Gesellschaft beginnt mit Drei
Frieder Haller im Kunstverein Harburger Bahnhof

17. Mai 2023 • Text von

Die Charaktere in Frieder Hallers filmischen Kammerspielen sind weder anderen noch sich selbst wohl gesonnen. In seinen absurd-komischen Erzählungen deckt Haller soziale Hierarchien innerhalb bestehender Beziehungen auf – und bewegt sich dabei zwischen Komödie, Drama und Tragödie. Im Rahmen seiner Soloausstellung im Kunstverein Harburger Bahnhof feiert zudem der dritte Teil seiner Trilogie “Good Times, Bad Timing” Premiere.

Frieder Haller, Von der Unmöglichkeit einer schönen Küche, 2023, Ausstellungsansicht Kunstverein Harburger Bahnhof, Foto: Fred Dott

Frieder Hallers erste institutionelle Soloausstellung ist zugleich die Premiere seines neuen Films “24/7 ist kein Leben”. Die komplette Trilogie “Good Times, Bad Timing” kann zurzeit im Kunstverein Hamburg Harburg angesehen werden. Nicht unähnlich einer Sozialstudie analysiert er darin bestehende Machtstrukturen und Dynamiken in gesellschaftlichen Beziehungen, von romantischer oder freundschaftlicher Natur.

Dafür inszenierte er in Zusammenarbeit mit den zwei befreundeten Künstler*innen Simon Mielke und Alison Yip eine verwinkelte Kulisse aus Holzwänden, welche die Ausstellungsarchitektur bildet und ebenso als Bühnenbild für seine Trilogie dient. Die im Ausstellungsraum gezeigten, großformatigen Gemälde von Mielke sind ebenfalls in Hallers Filmarbeiten zu sehen. Im gesamten Raum sind außerdem an verschiedenen Stellen Installationen von Haller selbst positioniert, die auf überspitzte Art auf das Thema des Häuslichen verweisen, wie beispielsweise ein Billy-Regal, in dessen Rückseite ein Türspion sitzt.

Frieder Haller, Architecture (Filmstill), 2019, HD-Video, 18 min.

In seinen filmischen Arbeiten positioniert sich Haller überwiegend selbst als Beobachter: Es gibt wenig Kamerafahrten, dafür umso mehr traumartige, skurrile Kulissen, die an Bühnenbilder erinnern. Durch die stark reduzierten Sets und den Fokus auf einzelne, wenige Charaktere werden seine Filme somit zu intimen Kammerspielen.

Ein wiederkehrendes Motiv dabei ist das der Miniaturmöbel. So plant der narzisstische Architekt im ersten Teil der Trilogie “Architecture” den Mord an seiner Ex-Freundin mittels eines rekonstruierten Modells des Raums, in dem er sie töten will. Doch bevor er seinen Plan umsetzen kann, wird er von seiner ehemaligen Geliebten überrascht, die ihm mit einem emotionslosen Ruck ein Messer in den Bauch rammt. Im Anschluss an die Tat tauschen sich die Mitbewohner*innen der beiden über das Ex-Paar aus. Gemeinsam reflektieren sie die Gründe für das Scheitern der Beziehung. Dabei wirken sie jedoch schnell gelangweilt, zynisch und distanziert und beginnen sich über Banalitäten zu unterhalten.

Frieder Haller, Architecture (Filmstill), 2019, HD-Video, 18 min.

Wie auch in “Architecture” drücken sich Hallers Protagonist*innen oft auf assoziative Weise aus. Ihre Sprache ist ein Gemisch aus Sätzen aus der Film- und Popkultur, sowie Plattitüden. Sie lügen bewusst und bedienen sich einer Vielzahl an durchschaubaren, aber alltäglichen Ausreden. Während sie sich unterhalten, besteht außerdem oftmals kein Augenkontakt. Vielmehr sprechen die Charaktere in den Raum hinein. Direkter Dialog findet dann statt, wenn konfrontativ eigene Positionen verteidigt werden. Allerdings wirkt dieser ebenso kühl – authentische Gefühlsregungen wie Wut oder Trauer sind keine ihrer Eigenschaften. Sie wirken wie Stellvertreter*innen ihrer selbst. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass die Charaktere seiner Trilogie gelegentlich Situationen aus den anderen beiden Filmen aufgreifen.

