Hell Yeah, endlich gibt es Kriegsroboter
Hito Steyerl gewinnt den Käthe-Kollwitz-Preis

1. März 2019 • Text von

Ausgezeichnet durch den Käthe-Kollwitz-Preis, führt Hito Steyerl in der Akademie der Künste durch eine Welt voll Gewalt, Triumph und die neusten Game Player unserer Zeit: Die unzerstörbaren Roboter.

Hito Steyerl Abstract, 2012 (Detail) Zwei-Kanal-HD-Video, Ton 7:30 Min. © VG Bild-Kunst, Bonn 2019 Filmstill: © Hito Steyerl Courtesy: the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin

© VG Bild-Kunst, Bonn 2019 Filmstill: © Hito Steyerl, Courtesy: the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin

Hito Steyerl wirft die Besuchenden direkt hinein in ihr Werk. Durch den Raum geradezu auf zwei Bildschirme. Shot – Counter shot. Ein Bildschirm zeigt die Künstlerin selbst, hinter vorgehaltenem Iphone. Das Telefon bedeckt ihre Augen, das Display ihrem Gesicht zugewandt. Hinter ihr das Brandenburger Tor. Das große Wahrzeichen deutscher Demokratie und Einheit. Direkt an der Grenze zwischen Ost und West, ein Triumphtor erster Klasse. Es ist nicht erkennbar, was sie sieht. Der andere Bildschirm direkt daneben zeigt eine Beweisführung: Steine, Schals, Wüste – Ein Mann erklärt. Es ist die Beweisführung einer Tötung. Steyerl zeigt die Überbleibsel einer militärischen Konfliktsituation in der von Kurden bevölkerten Osttürkei. Das Zwei-Kanal-HD-Video „Abstract“ zeigt den „Shot“: Das Verbrechen, und den „Counter shot“: Die Betrachtung, oder die Aufklärung. Es könnten zwei Perspektiven sein, allerdings gibt es nur die eine: Die, der Künstlerin selbst.

hito steyerl

© VG Bild-Kunst, Bonn 2019 Filmstill © Hito Steyerl, Courtesy: the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin

Der nächste Raum ist weiter, grauer, heller. Bildschirme versehrt mit Eisenstangen. Umranden Sitzbänke. Bei den Eisenstangen ist nicht deutlich zu erkennen, ob sie schon da waren,  oder ob sie Steyerls Konzept entspringen. Beides würde Sinn ergeben. So perfekt passen sie in den Raum. Links zugewandt – drei Bildschirme in unterschiedlicher Entfernung aufgestellt. Angebracht an wellblechartigen Metallwänden. Die Eisenstangen runden die Wände ab. Geben ihnen den Charme eines Militärtrainingslagers. Sie stehen bereit für den nächsten Klimmzug, der den Bewunderern des Soldaten ein Raunen entgleiten lassen wird: „Hell Yeah We Fuck Die“.

hell yeah we fuck die

© VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto: Andreas FranzXaver Süß, Courtesy: the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin

Die drei-Kanal Videoinstallation entstand auf Grundlage einer Untersuchung von David Taylor, der die häufigsten Worte in englischen Songtiteln seit 2010 ermittelte. Die Videoinstallation von 2016 zeigt auf den Bildschirmen unterschiedliche Roboter. Roboter beim Training, Kampfroboter, gestoßen von der Seite, hinten, vorne – sie bleiben immer stehen. Diejenigen, die versuchen sie erfolglos zu Fall zu bringen, freuen sich. Die Maschine funktioniert. Geht doch für sie in dem Moment keine Gefahr von ihnen aus. „Hell Yeah We Fuck Die“ steht auch in großen Buchstaben in den Raum gestellt. Erst von Weitem erkennbar, denn von Nahem nimmt der Zuschauende nur Bruchteile wahr. Einzelne Wörter, zusammenhangslos in den Raum gestellt, ergibt sich das gesamte Bild der Komposition erst aus der Ferne. Die Worte „Hell Yeah We Fuck Die“ erinnern an einen Redneck. Linke Hand die Flasche billiger Whiskey, rechts die Knarre. Hinten, auf dem Truck vom Kumpel, wild um sich ballernd, egal wie schnell, egal was kommt. Einfach drauf los. Hito Steyerl stellt die Frage nach dem Einfluss virtueller Realitäten auf die Userinnen und Usern, Rezipientinnen und Rezipienten im Hinblick auf die Rolle von Computertechnologien in Kriegssituationen.

Auf der anderen Seite des Raumes eine zweite Videoinstallation. „Robots Today“ in Ein-Kanal-HD. Wieder in einem Land, das den Nahen Osten vermuten lässt. Eine Kinderstimme fragt Siri nach Robotern. Es erklingt Skepsis. Auf welcher Seite stehen sie wohl? Die Akteure im Film beschreiben die Gewalt, die in ihre Stadt kam. Das Rathaus wird plötzlich nur noch als der Turm gesehen, von dem die Schüsse kamen. Der Krieg hat den Blick der Menschen auf ihre Heimat verändert. Der Krieg ist vorbei, doch wird sich der Blick jemals wieder ändern?

Als nächstes in den zweiten Weltkrieg. Die Stadt Babenhausen und der Mob, der die Juden vertreibt. Als alle weg sind, alle in die USA geflohen sind, wird gar noch das Haus der jüdischen Familie verbrannt. Babenhausen soll judenfrei sein.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Filmstill: © Hito Steyerl, Courtesy: the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin

In Empty Center auf großer Leinwand der Siegeszug. Auf westdeutscher Seite die US-Amerikaner, auf ostdeutscher Seite die Russen. Deutschland ist frei! Frei vom Krieg, von den Nazis, der Gewalt. Dem Konzept der Künstlerin gefolgt, entstehen Zweifel. Perfekt abgerundet, ist es fast unmöglich, ihrem Weg zu folgen, ohne den Siegeszug als absolute Verbesserung in Frage zu stellen. Und dann ändert der 16-mm Film auch selbst seine Stimmung und bestätigt. Neue Grenzen werden gezogen, neue Grenzen müssen überquert werden. Tot beim illegalen Überqueren der ostdeutschen Grenze, tot beim Überqueren des Mittelmeers.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto: Andreas FranzXaver Süß, Courtesy: the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin

Konzeptuell perfekt ausgearbeitet ermöglicht Hito Steyerl den Besuchenden die eigene Schlussfolgerung. Ohne zu bevormunden, gilt der eigene Gedankengang und den steuert sie abgerundet bis zum letzten Moment.

Die Professorin für Experimentalfilm und Video sowie Mitbegründerin des Research Centers for Proxy Politics an der Universität der Künste Berlin zeigte ihre Werke unter anderem auf der Biennale in Venedig, im Museum of Contemporary Art, Los Angeles, und im Museum of Modern Art (MoMA), New York. Sie studierte in Tokio und München Kinematographie und Dokumentarfilmregie und schloss ihre Promotion 2003 in Philosophie an der Akademie der Bildenden Künste Wien ab.

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© Trevor Paglen, Courtesy: the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin

Als Gewinnerin des diesjährigen Käthe-Kollwitz-Preises ehrt die Akademie der Künste Hito Steyerls Werke, die Texte, Performances, Multimedia-Installationen und essayistische Dokumentarfilme umfassen. Inhaltlich widmete sie sich hierbei postkolonialer Kritik, feministischer Repräsentationslogik sowie den Einflüssen der Globalisierung auf den Finanz-, Arbeits- und Warenmarkt.

WANN: Die Ausstellung kann noch bis zum 14. April besucht werden.
WO: Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin.

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