Von Katzen, Strapatzen und Matratzen
"Heaven Came Down Like a Blanket" in der Galerie Parterre

1. Mai 2025 • Text von

In “Heaven Came Down Like a Blanket” kehren Ahu Dural, Harry Hachmeister und Katharina Reinsbach an bedeutungsvolle Stationen ihres Lebens zurück. Die aktuelle Ausstellung in der Galerie Parterre erzählt in unterschiedlichen Medien von Kindheit, Aufbruch und Identität – autobiografisch, melancholisch und liebevoll zugleich.

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Ausstellungsansicht “Heaven Came Down Like a Blanket” mit Arbeiten von Ahu Dural, Galerie Parterre, Foto: Marjorie Brunet Plaza.

Wir alle kennen sie: Orte, Erlebnisse und Menschen, die unser Leben besonders prägen. Es sind die Straßen, in denen wir aufgewachsen sind, Phasen, die sich tiefer in Körper und Geist eingraben als andere und Weggefährt*innen, die uns formen und begleiten. Die Ausstellung “Heaven Came Down Like a Blanket” in der Galerie Parterre versammelt mit Ahu Dural, Harry Hachmeister und Katharina Reinsbach drei künstlerische Positionen, die sich auf unterschiedliche Weise mit Räumen, Erinnerungen und Identitäten auseinandersetzen. Ihre Arbeiten – von Malerei und Zeichnung über Fotografie bis hin zu Keramik – sind eng mit ihren eigenen Biografien verwoben und legen private und intime Momente offen.

Ahu Dural teilt in ihren Installationen biografische Ausschnitte aus ihrer Kindheit und dem Aufwachsen in einer migrantischen Arbeiter*innenfamilie in Berlin-Siemensstadt. Im Mittelpunkt steht fragmentarisch der Alltag ihrer türkischen Mutter, die mit zwölf Jahren nach Deutschland kam, um Geld zu verdienen, und später in der Siemensfabrik arbeitete. Dural kombiniert selbst gefertigte Holzobjekte, deren Formen und Farben persönliche Erinnerungen und Orte visuell transformieren, mit eigenen Fotografien und Fundstücken und gleichzeitig ihr großes Interesse für Design und Formensprache zum Ausdruck bringen.

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Ausstellungsansicht “Heaven Came Down Like a Blanket” mit der Arbeit “Auto-Sun (Var. Handtest und Lötstab)” von Ahu Dural, Galerie Parterre, Foto: Marjorie Brunet Plaza.

Mit 17 Jahren bewarb sich Durals Mutter bei der Siemensfabrik. Beim Einstellungstest musste sie ihr handwerkliches Geschick und ihre Feinmotorik unter Beweis stellen, indem sie innerhalb von 60 Sekunden möglichst viele Stäbchen in mit Löchern versehene Holzblöcke stecken sollte – eine Szene, die Dural in ihrer Installation “17 Jahre, 60 Sekunden” nachstellt. In ihren Arbeiten schwingt immer auch der Kontrast zwischen den Lebensrealitäten der beiden Frauen mit: Während ihre Mutter einst die Heimat verließ, um in Deutschland Geld zu verdienen und eine Existenz aufzubauen, ermöglicht sie ihrer Tochter heute das Privileg eines selbstbestimmten Lebens als freischaffende Künstlerin. Auf einer größeren Ebene erzählt Durals Arbeit auch davon, dass Deutschland ohne die Geschichten und Leistungen von Menschen wie ihrer Mutter nicht denkbar wäre. Aus kleinen persönlichen Geschichten lassen sich größere gesellschaftliche Zusammenhänge ableiten.

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Ausstellungsansicht “Heaven Came Down Like a Blanket” mit Arbeiten von Harry Hachmeister, Galerie Parterre, Foto: Marjorie Brunet Plaza.

Harry Hachmeister nutzt Sportgeräte, Hanteln und Gewichte als Requisiten zur Demonstration von Männlichkeit – ein Bild davon bekommen Besucher*innen direkt beim Eintritt in die Ausstellungsräume. Der Prozess des “männlicher Werdens” und Kraftsport spielen im Leben des Künstlers eine zentrale Rolle. Doch statt kaltem Stahl, der klassische Männlichkeitsideale symbolisieren könnte, entstehen bei Hachmeister zarte, spielerische Keramiken, die Raum für Doppeldeutigkeiten lassen. Gewichte, die wie Handtaschen oder Teekessel anmuten, biegen sich und sind in Pastelltöne getaucht, sogar der Hammer wird weich und krumm. Das starre Material wird in Bewegung versetzt – die Objekte wirken beinahe wie kleine, lebendige Figuren, bereit, jeden Moment loszulaufen oder loszuwackeln.

