Hier bewegt sich nichts "Body Performance" in der Helmut Newton Foundation
10. Juli 2020 • Text von Julia Meyer-Brehm
Die Ausstellung „Body Performance“ in der Berliner Helmut Newton Foundation hat den Anspruch, diverse fotografische Perspektiven auf Körperlichkeit und Bewegung zu zeigen. Das Ergebnis hat Lücken und offenbart mehr über die Betrachtenden als über die eigentlich Dargestellten.
Nach Corona-bedingter Pause konnte die Helmut Newton Foundation Ende Juni wieder ihre Türen öffnen. Die von Direktor Matthias Harder kuratierte Gruppenausstellung widmet sich mit Werken von Robert Mapplethorpe, Cindy Sherman, Viviane Sassen, Erwin Wurm und – natürlich – Helmut Newton den Genres Tanz, Live-Performance und weiteren performativen Ideen.
Wer die Helmut Newton Foundation besucht, betritt sie eigentlich immer mit einer bestimmten Erwartung. Manche möchten nackte Körper sehen, andere die Werke einer „Fotografie-Legende“ bewundern. Ich war dieses Mal auf der Suche nach neuen Perspektiven. Ich wollte verschiedenartige Annäherungen an alle Facetten von Körperlichkeit sehen und war gespannt auf einen Gegenentwurf zum klassischen Körperideal, das man von Newtons Bildern gewohnt ist. Mein Optimismus sollte einen ziemlichen Dämpfer verpasst bekommen.
Ausgangs- und Mittelpunkt der Ausstellung ist Newtons Serie „Les Ballets de Monte-Carlo“, in der der Fotograf Tänzer*innen bei ihren Proben auf den Straßen von Monaco ablichtete. Beim Anblick der agierenden Personen wird schnell klar: Von vielfältigen Körpern kann nicht die Rede sein. Hier ist alles sehr formschön, aber auch sehr normschön. Diese Bodies sind dünn, sie sind gesund, sie sind in Pose. Sie performen. Aber sollte der Begriff der „Performance“ nicht irgendwie hinterfragt werden?
Erwin Wurms Arbeiten tun das zumindest zum Teil. Sie führen uns vor Augen, wie inszeniert und albern die ganze Poserei aussehen kann und darf. Hier werden keine unterschwelligen Ideale vermittelt, sondern reelle Körper mit allen ihren Eigenheiten gezeigt. Auch Viviane Sassens Fotografien offenbaren einen wunderbar unkonventionellen Blick auf verschlungene Gliedmaßen.
Spätestens hier drängt sich die Frage auf: Wenn der Körper doch im Mittelpunkt der Ausstellung steht, warum wird er dann nicht in all seinen Facetten gezeigt? Fluffige, nicht-weiße, tätowierte Körper. Ulkige Körperteile wie Ohrläppchen oder kleine Zehen. Körper ohne Beine, haarige Körper, alte Körper. Diverse Körper, die wir nicht täglich in Magazinen sehen?
Der Großteil der Dargestellten ist sehr nackt und sehr weiß. Anscheinend ein notwendiger Kniff, um das Konzept „Körper“ zu verdeutlichen. Uniform, konform – aber irgendwie wenig perform. Performativität ist hier hauptsächlich in Fotografien festgehalten, was im Museum für Fotografie vielleicht nicht verwundern mag. Dennoch schade, ein wenig Bewegung hätte der Ausstellung allemal gutgetan. Lediglich eine einzige Live-Performance wird gezeigt. Naja, es ist die Aufzeichnung einer Live-Performance, aber immerhin.
Die Rede ist von Vanessa Beecrofts Performance „VB55“, die 2005 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen war. In der transparenten Architektur von Mies von der Rohe wurden nackte Frauen in einer dreistündigen Session den Blicken des Publikums ausgesetzt. Während sie minimal wahrnehmbare Bewegungen ausführten, wurden ihnen klare Anweisungen eingetrichtert: Blickkontakt meiden, ruhig verhalten, bei Müdigkeit setzen. Das Video der Performance regt zum Nachdenken an, besonders interessant sind die ebenfalls gefilmten Zuschauer*innen. Etwas gelangweilt stehen sie mit ihren Champagnergläsern herum, unterhalten sich mit leerem Blick, beobachten distanziert das Geschehen. Kichernd wendet sich eine Gruppe alter Männer von den ihnen gegenüberstehenden Frauen ab. Wer performt hier eigentlich wie?
Plötzlich – und hier sollte die Ausstellung thematisch ansetzen – fühle ich mich selbst als Teil besagter Performance. Die voyeuristischen Blicke der Betrachtenden sind ein essentieller Teil der Szenerie. Und auch in der Helmut Newton Stiftung scheinen sie allgegenwärtig zu sein, die Ausstellung scheint nahezu für den „Male gaze“ gemacht: Der Blick auf Körperlichkeit ist extrem heteronormativ und stark auf erotische Ausstrahlung ausgerichtet. Schlagartig steht die Frage im Raum, wie sich unser eigener Körper gegenüber den gesehenen Bildern verhält und was sie in ihm auslösen.
Bei mir ist das der dringliche Wunsch, auf keinen Fall irgendwie performen zu müssen, meinen Körper einfach so zu lassen, wie er ist. „Body Performance“ macht auch mit Blick auf die aktuelle Diversitätsdebatte, die Vielfalt und das Hinterfragen feststehender Begrifflichkeiten nicht nur im Ausstellungskontext fördern möchte, leider keine großen Sprünge. Aber Rückschritte sind immerhin auch Bewegung.
WANN?: Die Ausstellung “Body Performance” wurde bis zum 20. September verlängert.
WO?: Helmut Newton Foundation, Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, 10623 Berlin.
Es gibt auch einen von ein von Direktor und Kurator Matthias Harder geführten virtuellen Rundgang durch die Ausstellung.