis, in Zusammenarbeit mit Freunden und Verwandten entstanden sind.

Installationsansicht Danh Vo, 2019, Courtesy of the artist and kurimanzutto, Mexico City / New York, Photos: Gerardo Landa Rojano.

Darin integriert sind bemalte Spiegelfolien von Vos ehemaligem Professor an der Royal Danish Academy of Fine Arts Peter Bonde sowie Fotografien von Heinz Peter Knes von Vos Neffen Gustav, die teilweise die Ästhetik von Modefotografien tragen. Enge Beziehungen, Zufälle der Geschichte, alte Begegnungen und vergangene Auseinandersetzungen sind nicht nur Teil von Vos künstlerischer Praxis, sondern seines gesamten Lebens, wie eine endlose Kette von Assoziationen und Referenzen, die als Netzwerke von Bedeutungen fungieren.

WO: In den Galerien von Mexico City.