Digitale Post-Antike Christian Holze bei Heldenreizer Contemporary
18. Dezember 2024 • Text von Quirin Brunnmeier
Was verbindet die Gegenwart mit der Antike und welche Schönheitsideale überdauern die Zeit? In der Ausstellung “50/50” bei Heldenreizer zeigt Christian Holze seine hybriden Bildwelten, in denen er Malerei, Bildhauerei und KI-gestützte Verfahren vermengt.
Der Jüngling scheint in einen unruhigen Schlaf gefallen zu sein. Er liegt in lasziver Haltung, ausgestreckt auf einem Felsen, das Gesicht von Anspannung gekennzeichnet. Ein Efeukranz und ein dezenter Pferdeschwanz, der erst in der Rückansicht sichtbar wird, charakterisieren den Jüngling als Satyrn, ein halbtierisches Wesen aus dem Gefolge von Dionysos, dem Gott des Weines und der Freude. Rausch, Ausschweifung und sexuelle Triebhaftigkeit gehören zum Wesen dieser mythischen Figuren aus der Antike. Die Skulptur des barberinischen Fauns wurde in römischer Zeit aus Griechenland geraubt und nach Italien gebracht. Man fand sie 1624 in Rom. König Ludwig I. konnte sie aus der dortigen Sammlung Barberini für die Glyptothek in München erwerben. Christian Holze eignet sich diese Skulptur nun an und verfremdet sie in seiner aktuellen Ausstellung bei Heldenreizer in München.
Er präsentiert mehrfach potenzierte Versionen der Figur, in denen er skulpturale Ebenen scheinbar im Copy-und-Paste-Verfahren übereinander gelegt hat. Diese multiplen Formen lösen die ursprüngliche Gestalt geradezu auf. Das eigentliche Idealbild eines muskulösen Mannes wirkt zunehmend grotesk und ungreifbar. Die kleinen Figuren verbinden die skulpturalen Traditionen der griechischen Antike mit aktuellen formgebenden Techniken. Auch in den gezeigten Bildern, die elegant im Ausstellungsraum installiert sind, überlagert Holze digitale und antike Ebenen und reichert sie mit malerischen Gesten an. Er komponiert Bildwelten, in denen die Ideale der Klassik auf die synthetische Ästhetik der digitalen Räume treffen und ineinander aufgehen.
Durchaus ironisch unterläuft der Künstler so etablierte Motive und überführt sie in einen neuen Kontext. Die gezeigten Arbeiten haben dennoch durchaus poetische Aspekte und wirken sinnlich. Er kombiniert Malerei und Bildhauerei und nutzt aktuelle computergestützte sowie KI-gestützte Verfahren, um das Schönheitsideal klassischer Antike in der Gegenwart zu untersuchen. Er verklärt dabei die Antike nicht, sondern nutzt sie als Referenzpunkt. Aus den Objekten, die seit Jahrtausenden einmalig sind, macht er digitale Repliken, die das Potential der unendlichen Reproduzierbarkeit in sich tragen. So sind seine Faune kleiner als das Original und als Edition mehrfach produziert.
Doch im Gegensatz zu reinen Reproduktionen loten Holzes Skulpturen und Bilder die Grenzen bestehender Kategorien aus, greifen auf die Geschichte zu, erweitern sie aber um neue Ebenen und Neukombinationen. Die Antike wird seit Jahrhunderten als Projektionsfläche genutzt und immer wieder neu interpretiert. Diese Interpretationen sind dabei auch immer eine Spiegelung der herrschenden ästhetischen wie gesellschaftlichen Ideale. Durch seine Aneignung transportiert Holze die Antike in die digitale Gegenwart und eröffnet Assoziationsräume jenseits der Verklärung.
WANN: Die Ausstellung “50/50” läuft bis 10. Januar 2025.
WO: Heldenreizer Contemporary, Türkenstraße 32, 80333 München.