Farben der Gewalt
Beatriz González: Retrospektive 1965–2017

5. November 2018 • Text von

Variationen von primären Farben, Umrisse von flachen Figuren, glänzend lackierte Bettrahmen und schwere Leinenvorhänge überraschen die Besucher der Retrospektive von Beatriz González in den KunstWerken. Familiäre Kompositionen alter Meister in aufgeweckten Farben erinnern eher an Werbeplakate als an die tatsächlich zugrunde liegenden, oftmals tragischen Ereignisse. Autorin: Adriana Pauly

Beatriz González, Installationsansicht in der Ausstellung Retrospective 1965–2017, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2018, Foto: Frank Sperling

Die kolumbianische Künstlerin Beatriz González wuchs in den Vierziger Jahren in der Kleinstadt Bucaramanga auf, im Zeitalter von politischen Unruhen und Gewalt bekannt als La Violencia (Die Gewalt). Seit den fünfziger Jahren chronologisiert sie die Geschehnisse innerhalb der kolumbianischen Gesellschaft, indem sie die fotografischen Repräsentationen der Gewalttaten in den regionalen Medien verarbeitet und immer wieder Bezug zur klassischen Malerei sucht. Sie wird als Pionierin der Pop-Art Kunst gefeiert und zählt zu den wichtigsten Akteurinnen der lateinamerikanischen Kunstgeschichte. Die Farbpalette ihrer Werke wird von Erinnerungen an ihre Kindheit geprägt, wie die Künstlerin in einem Interview mit der Zeitschrift Cromos Revista 2011 sagte: „Ich verschließe halb meine Augen und kann die Farben von Bucaramanga sehen, die ich während meiner Kindheit sah. Die Farben meiner Werke sind die der Sonnenuntergänge, die ich mit meinem Vater sah“.

Beatriz González, Installationsansicht der Ausstellung Retrospective 1965–2017 im Hofeingang, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2018, Foto: Frank Sperling

Ihre Werke beschäftigen sich mit dem Erinnern. Ohne Nostalgie verankert González die Vergangenheit tief in der Gegenwart und sucht in den Abbildungen der Massenmedien Bezug zu den Opfern von Gewalt. Schon im Durchgang zum Innenhof der KunstWerke versteckt sich eine Replikation der Wandmalerei Los Cargueros (2007-2008), die González im Zuge einer Intervention auf Kolumbarien im Zentralfriedhof von Bogotá anbrachte. Die schwarzen Silhouetten, die wie eine Menschenkolonne von einem Grab zum nächsten ziehen, wurden auf den einzelnen Abteilen der neun Kolumbarien platziert, die in den vierziger Jahren als Massengräber für die Toten des Anschlags am 9. April 1948 dienten, bei dem hunderte oder sogar tausende Menschen während einer Demonstration für die Liberalen Partei umkamen. Die fotografischen Vorlagen für die Silhouetten wurden Zeitungsartikeln entnommen, die 2003 den Transport von Kadavern in den konfliktreichen, regionalen Gebieten Kolumbiens zeigten.

Beatriz González, Los Suicidas del Sisga No 2, 1965, Öl auf Leinwand, Courtesy die Künstlerin, Óscar Monsalve und Museo La Tertulia, Cali, Sammlung Museo La Tertulia, Cali

Eins der zentralen Werke der Ausstellung Los Suicidas del Sisga I und II (1965) porträtieren ein junges Liebespaar, das in einem tragischen Akt Selbstmord beging, um die Reinheit ihrer Liebe zu erhalten. Bevor sich das Paar einen Staudamm außerhalb von Bogotá hinunterstürzte, ließen sie ein Portrait von sich aufnehmen, welches sie ihren Angehörigen als Erinnerung hinterließen. Nicht die Geschichte, sondern die verschwommene Fotografie, die bei der weiten Berichterstattung in allen Medien abgedruckt wurde, benutzte González als Vorlage für die zwei Werke. Ein klarer Umschwung in ihrer Arbeit ist in den späteren Werken zu sehen. Gedecktere Farben drücken die Ausmaße des drei Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieges aus. Ausschlaggebend hierfür waren die Geschehnisse am 6. November 1985, als das Guerillakomando den Justizpalast in Bogotá besetzte, das Militär mit Panzern auffuhr und in einem Akt der bis heute nicht völlig aufgeklärt ist 105 Menschen umkamen.

Beatriz González, Nací en Florencia y tenía ventiseis años cuando fue pintado mi retrato (esta frase pronunciada en voz dulce y baja), 1974, Installationsansicht in der Ausstellung Retrospective 1965–2017, KW Institute for Contemporary Art, Berlin, 2018, Foto: Frank Sperling

Trotz der Ernsthaftigkeit der Themen schwebt durch die Ausstellung eine humorvolle Leichtigkeit.  Dies ist zum einen den Titeln ihrer Gemälde und Readymades wie Nací en Florencia y tenía ventiseis años cuando fue pintado mi retrato (esta frase pronuciada an voz dulce y baja) (Ich bin in Florenz geboren und mit sechsundzwanzig wurde mein Portrait gemalt (dieser Satz wird in einer sanften und süßen Stimme gesagt)) (1974) zu verdanken, aber auch in den Appropriationen von klassischen Gemälden enthalten, wie beispielsweise in der Aneignung von Manets Frühstück im Grünen, das als Inspiration für einen Vorhang galt, der zuletzt auf der documenta 14 zu sehen war.

Die Retrospektive, die 150 Werke aus der über sechzig Jahre langen Schaffenszeit der Künstlerin beinhaltet, ist ein beindruckender Einblick in die Geschichte und eine gelungene Darstellung der facettenreichen Kultur Kolumbiens.

WANN: Die Retrospektive ist bis zum 6. Januar 2019 zu sehen.
WO: KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin.

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