Gallery Weekend Berlin – Herbstausgabe Diese Ausstellungen solltet ihr nicht verpassen
15. September 2021 • Text von Anna Meinecke
So viele Eröffnungen, aber kein Überblick? Kein Problem. Wir haben ausgesiebt und zehn heiße Tipps fürs Gallery Weekend Berlin. Auf zu Klemm’s, ChertLüdde, Esther Schipper, Horse & Pony, Barbara Weiss, Exgirlfriend, Noah Klink, Klosterfelde Edition, Konrad Fischer und in die Panke Gallery.
Jonas Roßmeißl bei Klemm’s
Soll mal einer versuchen, in dieser Ausstellung ein Foto zu machen. Jedenfalls im hinteren Teil ist das nahezu unmöglich, jedenfalls wird das Ergebnis überraschen. An den Decken ist ein Beleuchtungssystem installiert, das jedwede Schnappschüsse mit Schlieren überzieht. Ein bisschen brutal muten die Arbeiten von Jonas Roßmeißl bei Klemm‘s an, schon allein, weil man in zwei davon besser keinen Finger stecken stollte – Zerquetschungsgefahr. Das muss es auch, wenn es um die Utopie einer Kollektivität und politischer Handlungsräume unter repressiven Systemen und dem Einfluss von Technologie und rationalisierter Re-Produktion in der Gegenwart gehen soll.
Monia Ben Hamouda bei ChertLüdde
Bitte lesen Sie diese Arbeit biografisch – jedenfalls auch. Im Bungalow bei ChertLüdde hängen freischwebend im Raum Metallgebilde, die an eine Kreuzung aus arabischen Schriftzeichen und Raubtiertatzen erinnern. Auf ihrer Oberfläche Farbpigmente, am Boden auch. Monia Ben Hamouda bedient sich im Rahmen ihrer Einzelausstellung „Night of Hinnā“ Kindheitserinnerungen. Die Henna-Nacht, ein Brauch, bei dem am Vorabend der Hochzeit die Hände der Braut kunstvoll mit Henna bemalt werden, nimmt einen wichtigen Platz darin ein.
Parallel eröffnet bei ChertLüdde auch die Einzelausstellung von Juan Anonio Olivares, der für „Transference“ eine Ebene der Galerie mit wummernden Bässen und Nebelmaschine in einen Techno-Club verwandelt, eine ungewöhnliche und einnehmende Präsentation seiner holografischen Video-Installationen.
Cemile Sahin bei Esther Schipper
Rund 100 Jahre ist es her, da zerfiel das Osmanische Reich. In Paris wurde der Vertrag von Sèvres unterschrieben. Einen Großteil des Territoriums wollten die Siegermächte des Ersten Weltkriegs unter sich aufteilen, woraufhin sich Widerstand in der Bevölkerung regte – an dessen Spitze Mustafa Kemal, der spätere Atatürk. Wieso dieser kleine Exkurs? Vor einer Tapete, die die Unterzeichnungszeremonie des Vertrags von Sèvres zeigt, hat Cemile Sahin bei Esther Schipper eine Skulptur aus farbigen Plexiglasplatten mit digital gedruckten, collagierten Elementen geschaffen. In ihrer Ausstellung „It Would Have Taught Me Wisdom“ verbindet die Künstlerin ausgehend von einer historischen Recherche bild- und textbasierte Kommunikation.
„nowhere“ bei Horse & Pony
Gibt es so etwas wie einen spezifisch queeren Bezug zur Natur? Dem Gedanken geht die Ausstellung „nowhere“ bei Horse & Pony nach. Den Titel hat sich Kurator Carrick Bell bei Regisseur Gregg Araki geborgt. In dessen gleichnamigem Film aus dem Jahr 1998 geht es um Lust und Überleben. Ein bisschen wie in der Anekdote aus der Hasenheide, die Bell im Ausstellungstext erzählt, nur dass die Geschichte nicht in Los Angeles, sondern in der Hasenheide spielt und sich zwei Männer mit unterschiedlichen Absichten versehentlich oder auch eben nicht versehentlich im Busch begegnen. Das lest ihr aber lieber selber nach. Freut euch auf Arbeiten von Soufiane Ababri, dem The Institute of Queer Ecology, Doug Ischar und mehr.
