Für die Tonne? #2
Mika Rottenberg

6. Juli 2020 • Text von

Mika Rottenberg macht in Sachen Nachhaltigkeit eine ganze Menge richtig – und dennoch nicht genug. Das sagt sie selber. Aktuell ist ihre Arbeit “Squeeze” im Rahmen der Ausstellung “ZERO WASTE” im MdbK Leipzig zu sehen. Rottenberg und die Kurator*innen der Schau haben extra darauf geachtet, die Arbeit umweltbewusst zu installieren. gallerytalk.net erzählt die Künstlerin, wie ihr Schaffensprozess in Zukunft noch grüner werden soll.

Filmstill der Arbeite "Squeeze" von Mika Rottenberg. Mehrere Frauen bei synchroner Arbeit.

Mika Rottenberg: Squeeze, 2010. Videostandbild​, Einkanal-​Video-Installation mit Ton und digitalem C-Print, Maße variabel. Courtesy die Künstlerin und das San Francisco Museum of Modern Art © Mika Rottenberg.

gallerytalk.net: Was hast du als Letztes weggeworfen und warum?
Mika Rottenberg: Vermutlich Lebensmittelverpackungen. Wobei ich versuche, möglichst viele Boxen aufzuheben, damit meine Tochter daraus etwas bauen kann. Wir sind kürzlich von Brooklyn nach Upstate New York gezogen. Im Zuge dessen habe ich auch ein paar Dinge weggeworfen. Immerhin sind die meisten Sachen, die ich besitze, Fundstücke. In Brooklyn kann man Möbel, Bücher oder Klamotten ganz unkompliziert „einkaufen“ gehen. Die Leute stellen alles, was sie nicht mehr brauchen, auf die Straße, damit andere es mitnehmen können. Mich wundert immer wieder, was die Leute alles wegwerfen …

Was denn zum Beispiel?
Nach Weihnachten stellen manche ihren Weihnachtsbaum geschmückt vor die Tür. Einmal haben meine Tochter und ich all diese Bäume eingesammelt und in unserer kleinen Wohnung einen Zauberwald gebaut. Es war wunderschön und wahnsinnig chaotisch! Ein anderes Mal habe ich eine riesige Bärenfigur auf der Straße gefunden – etwa zwei Meter groß. Der steht in unserem neuen Zuhause glücklich auf der Veranda. Mich fasziniert, wie wegwerfbar westliche Kultur ist und wie schwer es uns einzelnen fällt, da nicht mitzumachen. Ich habe noch viel vor mir: Mein Ziel ist, überhaupt nichts Neues mehr zu kaufen.

Wie sehr lebst du „zero waste“ – auf einer Skala von „fünf Jahre Müll in einem Einmachglas“ bis „Wohnzimmer voll leerer Amazon-Kartons“?
Egal wie viel Mühe ich mir gebe, da ist immer zu viel Müll! Ich versuche, nichts bei Amazon zu bestellen. Allerdings habe ich dort, nachdem die Quarantäne losging, doch ein paar Dinge für meine Tochter gekauft. Für dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen, nur noch gebrauchte Sachen für mich persönlich aber eben auch im Rahmen meiner künstlerischen Arbeit zu verwenden. Vor allem Letzteres ist gar nicht so einfach: Viele meiner Arbeiten sind kinetische Skulpturen. Sie müssen nicht nur ästhetisch, sondern eben auch technisch funktionieren. Genau hier aber muss sich wirklich etwas verändern: Es ist nur ein erster Schritt, Müll im Privaten zu reduzieren. Der Wandel muss sich in professionellen Arbeitskontexten fortsetzen.

Filmstill der Arbeit "Squeeze". Das gerötete Gesicht einer Frau eingequetscht.

Mika Rottenberg: Squeeze, 2010. Videostandbild​, Einkanal-​Video-Installation mit Ton und digitalem C-Print, Maße variabel. Courtesy die Künstlerin und das San Francisco Museum of Modern Art © Mika Rottenberg.

Wie kann das gelingen?
Wenn ich einen Gegenstand benutzen möchte, frage ich mich: Woraus ist er gemacht, wie wurde er produziert, wie giftig ist er und wieso glaube ich, dass ich ihn brauche? Dadurch wird es einfacher, die richtige Entscheidung zu treffen. Am schwersten fällt es mir bei Essen, bei Sachen für Kinder und natürlich, wenn es bedeutet, dass ich ein Kunstwerk anders umsetzen werde, als geplant. Früher war ich überzeugt davon, dass man die Regeln für die Kunst aussetzen darf. Das glaube ich heute nicht mehr. Ich frage mich oft, zu welcher Kultur ich mit meiner Arbeit beitrage: Ist es eine Kultur des ewigen Abbaus und der Ausbeutung oder eine der Regeneration? Es ist keine leichte Zeit, um zu rechtfertigen, dass man überhaupt irgendetwas macht.

