Große Inszenierung, begrenzte Mittel
Horse & Pony von damals bis morgen

27. November 2021 • Text von

Es ist das Ende einer Ära und der Beginn von Großem. Zum letzten Mal bespielt Horse & Pony die Räume in Neukölln in gewohnter Weise. Bei uns erfahrt ihr, wie es mit dem Projektraum losging, was ihn bis heute ausmacht und wie es für carrick bell und Rocco Ruglio-Misurell, die Horse & Pony betreiben, jetzt weitergeht.

Der Projektraum Horse & Pony mit Kacheln, bunt gestrichenen Wänden und mehreren künstlerischen Arbeiten.
Arbeten von Johanna Tiedtke (links) und Nate Heiges, installiert bei Horse & Pony. Courtesy of the artists and Horse & Pony.

Die Kacheln an den Wänden sind so etwas wie das Markenzeichen von Horse & Pony, einem von Berlins unkonventionellsten und wertvollsten Ausstellungsräumen. Aber der Projektraum hätte auch ganz anders aussehen können. Fast wäre es eine alte Kneipe geworden, erzählen carrick bell und Rocco Ruglio-Misurell. Der Ort wäre visuell vergleichbar einprägsam wie die aktuellen Räumlichkeiten gewesen, obgleich wesentlich schwieriger zu bespielen. Ein Massivholztresen hätte so etwas wie das Herzstück der Galerie werden müssen. Zehn Jahre später scheint jedenfalls bell zwar noch zärtliche Gefühle für das verschrobene Interieur des Ortes zu hegen – Holzpaneele im Bad, exzentrische Armaturen. Man ist sich jedoch einig: So wie die Dinge gelaufen sind, war es genau richtig.

bell und Ruglio-Misurell, ursprünglich aus den USA, machen selbst Kunst. Seit 2009 wohnen sie in Berlin. Ein einjähriges Stipendium brachte die beiden in die Stadt. Ihnen war aber schon damals klar: Sie wollen bleiben. „Das Ziel war immer, neben unserer künstlerischen Praxis einen Ausstellungsraum zu haben“, sagt bell. 2010 begann die Suche, zweimal klappte es fast, dann tatsächlich. „Die Räume hier waren die größten und heruntergekommensten, die wir besichtigt haben“, erinnert sich Ruglio-Misurell. Den anderen Leuten sei die Kinnlade runtergeklappt, niemand habe einziehen wollen. „Der Gestank, die Kacheln – heute finden sie alle super, damals aber haben sie die Räumlichkeiten beengend wirken lassen.“

carrick bell & Rocco Ruglio-Misurell in den Räumen von Horse & Pony in Berlin-Neukölln.
carrick bell & Rocco Ruglio-Misurell in den Räumen von Horse & Pony in Berlin-Neukölln. Foto: privat.

bell und Ruglio-Misurell haben trotzdem direkt zugesagt. „Wir brauchten etwas im schlimmstmöglichen Zustand“, erklärt bell. „Wir waren völlig pleite, haben zusammen von etwa 1000 Euro im Monat gelebt. Wir hatten unsere Arbeitskraft und sonst nichts.“ Wäre der Raum nicht runtergerockt gewesen, hätte das Duo Miete zahlen müssen. Eingangs waren es nur die Nebenkosten. Später mehr. Einmal wäre es beinahe knapp geworden, doch gerade als die Staffelmiete unbezahlbar wurde, erhielt Horse & Pony die erste Förderung vom Berliner Senat.

Horse & Pony gibt es in der jetzigen Form seit acht Jahren. Mit der Gruppenausstellung „Stampede: Eight Years at Horse & Pony” ziehen bell und Ruglio-Misurell Bilanz. Sie habe fast alle Künstler*innen, die in der Vergangenheit bei ihnen ausgestellt haben, eingeladen, Arbeiten beizusteuern. Etwa die Hälfte, insgesamt 77, haben zugesagt. Sie bespielen ab dem 26. November bis Anfang Januar die Räumlichkeiten, den teilgekachelten Vorraum, den weiß getünchten hinteren Bereich, die diversen Kellerräume. Im kommenden Jahr zieht sich die Galerie mit einem Fokus auf Solo-Shows in den Keller zurück, der Raum zur Straße hin wird Xanadu, ein Space mit Fokus auf Videoarbeiten unter der Leitung von bell.

Arbeiten von Zoë Claire Miller & Armita Raafat, installiert bei Horse & Pony. Courtesy of the artists and Horse & Pony.