Cudelice Brezleton IV bei Barbara Weiss
Eine Rutsche schwarzer Stoff oder ein Schleier, ein Haken, ein Draht, ein Stück Leder – gepierct. Cudelice Brazleton IV hat etwas übrig für Assemblagen. Er schafft Environments, deren Bedeutung sich erst beim Durchschreiten des Raums entfalten kann. Referenzen zu Blackness, Punk und queerer Kultur blitzen auf im vollständig Unvollständigen. Ist das eigentlich eine Tastatur da oben in der Ecke?
Mit Borrás bei Exgirlfriend
Nicht weniger als eine Prophezeiung ist „ADAPTASI-CYCLE“, der neue Werkzyklus von Mit Borrás, der im Rahmen der Ausstellung HEAVVEN bei Exgirlfriend zu sehen ist. Der Künstler entwirft eine Realität, in der die Grenzen zwischen Vergangenheit und Zukunft, Synthetischem und Organischem, Natur und Technologie überwunden sind. Eine Videoarbeit entführt in einen scheinbar steril pastelligen Raum, in dem der Protagonist M (Ray La’Vord) und ein Roboter-Hund abseits von Chaos in Harmonie existieren.
Alison Yip bei Noah Klink
Wie wird denn nun die Zukunft aussehen? Also nicht unser aller allgemeine Zukunft, sondern ganz konkret die von Alison Yip? Die Künstlerin hat dazu eine Neoschamanin und eine Wahrsagerin befragt und sich von Steinorakel, Divinationsreisen und Kartenlegen bei der Entstehung ihrer Ausstellung „SOMA TOPIKA“ in der Galerie Noah Klink inspirieren lassen. Zwei Serien kleiner Ölgemälde, eine auf Metallstücken, eine auf Laminatfliesen, zeigen unterschiedliche Zukunftsvisionen.
Kasia Fudakowski bei Klosterfelde Edition
Eine Skulptur, die niemals fertig ist, die immer wieder um ein weiteres Element ergänzt werden kann, deren einzelne Elemente ohne die anderen nicht stehen, ineinander verankert aber wie ein aufgefaltetes Leporello den Raum einnehmen. Richtig, die Rede ist von Kasia Fudakowskis „Continuouslessness“, eine Arbeit, die die Künstlerin seit 2017 fortführt. Bei Klosterfelde Edition zeigt sie nun die „Continuouslessness Travel Edition“. Dabei handelt es sich um Miniaturen aller bislang angefertigten Paneele, insgesamt 43 an der Zahl.
K.R.M. Mooney bei Konrad Fischer
Kleine Objekte, Gold und Silber, das Elster-Auge wird angezogen. Tatsächlich werden wohl nur die Wenigsten erkennen, worum es sich bei den winzigen Skulpturen von K.R.M. Mooney handelt. Unter dem Titel „Partials“ sind in der Galerie Konrad Fischer Gussformen für die Mundstücke von Blasinstrumenten zu sehen. Mooney geht es um feine Varianzen, entscheidend für den Ton, fürs Auge kaum wahrnehmbar, und um Variation. Darum ist es auch kein Zufall, dass der Blick aus dem Ausstellungsraum heraus auf eine serielle Arbeit von Hanne Darboven fällt. Das war so gewünscht.
Parallel eröffnet bei Konrad Fischer eine Ausstellung von Wolfgang Laib. Eine riesige Bienenwachskulptur sowie eine Bodenarbeit aus Pollen sind zwar nicht speziell geschaffen für die Galerieräume, könnten es aber sein.
UBERMORGEN und Constant Dullart in der Panke Gallery
Ja, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, noch einmal „Kybernetik“ zu googlen. Denn darum geht es bei „150“, der Duo-Show von UBERMORGEN und Constant Dullart in der Panke Gallery. Die Ausstellung ist Teil des Projekts „Calculating Control – (net)art and cybernetic“ des Zentrums für Netzkunst. Dullart widmet sich der Durchschnittlichkeit AI-gesteuerter Entscheidungsverfahren, UBERMORGEN nehmen Empfehlungsalgorithmen in den Blick.
Nicht alle Ausstellungen, die wir in diesem Artikel empfehlen, sind offiziell Teil des Gallery Weekends – aber viele. Eine Übersicht über das gesamte Programm gibt es hier.