Unverhüllte Wissenschaft
Herlinde Koelbl Foto-Reihe "Faszination Wissenschaft"

30. Juli 2024 • Text von

Die renommierte deutsche Fotografin Herlinde Koelbl zeigt in ihrer jüngsten Ausstellung “Faszination Wissenschaft” die persönliche und berufliche Seite von 60 Spitzenforscher:innen aus aller Welt. Über einen Zeitraum von fünf Jahren hat sie herausragende Wissenschaftler:innen, darunter auch Nobelpreisträger:innen, in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Porträts festgehalten. Ziel ihrer Reihe ist es, die oft so unnahbare Forschung einem breiten Publikum zugänglich zu machen. (Text: Marie-Louise Schlutius)

Herlinde Koelbl Portrait Johannes Rodach
Portrait Herlinde Koelbl, Foto: Johannes Rodas

gallerytalk.net: Frau Koelbl, welche Kernidee steckt hinter Ihrer Serie Faszination Wissenschaft”?
Herlinde Koelbl: Bislang wurde Wissenschaft meist sehr abstrakt und trocken dargestellt. Sie ist aber entscheidend für unsere Zukunft, deshalb muss mehr über sie gesprochen werden. Die Serie will Forschende menschlicher und zugänglicher zeigen. Und nicht – wie sonst üblich – nur im weißen Laborkittel.

Die Reihe wird gleich an drei Orten gezeigt. An der Bucerius Law School in Hamburg – initiiert von der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS – , im “German House” der Deutschen Botschaft in New York und in der tokioter Dependance der deutschen Wissenschafts- und Innovationshäuser (DWIH). Warum?
Mir ist es wichtig, die Reihe international zu zeigen. Wissenschaft ist heute global vernetzt. Deshalb passt das Konzept sehr gut.

Wie sind Sie bei der Auswahl der 60 Spitzenforscher:innen vorgegangen?  
Mir war es wichtig, eine internationale und interdisziplinäre Gruppe von führenden Wissenschaftler:innen zusammenzustellen. Dabei habe ich besonders darauf geachtet, auch Frauen sichtbar zu machen, denn die Wissenschaft ist nach wie vor eine von Männern dominierte Welt. Entscheidend war auch, wer auf seinem Gebiet führend ist und bereits eine bedeutende Auszeichnung – wie zum Beispiel den Nobelpreis – erhalten hat.

Herlinde Koelbl Faszination Wissenschaft Alberts Bruce
Herlinde Koelbl, Bruce Alberts, Foto: Herlinde Koelbl / ZEIT STIFTUNG BUCERIUS
Herlinde Koelbl Faszination Wissenschaft Boetius Antje
Herlinde Koelbl, Antje Boetius, Foto: Herlinde Koelbl / ZEIT STIFTUNG BUCERIUS

Sie zeigen nicht nur die Person selbst, sondern auch eine kleine Zeichnung auf der Hand der Wissenschaftler mit ihrer Formel oder Philosophie. Alles in einem Bild. Wie haben die Porträtierten reagiert, als sie gebeten wurden, die Quintessenz ihrer Forschung auf die Hand zu schreiben?
Keiner hat gezögert. Alle wussten sofort, was sie auf ihre Hand zeichnen wollten. Es war faszinierend zu sehen, wie diese kleine Geste so viel über ihre Arbeit und ihre Philosophie aussagen konnte. Als ich sie ermutigte, mit ihrer Hand zu interagieren, wurden die Bilder und Bewegungen dynamischer und die Menschen hinter der Linse entspannten sich. Auf diese Weise lernte ich auch ihre Persönlichkeit näher kennen. 

Sie haben in früheren Arbeiten Politiker:innen über einen langen Zeitraum begleitet. Unter anderem auch Angela Merkel. Wie unterscheidet sich Ihre Herangehensweise bei der Darstellung von Wissenschaftler:innen im Vergleich zu Politiker:innen?
Wissenschaftler:innen und Politiker:innen haben sehr unterschiedliche Rollen und Lebensweisen. Während Politiker:innen ständig in der Öffentlichkeit stehen, arbeiten Wissenschaftler:innen meist im Verborgenen. Meine Aufgabe war es, diese verborgene Welt sichtbar zu machen und ihre Geschichten so zu erzählen, dass sowohl ihre Persönlichkeit als auch ihre Arbeit im Vordergrund stehen.

Sie sind in diesen fünf Jahren in eine Welt eingetaucht, die für viele Menschen oft unbekannt scheint. Was haben Sie gelernt?
Wettbewerb spielt in der Wissenschaft eine große Rolle. Es geht weniger um Geld als um Anerkennung – und darum, der Erste zu sein.

Herlinde Koelbl Faszination Wissenschaft Osier Faith
Herlinde Koelbl, Faith Osier, Foto: Herlinde Koelbl / ZEIT STIFTUNG BUCERIUS

Ist Schnelligkeit das einzige, was zählt?
Der Weg an die Spitze ist oft mühsam und erfordert Leidenschaft, Neugier, Ausdauer, Risikobereitschaft und Belastbarkeit. Darüber hinaus ist in der Wissenschaft die geistige Freiheit entscheidend, denn sie ermöglicht es, Unbekanntes zu erforschen und die Grenzen des Wissens zu verschieben. 

Wie kann ich mir das vorstellen?
Ich denke da zum Beispiel an den Nobelpreisträger Stefan Hell. Er revolutionierte die Lichtmikroskopie, was anfangs für unmöglich gehalten wurde. Seine Ergebnisse, die zunächst als Fälschungen abgetan wurden, erwiesen sich als bahnbrechend. Hells Geschichte zeigt, wie wichtig Beharrlichkeit und der Glaube an das scheinbar Unmögliche in der Wissenschaft sind.

Haben Sie unerlässliche Eigenschaften beobachtet, die alle Wissenschaftler:innen eint?
Eines ist allen gemeinsam: Ob in den USA, Europa oder Asien – überall habe ich Menschen getroffen, die mit Hingabe und Begeisterung ihrer Arbeit nachgehen.

WANN: Die Ausstellung “Faszination Wissenschaft” von Herlinde Koelbl läuft bis Ende September.
WO: Bucerius Law School, Jungiusstraße 6, 20355 Hamburg.

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