Einfach schwimmen
Helena Doppelbauer und Kristin Wenzel in der Galerie im Turm

2. Februar 2025 • Text von

Das ehemalige Sport- und Erholungszentrum in Friedrichshain steht kurz vor dem Abriss. Kristin Wenzel und Helena Doppelbauer erinnern sich in ihrer Ausstellung “Swim” in der Galerie im Turm an das DDR-Freizeitparadies – und gehen der Faszination der Badelandschaft auf den Grund.

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Installationsansicht “SWIM*” in der Galerie im Turm. Foto: Eric Tschernow

“Einfach schwimmen, schwimmen, schwimmen”, singt Dory, ein vergesslicher, aber optimistischer Paletten-Doktorfisch aus dem Pixar-Film “Findet Nemo”, in jeder brenzligen Situation. Sie nutzt das Lied als eine Art Motivation, immer dann, wenn sie oder andere auf Hindernisse stoßen. Das Mantra steht sinnbildlich für ihr Durchhaltevermögen, selbst dann, wenn der Weg steinig – oder in ihrem Fall das Wasser trüb – erscheint.

Ganz so einfach ist es leider nicht immer. Im ehemaligen Sport- und Erholungszentrum (SEZ) in Berlin-Friedrichshain wird zum Beispiel schon lange nicht mehr geschwommen. Die Freizeiteinrichtung feierte 1981 Eröffnung und war knapp zehn Jahre lang über die Grenzen des Bezirks bekannt und beliebt. Einst ein Ort voller badewütiger Kinder und sportfreudiger Erwachsener, wurde das SEZ nach der Wiedervereinigung nicht weiter betrieben. Nach jahrelanger Nachlässigkeit des Investors steht das Gebäude nun kurz vor dem Abriss. Bevor das SEZ jedoch endgültig verschwindet, widmet sich die Ausstellung “Swim” dem Ort und seiner Geschichte. In der Galerie im Turm wandeln die Künstlerinnen Kristin Wenzel und Helena Doppelbauer auf den Spuren des Areals.

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Installationsansicht “SWIM*” in der Galerie im Turm. Foto: Eric Tschernow

Beim Betreten der Galerie wird der Blick von einer hohen Wand versperrt. Die kleine Leiter macht deutlich, dass hier der Beckenrand eines Schwimmbads angedeutet ist. Direkt angrenzend leuchtet blau und wellenförmig eine ehemalige Leuchtreklame des SEZ. Auch ein Spind und eine Handtuchstange sind zu sehen, ebenso wie mehrere Plattformen zum Verweilen. Mit ihrer Raumarchitektur greift Kristin Wenzel die Formensprache und Farbgestaltung des SEZ auf. Doch während man nur wenige Kilometer entfernt keinen Zutritt erhält, kann man hier in Ruhe herumlümmeln und verweilen.

Die raumgreifende Installation ist eine Adaption von Wenzels Arbeit “The Near and the Elsewhere” aus dem Jahr 2020. Diese orientiert sich an einem Schwimmbad aus Wenzels Heimatstadt Gotha, in dem die Künstlerin schwimmen gelernt hat. Wer zurückdenkt, merkt: Schwimmbäder sind höchst emotionale Orte, mit denen Erinnerungen, vielleicht auch Ängste verknüpft sind. An denen man die besten Pommes seines Lebens gegessen, das erste Mal Bodyshaming erfahren oder seinen ersten Kuss bekommen hat.

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Installationsansicht “SWIM*” in der Galerie im Turm. Foto: Eric Tschernow

Am Pool die Liege per Handtuch reservieren? Die hiesigen Frotteelaken sind mit Screenshots aus den Videoprojektionen von Helena Doppelbauer bedruckt. In den Filmausschnitten schwimmen Menschen im Chlorwasser ihre Bahnen oder trainieren in 80er-Jahre-Turnanzügen. Doppelbauer überlagert Originalaufnahmen mit heutigen Bildern des verlassenen SEZ. Durch den Kontrast wird erst richtig deutlich, wie belebt und irgendwie auch utopisch dieser Ort gewesen ist. Organisch geformte Badelandschaften und türkisfarbene Mosaikwände durchziehen die futuristische DDR-Architektur. Wie schön wäre es, könnte man dort einfach schwimmen, schwimmen, schwimmen und den drohenden Abriss wegtauchen.

Der Traum von der eigenen Schwerelosigkeit wird unterbrochen vom Fernsehprogramm “Medizin nach Noten”, das in den 1980er Jahren im SEZ aufgenommenen wurde und in der Galerie ausschnitthaft an die Wand projiziert wird. Körper und Geist, so scheint es, sind im Einklang. Über Kopfhörer erzählt Fitnesstrainerin Marion von ihrer Leidenschaft für den Sport, parallel beeindruckt ihre Tochter Marie mit Popgymnastik-Übungen. Diese Bilder wecken Fragen nach körperlicher Optimierung und politischer Einflussnahme. Wie viele von den Orten, an denen man selbst Wellness genossen oder Sport getrieben hat, existieren heute noch und welche sind urbaner Veränderung zum Opfer gefallen?

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Installationsansicht “SWIM*” in der Galerie im Turm, original Bildaufnahmen vom SEZ: Bildarchiv vom Institut für Raum- und Sozialforschung, Erkner. Foto: Eric Tschernow

Umso schöner, dass man auf Postkarten an subjektiven Erinnerungen fremder Menschen teilhaben kann. Hier können die Besucher*innen ihre eigenen Erinnerungen an den Ort niederschreiben. Neugier mischt sich hier mit Nostalgie, aber man erfährt auch einiges über die Geschichte des SEZ. Ein wichtiger Teil der Ausstellung ist das Archiv. An der gleichen Wand kann man zum Beispiel die Entwürfe von Architekt Günter Reiß inspizieren.

Im weiteren Verlauf der mehrteiligen Ausstellungsreihe werden mit “Sweat” auch noch die Sauna und mit “Fight” das Kampfsportstudio des ehemaligen SEZ unter die Lupe genommen. Während das Programm für die kommenden Monate also bereits feststeht, ist der Zeitplan im Fall SEZ noch recht ungewiss. Eine gute Möglichkeit, den Prozess im Blick zu behalten, ist sicherlich, die Arbeit der Initiative “SEZ für alle!” zu verfolgen. Hier wird man über anstehende Entwicklungen und Demonstrationen informiert. Im Notfall gilt: einfach schwimmen. Vorerst allerdings nicht im SEZ.

WANN: Die Ausstellung “Swim” läuft noch bis zum 27. April.
WO: Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1, 10243 Berlin.

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