Neuerdings regiert das Chaos
George Rouy mit "Shit Mirror" bei Peres Projects

4. April 2022 • Text von

„Shit Mirror“, das ist der kryptische Titel einer neuen Ausstellung bei Peres Projects in Berlin. Sie zeigt großformatigen Arbeiten des britischen Künstlers George Rouy. Die figurativen Malereien markieren eine Entwicklung im Werk des Künstlers – von stiller Figuration hin zur chaotischen Innerlichkeit.

George Rouy, “Shit Mirror. Courtesy Peres Projects. Photographed by Timo Ohler.

Figürlich anmutende Gestalten, die einmal ganze Figuren waren, verzerrte Züge, die einmal Gesichter bildeten sowie abstrahierte Gliedmaßen, die einmal einen Körper formten – diese Elemente bilden das Hauptmotiv von George Rouys Malereien. Der junge britische Künstler hat sich der Figuration verschrieben. 

Die zweite Einzelausstellung „Shit Mirror“ von George Rouy in der Berliner Galerie Peres Projects zeigt nicht nur neue Arbeiten, sondern mit ihnen auch eine neue Facette des Künstlers. Wo er in früheren Arbeiten klare Konturen, einen ruhigen Duktus und eine stille, tiefe Farbigkeit wählte, wo er seinen Figuren mit ihren klobigen, lang gestreckten Gliedmaßen noch klar erkennbare Gesichter gab, dort walten nun Verschwommenheit, bunte Farbigkeit und Chaos auf der Leinwand.

George Rouy, “Future Proof”, 2022, Painting, Acrylic and oil on canvas. Courtesy Peres Projects.

Insgesamt acht dieser neuesten Bilder sind über die weitläufige Galerie verteilt, deren riesige Fensterfronten die Räume mit Tageslicht fluten. Während die großen Fenster von außen vermeintlich bereits alles offenlegen, eröffnet sich den Besucher:innen durch eine kluge Hängung im Inneren ein aufregendes Spiel aus Sehen und Nicht-Sehen. Die Wände und Säulen in den Innenräumen der Galerie lenken und brechen die Sichtachsen. Das schafft Übersicht und Konzentration auf die Einzelwerke zugleich.

„Future Proof“ (2022) hängt prominent an der Westachse der Galerie. Die Arbeit zieht die Besucher:innen erst langsam zu sich heran und dann vollends in sich hinein. Die Malerei zeigt eine für Rouy typische, unaufgeregte Szene: ein Ensemble aus vier Figuren; drei im Hintergrund stehend, eine im Vordergrund liegend. Die Körper der beiden Figuren im linken, oberen Teil der Malerei sind als Einzelne erkennbar, ihre Köpfe hingegen sind miteinander zu einer Einheit verschmolzen. In „Future Proof“ (2022) eröffnet sich den Besucher:innen der Ausstellung damit ein Moment der Verzerrung und Abstraktion, der über die gesamte Schau zu beobachten ist.

George Rouy, “Shit Mirror. Courtesy Peres Projects. Photographed by Timo Ohler.

Die Motive von Rouys großformatigen Malereien – einige Bilder sind 2,30 x 2,10 Meter groß – changieren zwischen Figuration und Abstraktem Expressionismus. Durch Farbigkeit und Duktus werden Körper in gleicher Weise gezeichnet und durchbrochen. Ihre Gliedmaßen treten auf der Leinwand auffällig als eigenständige Gebilde hervor, während die Gesichter regelmäßig zur Unkenntlichkeit gezeichnet miteinander verschwimmen. Das bloße Auge ist kaum in der Lage, die Verschwommenheit der Gesichtszüge als etwas Klares wahrzunehmen. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Handykamera auf die Bilder hält und der automatische Fokus der Kamera stärker nachschärft, als das Auge selbst es kann.

Beim Besuch der Ausstellung wird nicht klar, worauf ihr rotziger Titel „Shit Mirror“ verweist. Ist es ein Zitat des gleichnamigen Songs des Musikprojektes Nine Inch Nails? Der rockige Sound des Lieds jedenfalls könnte ein passender Verweis sein auf die chaotische Linienführung und die Dekonstruktion der Figuren in den neuesten Werken Rouys. Es sind Momente des Punk, die in Pinselführung und Farbwahl auch in den Malereien aufscheinen. 

George Rouy, “Backdrop”, 2022, Painting, Acrylic and oil on canvas. Courtesy Peres Projects.

Tritt man nahe genug an die vielfarbigen Bilder des Londoner Künstlers heran, werden grobe Pinselstriche, an einigen Stellen vermutlich gar die Abdrücke eines Spachtels sowie andere Unebenheiten auf der Leinwand sichtbar. Daran wird deutlich, dass auch der Körper des Künstlers selbst sich durch stärkere Bewegung und wilde Linienführung neuerdings in besonderer Weise in seine Bilder einschreibt. Aus einem Eindruck der Distanz heraus überträgt sich auf die Besucher:innen auf diese Weise ein Gefühl von Nähe, von Intimität zum Motiv und zum Künstler selbst.

Die zweite Einzelausstellung „Shit Mirror“ bei Peres Projects in Berlin ist ein gelungenes Zeugnis einer künstlerischen Entwicklung in der Praxis des jungen Malers George Rouy. Die gezeigten Arbeiten wirken komplex und vielschichtig, sie zeigen deutlich einen Wandel von Vergangenem hin zur gegenwärtigen, künstlerischen Praxis an. Es ist ein Wandel von der stillen Figuration hin zur chaotischen Innerlichkeit. Und mehr noch: In diesem bunten Chaos zeichnet sich eine vielversprechende Zukunft ab.

WANN: Die Ausstellung „Shit Mirror“ von George Rouy läuft noch bis Freitag, den 22. April.
WO: Peres Projects, Karl-Marx-Allee 82, 10243 Berlin. 

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