Wann ist die Ausbeutung des Planeten sowie von Teilen seiner Bevölkerung in den Fokus deines künstlerischen Schaffens gerückt?
Ungefähr im Jahr 2002 habe ich damit begonnen, über Arbeitsbedingungen und „natürliche Ressourcen“ nachzudenken. Aber erst vor ein paar Jahren habe ich diese Gedanken wirklich adaptiert. Seitdem widme ich ihnen meine volle Aufmerksamkeit.

Deine Videoarbeit “Squeeze” thematisiert Produktionsbedingungen in Zeiten der Globalisierung sowie prekäre Arbeitsbedingungen insbesondere für Frauen. Der Film ist ein skurriler Mix aus dokumentarischem und fiktionalem Material. Er ist satirisch – und Satire soll man nicht erklären müssen. Erzählst du mir trotzdem ein bisschen mehr darüber?
„Squeeze“ folgt der fiktionalen Herstellung eines Kunstobjekts. Es wird produziert aus Materialien von überall auf der Welt, nur um dann offshore in einer klimaregulierten Lagerhalle in den Cayman Islands verwahrt zu werden. Das Objekt wird also ausgestellt und von irgendwem gesehen werden. Die Idee dazu kam mir, als mich Mary Boone, eine der Mega-Kunsthändler*innen der 80er Jahre, bat, eine Arbeit für ihre Galerie zu machen. Die zeitgenössische Kunst versteht sich sehr gut darauf, Wertigkeit zu produzieren. Dank ihr kann ein Haufen Müll oder wertloses Material in ein teures, einzigartiges Objekt verwandelt werden. Wichtig war mir, nicht das Objekt selbst, sondern den Prozess seiner Herstellung in den Fokus zu rücken. Es ist eine selbstreflektierte Arbeit, denn natürlich konnte ich sie nur deswegen machen, weil ich innerhalb des Systems operiere, auf das ich Bezug nehme.

Filmstill der Arbeite "Squeeze". Ein Laden voller bunter Plastikschwimmtiere.

Mika Rottenberg: Cosmic Generator, 2017. Videostandbild​. Courtesy die Künstlerin © Mika Rottenberg.

Die Kuratorinnen von „ZERO WASTE“, Hannah Beck-Mannagetta und Lena Fließbach, haben verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Ausstellung nachhaltiger zu gestalten, als es ansonsten üblich ist. Inwiefern hat sich das auf deine Arbeit im Vorlauf oder die Präsentation deiner Werke ausgewirkt?
Ich habe mich dazu entschieden, nicht die ganze Installation zu zeigen, die eigentlich zu meiner Videoarbeit gehört. Stattdessen hängen einige Dokumente an der Wand, aus denen hervorgeht, wie die Arbeit ursprünglich einmal gezeigt wurde und wieso wir uns entschieden haben, sie jetzt nicht mehr so auszustellen – eben aus „Zero Waste“-Gründen. Die Menschen besitzen eine große Vorstellungskraft, wenn man sie nur dazu anhält, sie zu nutzen. Deswegen glaube ich, dass diese Form der Präsentation funktioniert. Ich habe im Rahmen meiner Arbeit schon so viele Material benutzt. Ich habe das Gefühl, mein Limit überschritten zu haben.

Was hast du sonst schon unternommen, um ein nachhaltigeres Leben zu führen?

Ich habe meinen Konsum so gut wie möglich reduziert und lebe zu 90 Prozent vegan. Ich fahre ein Elektroauto – auch wenn ich weiß, dass auch das unter Umweltgesichtspunkten Nachteile birgt, aber es fühlt sich richtig ein, die Ölindustrie nicht zu unterstützen. Ich habe schon vor Corona entschieden, nicht mehr als 20 Stunden pro Jahr zu fliegen. Ich nutze Ökostrom. Ich lasse mich bei Ausstellungen von Nachhaltigkeitsexpert*innen beraten und verwende Dinge wieder. Und trotzdem konsumiere ich noch etwa viermal so viel, wie unser Planet vertragen würde.

Was hast du in der Hinsicht als Nächstes vor?

Für meine nächste Videoarbeit möchte ich nur mit lokalen Crews arbeiten – oder remote. Ich möchte nichts Neues dafür bauen und darauf achten, dass der Großteil des Budgets für die Bezahlung einzelner Mitarbeiter*innen aufgewandt wird und nicht für große Unternehmen.

In unserer Interviewreihe “Für die Tonne?” sprechen wir mit Künstler*innen, deren Arbeiten im Rahmen der Ausstellung “ZERO WASTE” im Museum der bildenden Künste Leipzig zu sehen sein werden. Wir wollen wissen, wie sie Nachhaltigkeit leben, denken und in ihre Praxis integrieren.

Für die Tonne? #1: Irwan Ahmett & Tita Salina

WANN: Die Ausstellung „ZERO WASTE“ läuft bis zum 8. November.
WO: Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstraße 10, 04109 Leipzig.

Weitere Artikel aus Leipzig