Sie würden rückblickend nichts anders machen, sind sich bell und Ruglio-Misurell einig. Nur eine doch recht gravierende Entscheidung haben sie im Laufe der Jahre revidiert: Der ursprüngliche Name HORSEANDPONY Fine Arts brauchte ein Update. Was als trunkenes Missverständnis begann – Freunde hatten die Redewendung „dog & pony show“, die große Inszenierung mit begrenzten Mitteln, irrtümlich als „horse & pony show“ ins Feld geführt, wurde von der Berliner Kunstwelt ob des nachgestellten „Fine Arts“ missverstanden. bell und Ruglio-Misurell hatten sich über diese eine Art kommerzielle Galerien lustig machen wollen und damit ihrem Space versehentlich genau diesen Anstrich verliehen. So wurde der Name des Projektraums vor ein paar Jahren entschlackt: Horse & Pony. So hatten den Ort ohnehin alle genannt.

bell und Ruglio-Misurell sind nicht nur stolz auf, sie haben Freude, an was sie geschaffen haben. Mit der Ausstellung „Stampede“ zeigen sie noch einmal all das, wofür Horse & Pony aka HORSEANDPONY Fine Arts immer stand. Künstler*innen können, ja sollen sogar ausbrechen aus dem Rahmen, innerhalb dessen ihr Werk für gewöhnlich rezipiert wird. „Wir haben alle gebeten, uns die Arbeiten zu geben, die sie am liebsten zeigen wollen“, so bell. Darunter seien nun viele Werke, die noch nie ausgestellt worden sind – entweder weil die Galerien der Künstler*innen sie nicht ausstellen wollten oder weil sie nicht zu dem passen, wofür die Künstler*innen bekannt sind. „Solche Arbeiten interessieren mich ohnehin am meisten“, sagt bell.

Außenansicht der besprühten Fassade von Horse & Pony.
Außenansicht Horse & Pony mit Ausstellungsposter Cheryl Donegan “The Softest Punk”. Courtesy of Horse & Pony.

„Was dieser Ort heute ist, wie er sich entwickelt hat, wäre niemals möglich gewesen ohne den guten Willen und die Begeisterung der Menschen, mit denen wir zusammengearbeitet haben“, so begründet Ruglio-Misurell den Vertrauensvorschuss, mit dem Horse & Pony arbeitet. Er habe gelernt, für Ausstellungsprojekte zwar einen strikten Rahmen zu setzen, die Beteiligten sich dann aber frei darin entfalten zu lassen. Nur so werde man überrascht. „Wie kann man präzise arbeiten, wenn man vor allem offen für alles sein will?“, beschreibt bell, das Paradox, was bei Horse & Pony keins ist. bell und Ruglio-Misurell sind spezifisch in der Wahl ihrer Kollaborateur*innen, denen sie dann mit jeder erdenklichen Offenheit begegnen.

Ein besonders cleverer Kniff ist dabei der Fokus auf aufstrebende Kurator*innen. Kurator*innen kuratieren – die Inspiration hatte ein Ausstellungsraum in einem Wohnungsloft in Chicago geliefert, die Alogon Gallery. „Auf diese Weise erfährt man von so vielen Künstler*innen, die man noch nicht kannte“, schwärmt Ruglio-Misurell. Neue Kurator*innen bringen also gleich einen ganzen Schwung neue künstlerische Positionen. Viel schneller lässt sich ein Netzwerk kaum erweitern. Horse & Pony hat davon stets profitiert. „Berlin ist voller ungenutzter Talente“, so bell. Denen haben bell und Ruglio-Misurell im wahrsten Sinne des Wortes Raum gegeben.

Der Projektraum Horse & Pony mit Kachel und mehreren künstlerischen Arbeiten.
Arbeiten von Jonas Schoeneberg (links), Jake Kent (Mitte) und Monika Grabuschnigg, installiert bei Horse & Pony. Courtesy of the artists and Horse & Pony.

Bestimmt können von bell und Ruglio-Misurell diejenigen lernen, die jetzt in diesem Moment mit dem Gedanken spielen, einen eigenen Ausstellungsraum zu eröffnen. bell hat vor allem einen Tipp: „Macht euch bewusst, dass es erst einmal keine Förderung gibt und haltet die Kosten so gering wie möglich.“ Es könne locker zwei Jahre dauern, bis sich Gelder eintreiben lassen, weil Räume erst dann die Voraussetzungen für einen Antrag erfüllen. So lange müsse man durchhalten und eben viel selbst machen, Mitstreiter*innen finden – so wie bell und Ruglio-Misurell damals. Machen also, nicht zu viel nachdenken, dafür viel Ackern, Ansprüche runterschrauben, Erwartungen direkt mit, dennoch groß denken. bell sagt: „Obwohl wir die Dinge heute viel professioneller angehen als damals, haben wir uns diese Haltung immer bewahrt.“

WANN: Die Gruppenausstellung „Stampede: Eight Years at Horse & Pony“ eröffnet am Freitag, den 26. November, von 14 bis 21 Uhr. Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 9. Januar 2022.
WO: Horse & Pony, Altenbraker Straße 18, 12053 Berlin.

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