Auf einmal ist es still
Das Staatstheater Darmstadt zeigt Gregor Schneiders „Sterberaum“ im Livestream

30. Januar 2021 • Text von

Für drei Tage und drei Nächte ist es auf der Website des Darmstädter Staatstheaters still. In einem Livestream zeigt das Haus den „Sterberaum“ des Installationskünstlers Gregor Schneider, um dem allgegenwärtigen Tod und der damit verbundenen Leere Sichtbarkeit zu verschaffen.

Gregor Schneider, Sterberaum, © Benjamin Weber.

Seit Donnerstag, den 28. Januar, 21 Uhr ist es auf der Website des Staatstheaters in Darmstadt ruhig. Der normale Betrieb der Seite ist eingestellt, um dem „Sterberaum“ von Gregor Schneider im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne zu geben.

Bereits 2008 entwickelte Schneider die Idee, einen öffentlichen Ort zum Sterben in einem Museum einzurichten und sorgte damit für mächtig Aufruhr. Ihn erreichten Morddrohungen und von der Boulevard-Presse wurde er regelrecht zerrissen. Erst 2011 konnte die Arbeit erstmalig gezeigt werden – ohne Sterbende. Wer jetzt besorgt sein sollte: Bis heute ist in dem Raum kein Mensch öffentlich aus dem Leben geschieden.

An dem „Sterberaum“ wirkt nichts erschreckend oder aufwühlend: Es ist ein leerer Raum, ausgestattet mit feinem Fischgrätenparket und eingetaucht in ein warmes Licht. Inspiriert ist er von einem Raum der Museen Haus Lange und Haus Esters in Krefeld, die Ende der 1920er Jahre von Ludwig Mies van der Rohe als Wohnhäuser erbaut wurden. Die Wände sind weiß, es gibt eine Tür und ein großes Fenster, das den Blick in den leeren Zuschauerraum ermöglicht. Die Fußleisten und Heizung sind mit Holz verkleidet, die Fensterbank über der Heizung ist aus Marmor. Für die Bühne im großen Haus des Theaters wurde der Raum etwas verkleinert, ist in seinen Proportionen aber weiterhin stimmig. Der Tod ist nicht direkt sichtbar, er manifestiert sich in der Leere und Ruhe des Raums. 

Gregor Schneider, Sterberaum, © Benjamin Weber.

Obwohl der Tod ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens ist, etwas, das uns alle verbindet, scheuen wir uns noch immer, offen und ohne Scham über das Thema zu sprechen. Dabei ist es jeden Tag allgegenwärtig. Schneiders „Sterberaum“ steht metaphorisch für etwas viel Größeres  – für eine gesellschaftliche Debatte und einen Austausch, der in der Öffentlichkeit noch immer viel zu kurz kommt.

Das Theater als ein Ort der Gemeinschaft und des Miteinanders bietet die notwendige Präsentationsfläche für Gedanken an den Tod und ein Gedenken an die Opfer unserer Zeit: Die Menschen, die der Corona-Erkrankung erliegen, oder jene, die beim Fluchtversuch aus Kriegsgebieten auf dem Mittelmeer ertrinken, um nur zwei traurige Beispiele zu nennen. Es ist ein unbequemes und definitiv kein leichtes Thema, vor dem es einfacher ist, die Augen zu verschließen, aber es darf und muss auch mal unbequem werden.

Es ist wichtig, einen „Raum“ für den Tod zu ermöglichen und das Thema endlich aus der dunklen Tabu-Zone zu holen. Das ist mitunter eine der zentralen Aufgaben der Kunst: Gesellschaftliche Zustände beobachten, kritisieren, hinterfragen und uns auf einem Silbertablett servieren. Violà. Probiert es aus und hört in die Stille des Livestreams hinein, sie hat eine enorme Kraft und berührt.

In Zeiten der Pandemie und des Dauer-Lockdowns, wo außerdem allmählich auch kulturelles Leben zu sterben droht, setzt diese Arbeit in einem leeren Theatersaal ein weiteres alarmierendes Zeichen.  

WANN: Der kostenlose Livestream läuft noch bis Sonntag, den 31. Januar, 22:30 Uhr ohne Unterbrechung.
WO: Zu sehen ist der „Sterberaum“ über die Website des Staatstheaters Darmstadt.