In einer Fernbeziehung mit der Kunst
Remote-Besuch bei "Liebe ist alles" in der Galerie Judith Andreae

31. Juli 2024 • Text von

Es gibt immer wieder Ausstellungen, da soll es zeitlich einfach nicht sein, sie live zu sehen. Wenn die Sehnsucht zu groß wird, muss die Technik herhalten. Kann ein Videocall die Sehnsucht stillen? Im Falle der Gruppenausstellung “Liebe ist alles” in der Galerie Judith Andreae musste der Versuch gewagt werden. Zu sehen sind unter anderem Arbeiten von Marina Abramović & Ulay, Katherine Bradford, Lucia Kempkes und Esra Gülmen. Die Ausstellung gar nicht zu sehen war keine Option. Die Liebe eben.

Porträt: Lara Brörken. Installationsansicht: Liebe ist alles, Lisa Tiemann, “COUPLE (O) VI”, 2023. Foto: Bozica Babic. Collage: gallerytalk.net.

Ich sitze bequem, das Bild auf meinem Laptop wackelt. Ah, da sind die beiden, Judith Andreae und Susanne Kleine. Die Galeristin und eine der beiden Kuratorinnen von “Liebe ist alles” winken und lächeln freundlich in die Kamera. Wir wollen gemeinsam durch die Ausstellung  gehen – nur dass ich in Berlin bin und die Liebe in Bonn. Die Liebe ist nun mal ein Thema, für das es sich lohnt, Kompromisse zu machen.

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Installation view, Liebe ist Alles, Galerie Judith Andreae. Foto: Felix Contzen.

Schon vor und über den Galerietüren hat sich die Liebe buchstäblich breitgemacht. Lisa Tiemanns Skulptur der Serie “Couples” formt sich aus zwei kantigen Stäben, die äußerst menschlich anmuten, als säße dort eine Figur mit geradem Rücken und angewinkelten Beinen. Der eine Stab aus glasierter Keramik, der andere aus Pappmaché könnten sie in ihrer Beschaffenheit kaum unterschiedlicher sein, doch spiegeln sie ihre Bewegung so harmonisch, dass sie eins zu werden scheinen, ihre Eigenschaften bestens miteinander verwoben.

Ein das Wort “Love” auseinanderziehender Neonschriftzug des Künstlerduos Famed beleuchtet den Übergang von außen nach innen. Er trägt einen über die Türschwelle, wenn man so will. In klarer Bildsprache visualisieren die Neon-Arbeiten des Duos die Spannbreite der Liebe, ihre Facetten, die Verbindung zweier Pole oder auch die Distanz zwischen ihnen. Gerade eingetreten per Kameraschwenk, zwinkert mir das zweite Neonobjekt mit den Worten “YesYes” entgegen, ein Yes kursiv, eines nicht. Ein Ja zum zusammen sein von zwei Seiten. 

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Installation view, Liebe ist alles, FAMED, “YesYes”, 2006. Foto: Bozica Babic.

Im ersten Ausstellungsraum ringen Marina Abramović und Ulay miteinander. In einem Videoscreen vor meinem Videoscreen haben sie ihre Köpfe mit den Mündern zusammengesteckt, atmen gegenseitig aus und ein. Was zunächst wie ein inniger Kuss anmutet, ist vielmehr ein erschöpfender Prozess, ein sich Luft hin und herschieben, bis der Sauerstoff knapp wird. Doch Abramović und Ulay achten aufeinander, nehmen Warnsignale der jeweils anderen Person wahr.  Es entsteht ein Moment an der Grenze zwischen Liebeskampf, des Gebens und Nehmens, des sich gegenseitig Ermüdens, aber auch des Respekts und Beschützens. Die beiden gurgeln hörbar, weil sie um Luft ringen, gurgeln, um nicht den Verstand zu verlieren. 

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Installation view, Liebe ist alles, Galerie Judith Andreae. Foto: Bozica Babic.

An der Decke stoßen sich zwei glänzende Luftballons. Die “Wishes for Two” von Jeppe Hein versuchen sich ihren Weg zu bahnen, symbolisieren einen hochzeitlichen Optimismus und kommen hier im Raum doch nicht so ganz weit. Dahinter knutschen zwei Männer, gemalt von Katherine Bradford, die vor einem Regenbogen eng umschlungen in leichter Unschärfe nahezu verschmelzen und eine homoerotische, innige, verspielte Liebe feiern. Die knutschenden Männer sind gegenüber den knutschenden Frauen von Esra Gülmen im anderen Raum platziert. Ein Mosaik aus quadratischen Fliesen unterstreicht die Verschmelzung des lesbischen Paares in groben Pixeln. Eine räumlich-thematische, queere Klammer von Raum zu Raum. 

Es fällt nicht schwer, die wohldurchdachte Kuration von Katja Andreae und Susanne Kleine zu erkennen, auch durch die Linse. In die Waschbecken-Muscheln, die “Softshells” von Emma Adler, die ihr Inneres sonst eher vor Blicken schützen, konnte ich dank der kleinen Handykamera, die mich durch die Räume führt, quasi eintreten, konnte ganz nah an ihre Softspots. Auf einer Wippe von Gülmen wippen konnte ich hingegen nicht, dabei hätte ich mich schon sehr gerne auf die Worte “I need my Space” gesetzt.

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Installation view, Liebe ist alles, Treppenaus, Emma Adler und Esra Gülmen // Installation view, Liebe ist alles, Esra Gülmen, “Controvery Teeter Totter” und “Weltschmerz”. Fotos: Bozica Babic.

Gerne hätte ich mir auch die feinen Striche von Lucia Kempkes genauer angesehen. Kempkes Malereien mit Buntstift bilden farbintensive Idyllen ab, Orte, die Menschen anlocken, die sich verloben wollen, aber gleichzeitig auch diejenigen, die nach Heilung von Herz- und Weltschmerz suchen. Was die Orte auszeichnet? Ein Bergpanorama, saftiges Grün, das Meer und Leerstellen in Form von fliegenden Tauben und einem zerbrochenen Teller. Symbole des Friedens und des Glücks, aber auch des Bruchs. Dass Liebe und Schmerz nah beieinanderliegen, auch geografisch wird in ihren Arbeiten spürbar, ich habe mir vor ihnen die Nase am Bildschirm gestoßen. 

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Lucia Kempkes, “Perfect Day Engage-Divorce 2024 #2”, 2024. Foto: Bozica Babic.

Letztlich erinnerte mich dieser besondere digitale Ausstellungsbesuch an eine Fernbeziehung, an die Sehnsucht und den Versuch, sie per Videocall zu stillen. Es funktioniert für eine Weile! Meine Sehnsuchtsobjekte wirken durch die Kamera, die Liebe liegt in der Luft! Doch irgendwann muss man sich wirklich wiedersehen, muss sich umarmen, am selben Ort sein. Spüren, wie sich die Temperatur verändert, wenn man sich nähert, die Räume links und rechts abwandert, die Kunst im Kellerraum oder im Obergeschoss anguckt, die Treppen selbst hoch und runter steigt. Man möchte dann doch lieber eine Beziehung unabhängig der WLAN-Verbindung eingehen. Also an alle, für die Bonn keine Entfernung ist, geht in diese Ausstellung. Und seid lieb zueinander.

WANN: “Liebe ist alles” läuft noch bis Samstag, den 17. August.
WO: Galerie Judith Andreae, Paul-Kemp-Straße 7, 53173 Bonn.