Unglückliche Kekse
#fortunecookiecorner in einer Pandemie

25. Juni 2020 • Text von

Eine Installation von Félix González-Torres wird an 1000 Orten auf der ganzen Welt gleichzeitig reinszeniert. Das Projekt, das den Künstler in Zeiten einer Pandemie ehren will, wird jedoch weder der Komplexität der Arbeit noch der Dramatik der aktuellen Realität gerecht.

Ein weißer Eames-Chair auf dem Glückskekse gestapelt sind.

Collage: Anna Meinecke.

Die Journalistin und Kunstkritikerin der L.A. Times Carolina A. Miranda bekam die Einladung im Mai. Zwar noch vor den verheerenden sozialen Unruhen, die viele Großstädte in den USA ins Chaos stürzen sollten. Aber doch inmitten einer globalen Pandemie, deren Auswirkungen für arme und unterrepräsentierte Menschen sich schon als erheblich schlimmer als für den Durchschnitt herausgestellt hatten. Miranda und 999 andere „Arfluencer“, Journalisten, Kuratoren und Künstler, wurden per E-Mail von den beiden Großgalerien Andrea Rosen und David Zwirner gebeten, an der globalen und kollektiven Reinszenierung einer Installation des 1996 verstorbenen kubanischen Künstlers Félix González-Torres teilzunehmen. Die Einladung veröffentlichte Miranda bei Twitter:

1990 hatte der Künstler sein Werk “Untitled (Fortune Cookie Corner)” zum ersten Mal präsentiert. Chinesische Glückskekse in Goldfolienverpackung werden dafür zu einem Haufen aufgeschüttet und können vom Ausstellungspublikum direkt vor Ort verzehrt oder mit nach Hause genommen werden. Die Arbeit gehört zu einer Reihe von Installationen des Künstlers. Ähnliche Stapel schuf er auch aus Schokolade und anderen Süßigkeiten. Die Arbeiten sind Meditationen über das Ausschöpfen von Ressourcen, über Regeneration, Auslöschung und Tod. Im Kern sind sie tröstlich.

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von SULLY BONNELLY (@sullybonnelly) am

Félix González-Torres schuf seine „Corners“ ursprünglich im Kontext der AIDS-Epidemie in den USA. Die Arbeit “Untitled” (Ross) aus dem Jahr 1991 zum Beispiel – benannt nach dem Partner des Künstlers, Ross Laycock, der in jenem Jahr an AIDS starb – besteht aus mehrfarbigen, in Folie verpackten Bonbons. Sie beginnt bei einem Gewicht von 175 Pfund und verschwindet langsam wie ein sich auflösender Körper, bevor sie wieder aufgefüllt wird. Auch das Leben von Gonzalez-Torres selbst wurde durch die Autoimmunkrankheit verkürzt.

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von kerri rosenstein (@relevanthoney) am

Im Kontext der COVID-19-Pandemie haben nun González-Torres‘ Nachlassverwalter, die Galerien Andrea Rosen und David Zwirner das schon immer partizipativ konzipierte Kunstwerk in einer gemeinsamen Aktion gegen die soziale Distanz reaktiviert. Hierzu wurden weltweit 1000 Akteure ausgewählt und zum Mitmachen eingeladen, kleinere Haufen Glückskekse zusammenzustellen und diese zu positionieren. Sie sollten so zu einem aktiven Teil der Installation werden. Natürlich gab es auch ein Social-Media-taugliches Hashtag. Die ausgewählten Teilnehmer durften den Ort ihrer Installation selbst wählen und mussten sich auch die Glückskekse selbst organisieren.

 
 
 
 
 
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#FGT🥠exhibition @felixgonzaleztorres.foundation ✊

Ein von @ tang747 geteilter Beitrag am

Der Fokus von Félix González-Torres ist die Einbeziehung des Publikums in einen Prozess, der gleichzeitig auf den Tod und auf die Freude am Leben verweist. Der gemeinschaftliche, offene Akt, etwas miteinander zu erfahren und zu teilen. Eine solche gemeinschaftliche Erfahrung ist in Zeiten sozialer Distanzierung natürlich etwas schwierig. Das bedeutet, dass viele Teilnehmer die Kekse einfach in ihren eigenen vier Wänden installiert haben – und dann fleißig Fotos in den sozialen Medien sharen. Das Ergebnis: Felix Gonzalez-Torres als Instagram-Requisite und Ablenkung für die gut vernetze Kunstwelt im Lock-Down. 

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von A HUG FROM THE ART WORLD (@ahugfromtheartworld) am

Seit dem Start der Ausstellung sind die kleinen Kekse in vielen geschmackvoll eingerichteten Räumen aufgetaucht. All dies zu einer Zeit, in der die Pandemie und die wirtschaftliche Krise den Hunger und die Ungleichheit in den USA und der Welt nicht nur sichtbar, sondern auch schlimmer gemacht hat. Félix González-Torres‘ künstlerische Praxis ist von Wehmut und Verletzlichkeit geprägt, die aktuelle Reinszenierung durch die selektierten Protagonisten kann diesem Werk so nicht gerecht werden.

Die Präsentation dieser sensiblen Arbeit in diesen Kontexten macht eine problematische Insensibilität sichtbar: Eine speziell eingeweihte „Elite“ verhandelt vermeintlich hochaktuelle, gesellschaftsrelevante Themen in ihren buchstäblich abgeschlossenen, von der Welt getrennten Räumen. Die Arbeit wird vollends aus dem Rahmen des sozialen Aktivismus gelöst, in dem der Künstler agierte. Was die Kunst von Félix González-Torres im Kern ausmacht, ihre inklusive Menschlichkeit, wird so nicht nur ausgehöhlt, sondern tatsächlich konterkariert. Die Kunstwelt ist schon immer durch ihr oszillierendes Verhältnis zu Exklusivität und Zugänglichkeit geprägt, aber angesichts der vielen Diskussionen um eine neue mögliche Zukunft des „System Kunst“ wirkt diese Aktion fast schon zynisch.

Carolina A. Miranda spendete ihr „Glückskeks-Geld“ einer örtlichen Hilfsorganisation:

WANN: Weltweit noch bis zum 5. Juli installiert.