Frieder Haller, SCUM SCAM SCUM (Filmstill), 2021, HD-Video, 25 min.

Der zweite Teil der Trilogie “SCUM SCAM SCUM” spielt in einer sanierten Altbauwohnung, die ausschließlich mit Designklassikern ausgestattet ist und handelt von einem missglückten Dinner-Abend. Laura, eine der Protagonist*innen, lädt dort zu einem geselligen Abendessen ein, vornehmlich aber nur, um mit einem Johnny Depp Double anzugeben. Sie täuscht zunächst vor, mit dem Schauspieler befreundet zu sein. Das erfolglose Streben nach Anerkennung innerhalb des Freund*innenkreises wird in tragisch-komischen Szenen auf die Spitze getrieben, beispielsweise betritt der erfolglose Architekt Ben die Wohnung in einem gebastelt wirkenden Hochaus-Kostüm eines nie realisierten Gebäudeplans.

Nach und nach werden während des Abendessens die wahren Motive der Protagonist*innen auf schnippische, humoristische Art und Weise entlarvt, wodurch “SCUM SCAM SCUM” den Betrachter*innen stellenweise eine lang-ersehnte Leichtigkeit gewährt.

Frieder Haller, 24/7 ist kein Leben (Filmstill), 2023, HD-Video, 35 min. 

Neben der zynischen Gleichgültigkeit betonen Hallers Charaktere vor allem durch generell vorherrschende Feindseligkeit und Misstrauen die Unsicherheiten ihrer Mitmenschen und empfinden Freude dabei, die Schwächen der anderen aufzudecken. Dennoch gibt es kurze Momente der gegenteiligen Anteilnahme, wie beispielsweise einen in “24/7 ist kein Leben”, in dem sich die drei Höllen-Verdammten als gigantische Gesichter hinter den Fenstern einer Miniatur-Kulisse eines Therapieraums auftauchen und über Therapieerfahrungen sprechen.

“24/7 ist kein Leben” bildet als neuestes Werk Hallers den filmischen Abschluss der Trilogie. Der Film bezieht sich auf Jean Paul Sartres Theaterstück “Geschlossene Gesellschaft” und porträtiert drei Menschen, die sich in der Hölle wiederfinden. Als die letzte Person der Gruppe, Donna, in der Hölle ankommt, wird sie schroff mit dem Satz “Bei uns küsst man sich dreimal” gemaßregelt. Es wird schnell ersichtlich, dass sie als Neuankömmling gegenüber der bestehenden Ordnung als Bedrohung wahrgenommen wird.

Frieder Haller, Von der Unmöglichkeit einer schönen Küche, 2023, Ausstellungsansicht Kunstverein Harburger Bahnhof, Foto: Fred Dott

Nach und nach scheint sich die Gesellschaft auf die neue Dreisamkeit einzustellen. Am Ende wird jedoch klar, dass alle dort Anwesenden von Selbstzweifeln, erhöhter Selbstwahrnehmung und Rachsucht geplagt sind und ein harmonisches Miteinander ein utopisches Ziel für sie wäre.

Hallers Kammerspiele sind pointierte, schonungslose und soziologische Studien zwischenmenschlicher Beziehungsdynamiken. Die Geschichten seiner szenischen Inszenierungen üben eine unglaublich immersive Kraft aus, denn die spezifischen Momente und Szenerien aus alltäglichen Situationen, die er in seiner Trilogie behandelt, sind universell. Sie erzählen nicht zuletzt vom Leben in der modernen Großstadt, geprägt vom selbstverliebten Individualismus durch bewusst eingesetzte kulturelle Distinktionen; durch die Komik wird erst spät bewusst, dass sein Werk einen Spiegel vorsetzt.

WANN: Die Ausstellung “Von der Unmöglichkeit einer schönen Küche” läuft noch bis einschließlich Sonntag, den 6. August.
WO: Kunstverein Harburger Bahnhof, Hannoversche Straße 85, 21079 Hamburg.

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