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Ausstellungsansicht “Heaven Came Down Like a Blanket” mit der Arbeit “Hermann” von Harry Hachmeister, Galerie Parterre, Foto: Marjorie Brunet Plaza.

Reduzierte Wandteller von Hachmeister zeigen Momentaufnahmen ohne klare Verortung. Sie visualisieren intime Situationen der Geborgenheit, die ganz unterschiedlich aussehen können: platonische Zuneigung unter Freund*innen, Nähe zu Tieren oder romantische Verbindungen zwischen Menschen – alle Formen des Miteinanders finden hier ihren Platz. Einen Raum weiter geben andere Arbeiten Einblicke in Hachmeisters Biografie. Katzenaugen blicken die Betrachtenden eindringlich an – Darstellungen, die der Künstler als Selbstporträts versteht, da sich seine jeweilige Stimmung stets in die Arbeiten einschreibt. Die Werke sind kaum von den eigenen Emotionen zu trennen. Hinzu kommt: Das Medium der Keramik erfordert Nähe – körperlich wie emotional – und genau diese fließt unweigerlich mit ein. Auch die Fotoserie “Sweeter Than Anything” von 2007 eröffnet einen persönlichen Blick: ein Rollenspiel oder Date mit sich selbst, das in unterschiedlichen emotionalen Stadien mündet.

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Ausstellungsansicht “Heaven Came Down Like a Blanket” mit Arbeiten von Katharina Reinsbach, Galerie Parterre, Foto: Marjorie Brunet Plaza.

Das Ausloten von Körperlichkeit und dem Verhältnis von Mensch und Raum zeigt sich besonders in den kleinformatigen Zeichnungen und großformatigen Leinwänden von Katharina Reinsbach. Ihre Figuren handeln frei von jeder Idee der Selbstoptimierung – sie erkunden Bewegungen, die sich gut anfühlen und ein Sein ermöglichen, das auch ohne ständiges Tun auskommt. Fast gummiartig schlängeln sich Gliedmaßen durch den Bildraum. Reinsbach arbeitet mit Graphitstift, aber auch mit Aceton, mit dem sie fotografische Elemente und Farben auf den Bildträger überträgt. So entstehen Überlagerungen, Unschärfen und visuelle Irritationsmomente.

Wie verändern sich Erinnerungen mit der Zeit? Welche Fragmente bleiben, welche verblassen – und wie fügen sie sich zu einem Bild zusammen? Fragen wie diese prägen das Schaffen von Katharina Reinsbach. Im Zentrum ihrer Arbeiten stehen Menschen und Räume. Als Ausgangspunkt dienen die Wohnungen ihrer Eltern in der Hauptstraße 159 in Berlin-Schöneberg, wo sie bis zu ihrem 19. Lebensjahr lebte, und die ihrer Großeltern. In der Galerie Parterre finden diese Orte einen abstrakt-spielerischen Ausdruck. Auch der nahegelegene Kleistpark, ein bedeutender Ort für Reinsbach, taucht in der Ausstellung auf. Zwei großformatige Leinwände stehen aneinandergelehnt im Raum – die Erinnerungen Rücken an Rücken.

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Ausstellungsansicht “Heaven Came Down Like a Blanket” mit Arbeiten von Katharina Reinsbach und Ahu Dural, Galerie Parterre, Foto: Marjorie Brunet Plaza.

Der Titel der Ausstellung nimmt Bezug auf den Song “Laugh Track” von The National und Phoebe Bridgers. Wie die Musik des Songs spielt auch “Heaven Came Down Like a Blanket” mit der Ambivalenz eines herabstürzenden Himmels: einer Bedrohung, die sich zugleich wie eine schützende Decke um Erinnerungen und gelebtes Leben legt – ohne Schmerzhaftes auszublenden oder zu verklären. Die Ausstellung ist warm und zerbrechlich zugleich, sie gewährt intime Einblicke in die Biografien der Künstler*innen, die uns vertraut erscheinen. Ihre Werke – melancholisch, liebevoll, manchmal humorvoll und nachdenklich – schaffen kollektive Anknüpfungspunkte und erzählen vom Leben in all seinen Facetten.

WANN: Die Ausstellung “Heaven Came Down Like a Blanket” läuft bis zum 8. Juni.
WO: Galerie Parterre, Danziger Straße 101 (Haus 103), 10405 Berlin.

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