Staying with the trouble
„Benefit of the Doubt“ bei Deborah Schamoni

26. März 2021 • Text von

Wie können Werke zeitgenössischer Kunst unabhängig von der sozialen Identität, den Erfahrungen, dem Charakter eines Künstlers oder einer Künstlerin interpretiert werden? Ist es überhaupt möglich eine Lesart zu etablieren, die gegen die oftmals institutionell eingeschränkte Interpretationsweise fungiert? Fragen, der die Ausstellung „Benefit of the Doubt“ bei Deborah Schamoni nachgeht.

Blick in den Ausstellungsraum von Deborah Schamomi

Installation view courtesy the artists and Deborah Schamoni. Photo credits: Ulrich Gebert.

“Somehow a crack in it all presented itself. A rupture whose ripples spread outward from so many a central disturbance, each becoming themselves from the {same} source and hence broadcasting echoes of one another.” Einleitende Sätze von {SURFACE HICCUP}, einem der drei Texte, die den mittig im Hauptausstellungsraum der Galerie platzierten Skulpturen des Künstlers Gerry Bibby beiliegen. Die Werkserie, von Bibby als “Vision[_s_] of Excess” betitelt, entstand im vergangenen Jahr im Zuge seiner Teilnahme an der Busan Biennale in Südkorea. Die drei fragil wirkenden, aus rissigem Beton, Papier sowie Styropor gefertigten oder “gewordenen” Skulpturen sind nichts Anderes als der Abdruck oder ummantelnde Schutz der Werke, die der Künstler in Transportkisten zur Biennale geschickt hatte. Spielerisch hinterfragt der australische Künstler mittels dieser “konkreten Poesien”, wie er es bezeichnet, die Rolle von Zufälligkeiten, die für die Form und das Zusammenwirken von Materialien bestimmend sind.

Blick in den weißen Ausstellungsraum von Deborah Schamomi

Installation view, Henrik Olesen and Gerry Bibby courtesy the artists and Deborah Schamoni. Photo credits: Ulrich Gebert.

Auch die an den seitlichen Wänden angebrachten Werke der Künstler SoiL Thornton und Henrik Olesen brechen durch das Verweben verschiedener Materialien mit der gängigen Einordnung ihrer Kunst. Olesens “Auflösungen” sind schwarze, in ihrer Erscheinung uneinheitliche Silikongüsse von Computertastaturen, die er vor einen rechteckigen weißen Untergrund setzt. Die unter anderem während der Zeit des ersten Lockdowns entstandene Serie von Tastaturen kann als Zugang oder Fenster zur Welt gelesen werden – als unser heute gängigstes Mittel der Kommunikation. Gleichzeitig führt Olesen wahrhaftig vor Augen, wie unsere Sprache, Kreativität und Denken durch das Tippen auf den Tasten aufgesogen werden und im Unterschied zur Plastizität des Materials nicht mehr vorhanden sind.

Ein schwarzer Silikondruck auf weißem Untergrund

Henrik Olesen, 3.Auflösung, 2020, Silicone on cardstock, 39,5 x 52 x 1 cm, courtesy Buchholz. Photo credits: Ulrich Gebert.

Eine ähnliche Thematik zeigt sich auch in den ausgestellten Werken des amerikanischen Künstlers SoiL Thornton. Diese bewegen sich zwischen Malerei und Skulptur und stellen das Zusammenspiel von Form und Material sowie eine institutionelle Einordnung in Frage. Sowohl das silbrig changierende, in umgedrehter T-Form installierte Werk “Isolation from fallen halt and intelligence in mirroring (remember Allen)” wie auch die sehr eindrückliche, an einen großen Teller mit Farbkleksen erinnernde Arbeit “Swatched Class Act, (ceramic boot licker)” lassen sich kaum in einen spezifischen Kontext einordnen und sollen losgelöst von der künstlerischen Identität Thorntons interpretiert werden. Doch gerade die Frage nach sozialer wie künstlerischer Identität setzt der in Brooklyn lebende Thornton, der gerade selbst von der Identität des Torey Thornton zu SoiL Thornton wechselte, in der weißen Rundarbeit mit an den Rändern von schwarz bis in hellem Rosé gehaltenen Kleksen gekonnt in Szene. Ein unverkennbares Spiel mit der Auseinandersetzung von Hautfarbe.

Der Ausstellungsraum von Deborah Schamoni mit Blick zum Fenster

Installation view courtesy the artists and Deborah Schamoni. Photo credits: Ulrich Gebert.

Ergänzt werden die diversen Wandarbeiten durch drei verschieden im Raum platzierte Sitzmöglichkeiten der deutsch-vietnamesischen Künstlerin Sung Tieu. Tieu, die für den diesjährigen Preis der Nationalgalerie nominiert ist, kreist in ihren Installationen um Sujets wie Identitätssuche, Erfahrungen durch ihre eigene Migrationsgeschichte und totalitären Systemen. In „Benefit of the Doubt“ werden drei Hocker aus Edelstahl, die von einem Gefängnisausstatter aus England stammen, gemeinsam mit von der Künstlerin gestalteten Zeitungen in welchen sie teils fiktive wie wahre Berichte über Ausübung von Macht zusammenstellt, ausgestellt. Die minimalistischen Sitze führen einmal mehr die triste Gleichförmigkeit wie Eintönigkeit der Einrichtung in Behörden und im öffentlichen Raum vor Augen.

Ein buntes Bild mit silbernen Kreuzen

Rochelle Feinstein, The Year In Hate /January February, 2018, Silkscreen and acrylic on canvas, 122 x 127 cm, courtesy Campoli Presti, London.

Abgerundet wird die Show durch die Malereien von Rochelle Feinstein, Sophie Gogl und Lorenza Longhi, die alle gesellschaftliche wie politische Thematiken verbildlichen; das Medium Malerei jedoch auf vollkommen unterschiedliche Weise bespielen. Mittels Ölfarbe bei Gogl beziehungsweise Siebdruck bei Longhi wie auch Feinstein wird bei allen drei Künstlerinnen eine sensible und gleichzeitig humoristische Auseinandersetzung mit Fragen nach Identität, Klasse und gesellschaftlicher Hierarchie deutlich. Die Ausstellung “Benefit of Doubt” vereint Werke verschiedenster Medien, die vor allem im Kontext einer gemeinsamen Ausstellung Fragen nach sozialen Normen und Kategorisierung sowie Stereotypisierung ausmachen. Eine Etablierung einer Lesart, die sich gegen institutionell eingeschränkte Interpretationsweisen richtet, bleibt herausfordernd und eine individuelle Einschätzung, oder wie Gerry Bibby es in seinem Text formuliert: “___Was it that we’d {invented} / entered a place with an intention to read it for our/my own benefit?”

WANN: Die Ausstellung “Benefit of Doubt” ist mit Terminvereinbarung bis 29. Mai zu besuchen.
WO: DEBORAH SCHAMONI, Mauerkircherstraße 186, 81925 München.

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