Ab in die Unsicherheit
Hannah Hallermann: "Tools and Tales for Transformation"

11. Mai 2022 • Text von

Hannah Hallermann plädiert für mehr Wagemut und Entscheidungsfreude – Fehler und Kurswechsel sollten dabei möglich sein, denn ohne kommen wir nicht voran, sagt sie. Ihre Arbeiten sind nun auch in ihrem frisch veröffentlichten Katalog „Tools and Tales for Transformation“ zu sehen. Er inspiriert zum Aufbruch in die Unsicherheit.

Hannah Hallermann: Startblock 6,3,7, 2017-18, Foto: Ludger Pfaffrath.

gallerytalk.net: Was macht deinen Katalog „Tools and Tales for Transformation“ so besonders?
Hannah Hallermann: Es ist eigentlich ein Buch geworden. Da ich nicht nur meine Arbeiten vorstellen wollte, sondern einladen zu einem gemeinsamen Nachdenken über unsere Gegenwart und im Wandel.

Welche Rolle spielt Transformation in deinen Arbeiten?
Das Persönliche und der Kontext spielen immer eine Rolle. Im Vordergrund steht aber meine Wahrnehmung, dass wir uns gerade in einer Umbruchzeit auf vielen Ebenen befinden. Transformation ist ja nahezu ein Modewort geworden. In meinem Verständnis ist dieser Begriff wie ein leeres Gefäß: Es kommt darauf an, wie es gefüllt wird. Mit einer Veränderung der Werte hin zu mehr Menschlichkeit oder mit einem Ausbau von Macht von der nur wenige profitieren. Beide Lesarten spielen in meinen Arbeiten schon lange eine Rolle. Ich finde es interessant, unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen, und zu hinterfragen, wie man Elemente verschiedener Systeme verbinden kann. Daran schließt sich meist auch eine Aufforderung an, die Dinge mitzugestalten.

Die Künstlerin Hannah Hallermann sitzt mit ihrer Teppich-Klopfer Arbeit in der Hand auf einem Drehstuhl.
Portrait HAHA, 2021. Photo: Claudia Radomnski

Wie versinnbildlichst du Aufbruch in deinen Arbeiten?
Eine meiner Arbeiten heißt „Startblock“. Der Startblock fragt: „Wie kommen wir los?”. Es ist der Moment, in dem das Rennen gerade beginnt und wir noch nicht wissen, wie es ausgeht. Es ist aber auch der Moment, in dem das Verspielte auf die Überforderung derjenigen trifft, die da oben steht und Angst vor dem Sprung hat. Meine Arbeiten beschäftigen sich damit, wie wir diese Herausforderungen meistern. Große Ungewissheiten wie Umweltprobleme, Krieg oder globale Gesundheitskrisen machen unsere heutige Zeit zu einer Verhandlung mit Extremen. Ich bin da eine Befürworterin kurzer Systeme.

Was genau meinst du mit kurzen Systemen?
Ich finde, dass zu lange Vorherrschaften problematisch sein können. Diktaturen sind wieder im Kommen.Sind wir nicht auch oft erleichtert, wenn jemand wirkt, als wüsste sie oder er, was getan werden muss, und man der Person einfach folgen kann?

Denkst du, dass die Angst, Fehler zu machen, die Menschen in ihrer gesellschaftlichen Mitgestaltung hemmt?
Stell dir einmal vor, es gäbe keine Angst vor der Lösung der Ungewissheiten. Es wäre anerkannt, dass jemand mit besten Absichten etwas in die Welt setzt und dabei auch Fehler einkalkuliert sind. Das ermöglicht gegebenenfalls eine Kurskorrektur, wenn die Situation komplexer ist, als gedacht war. Das erfordert aber auch eine gewisse Geisteshaltung. Diese führt dann schnell zu dem Ansatz, dass Systeme innerhalb einer Lebenszeit korrigierbar sein müssen. Man macht sich ja immer angreifbar, wenn man sich entscheidet, aber wenn man sich dem verschließt, kommt man nicht voran. Meine Arbeiten sprechen sich dafür aus, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, nicht nur andere gesellschaftlich handeln zu lassen.

Hannah Hallermann: Are you satisfied with your decision? (Edition) 2022, Foto: Markus Bachmann. // Hannah Hallermann: Agent, 2021, Foto: Brooke Trezise.

Um Entscheidungsprozesse geht es auch in deiner Arbeit „Agent“, oder?
Ja, manchmal gibt es bei Entscheidungen kein richtig oder falsch, sondern es geht eher um eine Abwägung von Umgebungsbedingungen. Der „Agent“ ist bewusst so konzipiert, dass es bei der Beantwortung einer Frage keine Hierarchie gibt. Die Arbeit besteht aus einem Sportbogen, der mit einem elektrischen Auslöser verbunden ist. Auf einem Ipad kann man Fragen zu sozialem Wandel beantworten. Es geht also um kollektive Entscheidungsprozesse. Wenn sich eine kritische Masse für eine der Antwortmöglichkeiten gebildet hat, löst sich automatisch ein Schuss. Der Pfeil rast dann mit unfassbarer Geschwindigkeit in einen Schlachtervorhang. Danach erscheint auf dem Frage-Display. „Are you satisfied with your decision?“

Deine Arbeit „Agent“ könnte als ein wenig brutal empfunden werden, weil der Pfeil schon sehr massiv diesen Schlachtervorhang durchbohrt. War das so auch gedacht?
Das hat etwas Brachiales, aber gleichzeitig finde ich es sehr poetisch, wie der Pfeil beim Einschlagen eine Welle auf dem Vorhang erzeugt. Ich will nicht schockieren, sondern Veränderungen hervorrufen. Eine der besten Haltungen des sich Fokussierens und sich selbst Treffens ist für mich übrigens das Bogenschießen. Auf meinem Werkhof schieße ich selbst und finde so oft neue Ideen.

Hannah Hallermann: Startblock (hanging), 2019, Foto: Studio HAHA.

Also plädierst du dafür, dass Menschen einen Schritt aus ihrer Komfortzone heraus machen und die Unsicherheiten des Neuen aushalten?
Genau, auch auf der bildhauerischen Ebene bedeutet Transformation für mich über die Form hinauszugehen. Entscheidungsprozessen beinhalten ja auch immer eine Ungewissheit über die Zukunft und eine begrenzte Möglichkeit, den anstehenden Prozess mit all seinen Konsequenzen einzuschätzen. Auch wenn man sich für eine Lösung entscheidet, kann dies bedeuten, dass eine andere auch Anteile hat, die man gut fände. Anders lassen sich die Dinge aber nicht in Bewegung setzen.

Und das findest du nicht frustrierend?
Auch wenn jede Entscheidung auch Begrenzung bedeutet, wichtig ist, dass wir uns entscheiden können und unsere Gedanken und Visionen sind keine unsichtbaren Luftgebilde für mich, sondern haben Wirkungsmacht.

Hannah Hallermanns “Tools and Tales for Transformation” ist bei Hatje Cantz erschienen.

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